Warum das digitale 3D-Kino gescheitert ist

01.03.2017 - 10:45 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
3D-Heilsbringer: Avatar - Aufbruch nach Pandora
20th Century Fox
3D-Heilsbringer: Avatar - Aufbruch nach Pandora
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Abgeflautes Zuschauerinteresse, verschenkte Möglichkeiten und eine nur noch geringe Anzahl tatsächlich in 3D gedrehter Filme haben die einstige Zukunft des Kinos zur tristen Gegenwart werden lassen. 3D ist gescheitert – und das leider zu Recht.

Digitales 3D-Kino, das war für mich vor acht Jahren ein Versprechen auf neu erschlossene Ereignisräume: Filme, die anders erfahrbar gemacht werden, die unsere Gewohnheiten von der Wahrnehmung bewegter Bilder im Kino ebenso vor eine Herausforderung stellen wie die ästhetischen und erzählerischen Konventionen der Bilder selbst. Daran haben sich die neuen Pioniere der alten Technik ganz unterschiedlich versucht. James Cameron schmückte die Welten des Immersionsspektakels Avatar - Aufbruch nach Pandora dekorativ aus, brachte 3D als tiefenschärfendes Werkzeug für optische Verschönerungseffekte zum Einsatz, die Fremdes vertraut und Unwirkliches wirklich erscheinen lassen sollten. Werner Herzog verlieh dem Format auf andere Art Struktur, sein Dokumentarfilm Die Höhle der vergessenen Träume identifizierte die zweidimensionalen Wandmalereien der südfranzösischen Chauvet-Höhle als dreidimensionales "Ur-Kino", das scheinbar hautnah zu begehen und zu erforschen durch sinnliche 3D-Abtastungen möglich wurde. Jeff Tremaine nutzte solche unmittelbaren Eindrücke in Jackass 3D schließlich für eine Komplizenschaft des Publikums mit Bildern von Kacke und Kotze, die zum Greifen nahe durch den Kinosaal kleckerten. Auch das war ziemlich geil.

Diese Versuche haben eine Ahnung davon vermittelt, wie interessantes 3D-Kino aussehen und sich anfühlen könnte, wenn die Technik nicht nur kompetent gehandhabt, sondern untrennbar mit filmischen Bezugsräumen verbunden wird. Das Erlebnis eines genuinen 3D-Kinos lässt sich demnach nicht ohne weiteres in zweidimensionaler Abschwächung reproduzieren: Ernst gemeinte 3D-Filme sind so konzipiert und gedreht, dass ein Verlust von Tiefe ihre Wirkung entscheidend beeinträchtigt, eventuell sogar verunmöglicht wie in Adieu au langage von Jean-Luc Godard. Sie müssen auf unverzichtbare Weise die Besonderheiten des Formats und dessen Projektionsbedingungen herausstellen, indem sie filmische Inszenierung buchstäblich weiter denken. Tatsächlich habe ich damals geglaubt oder mir zumindest vorstellen können, dass diese Herausforderung das Ziel der flächendeckenden Umrüstungen ist, dass also James Camerons Zukunftsprognosen , 3D werde einmal als Norm und Selbstverständlichkeit wie Ton, Farbe oder Breitbild gelten, so unwahrscheinlich nicht sind. Vielleicht würden wir heute anders über Filme diskutieren, wäre Hollywood dem selbsterklärten Anspruch gerecht geworden, das Kino sinnästhetisch zu revolutionieren und damit als primären Aufführungsort zu bestätigen.

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Soweit die Theorie. In der Praxis ist 3D-Kino heute nicht mehr als eine Zusatzoption, pflichtschuldig betrieben und von wenigen Zuschauern in Anspruch genommen. Dem Analyseunternehmen IHS  zufolge entfielen 2015 lediglich 20 Prozent der Einnahmen am weltweiten Box-Office auf 3D-Produktionen. Im boomenden Kinomarkt China mag sich das Format noch ausreichender Beliebtheit erfreuen (bestimmte 2D-Filme laufen dort sogar als extra umgewandelte 3D-Fassung, um das Publikum ins Taumeln zu bringen), bei amerikanischen Kinobesuchern aber ist das Interesse merklich abgeflaut. Vor acht Jahren erzielte Avatar auf dem Höhepunkt der Euphorie 81 Prozent  der heimischen und 69 Prozent  der internationalen Umsätze aus 3D-Projektionen, heute weiß ein Blockbuster wie Rogue One: A Star Wars Story hingegen am Startwochenende gerade mal 38 Prozent seines Einspiels  mit 3D-Vorführungen umzusetzen (obgleich diese von 84 Prozent aller US-Kinos angeboten wurden). Trotz einer zum Teil gezielten Einschränkung der Verfügbarkeit von 2D-Alternativen erreichten Filme wie Avengers 2: Age of Ultron oder The Jungle Book ähnlich niedrige Werte. Die Frage ist also, was falsch läuft, wenn ein Film fast überall in 3D gezeigt wird, aber damit im Schnitt  nur ein Drittel des Umsatzes erwirtschaft.

"Wir haben es vermasselt", lautete im vergangenen Jahr das schlichte Fazit  des Dreamworks-Vorstandsvorsitzenden Jeffrey Katzenberg, der den uninspirierten Einsatz der Technik für ihr Scheitern verantwortlich macht. Schon 2011, als das Publikum bei Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten und Kung Fu Panda 2 erstmals die 2D-Fassungen von eigentlich als 3D-Events gepriesenen Filmen bevorzugte, sprach Katzenberg gegenüber dem Hollywood Reporter  von der ungenügenden Umsetzung der einst hoffnungsvollen Pläne. Es sei "herzzerreißend" zu sehen, wie "das Beste, was dem Kinogeschäft hätten passieren können" durch 3D-Filme beschädigt werde, die "mehr Show als Substanz" böten. Das Publikum habe gesprochen, so Katzenberg, und zwar "sehr, sehr deutlich". James Cameron, der sich gewissermaßen als geistiger Vater des digitalen 3D-Kinos geriert, kritisierte die Entwicklungen  des Umgangs mit diesem Kino von Beginn an. Hollywood setze 3D zu oft ein und zwinge das Format Regisseuren auf, die damit nichts anzufangen wüssten. Längst wirken die allermeisten 3D-Blockbuster nicht mal mehr darum bemüht, Dreidimensionalität als wenigstens effektiven Gimmick einzusetzen, von erzählerischen Experimenten oder visueller Komplexität ganz zu schweigen.

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Argumente der Skeptiker, die dem Format seit jeher einen rein kommerziellen statt notwendigerweise künstlerischen Zweck unterstellen, lassen sich deshalb kaum noch mit aufregenden Gegenbeispielen kontern (solche Beispiele waren einst Coraline, Hugo Cabret oder The Flying Swords of Dragon Gate, die ich als beeindruckende 3D-Kinoerfahrungen in Erinnerung habe). Wenige 3D-Filme – vor allem und unverständlicherweise: weniger denn je – sind an einem reizvollen Umgang mit der Technik interessiert, es fehlt an großen Regisseuren, die sie so innovationshungrig zu nutzen verstehen wie Ang Lee, Peter Jackson oder eben James Cameron. Sogar Paul W.S. Anderson, der die Detail- und Zeigefreudigkeit von 3D gern in aufwändigen Actionarrangements und Slow-Motion-Bewegungen auskostet, entschied sich bei Resident Evil 6: The Final Chapter zuletzt gegen eine native 3D-Inszenierung und für das von Puristen verschmähte Konversionsverfahren. Zwar hat sich die Qualität der Nachbearbeitungen erheblich verbessert, muss also niemand mehr unverschämte Aufpreise für unansehnlichstes Fake-3D wie in Kampf der Titanen oder Die Legende von Aang zahlen. Doch auch eine gute Konvertierung macht aus einem 2D- noch keinen 3D-Film, selbst wenn er als solcher konzipiert worden ist.

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