The Deuce - Staffel 1, Folge 1: Ein Sumpf voller Leben

12.09.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Maggie Gyllenhaal in The DeuceHBO
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Prostitution und Pornographie stehen im Mittelpunkt der neuen HBO-Serie The Deuce, deren Pilotfolge einen genauen Blick auf die Figuren und ihr Umfeld wirft. Dem Schöpfer von The Wire, so viel lässt sich schon sagen, ist erneut etwas Besonderes gelungen.

New York 1971, zwei Zuhälter sitzen auf einer Bank und reden über das Geschäft. Richard Nixon, sagt der eine, habe sich die Zwillingsformel von Zuckerbrot und Peitsche mit den Pariser Friedensverhandlungen und Angriffen in Vietnam perfekt zueigen gemacht. Sie selbst würden ganz ähnlich handeln, meint der andere, weil auch sie ihre Prostituierten belohnen und bestrafen – Spaß mache das gelegentliche Aufschlitzen und Verstümmeln der Frauen nicht, aber es sei notwendig, heißt es. Oberpimp Nixon und die Regeln der Straße, das ist lediglich ein verbaler Vorgeschmack auf jene Bilder von The Deuce, die das virile Selbstverständnis professioneller Ausbeuter am Ende der abendfüllenden Pilotfolge schmerzlich komplettieren werden. Sex und Gewalt gibt es auch in der neuen HBO-Serie reichlich zu sehen, aushalten lässt es sich diesmal nur schwer. Den Sendeplatz von Game of Thrones übernehmen Showrunner David Simon und sein Partner George Pelecanos mit einem angemessenen Kontrastprogramm.

Zuhälter also, einerseits. C.C. (Gary Carr) beobachtet Frauen am Busbahnhof, täglich kommen sie in die Stadt, um Freiheiten zu suchen und Abhängigkeiten zu finden. Es ist der erste Schritt eines Rekrutierungsrituals, ganz gentlemanlike, nach den Schmeicheleien kommen die Schläge früh genug. Lori (Emily Meade) scheint zu wissen, was ihr mit C.C. blüht, ins Auto steigt sie trotzdem. Hauptsache irgendwo unterkommen, einen Platz zum Übernachten haben, Geld verdienen. C.C. macht auf gönnerhaft, das kann jedem imponieren. Sein maßgeschneiderter Anzug und der Spazierstock schinden Eindruck, die Zwillingsformel steckt bereits in solchen Details. Auf der Rückbank des Cadillacs stapeln sich Nuttenkleider, "to look more New York", eben erst Hallo und jetzt schon das Umstyling. Natürlich lehnt Lori ab, noch darf sie widersprechen. In einem Diner trifft sie auf künftige Kolleginnen, Hoffnung hat ihren Blick verlassen. Koks zum Frühstück und Geschichten der letzten Nacht, einen Tisch weiter kümmert sich C.C. längst um neue Angelegenheiten.

C.C. (Gary Carr) und "seine" Frauen, geschlitzt wird später

Prostituierte also, andererseits. Lori, die Anfängerin in der "The Deuce" genannten 42nd Street, ist jetzt eine von ihnen. Sie lernt Darlene (Dominique Fishback) und Eileen (Maggie Gyllenhaal) kennen, mit ihren Stammkunden hat uns die Serie bereits vertraut gemacht. Ein Mann bucht Darlene als Vergewaltigungsopfer und langt mit sichtbaren Folgen zu, ein anderer möchte stundenlang gemeinsam fernsehen. Für beides wird sich Darlene vor Larry Brown (Gbenga Akinnagbe) erklären müssen, denn Schuld haben nie die Freier. Eileen muss kein solches Abhängigkeitsverhältnis erdulden, auf dem Strich ist sie als Candy bekannt und arbeitet selbstständig. Diese Freiheit hat bittere Bedingungen, denn Eileen ist nicht Zuhältern, sondern Kunden schutzlos ausgeliefert. Ihr Sohn, erfahren wir, lebt bei seiner Großmutter, am Ende besucht und umarmt sie ihn. Zuvor umsorgt Candy einen Teenager, der entjungfert werden möchte. Er kommt nach der ersten Berührung und fordert eine zweite Runde gratis. Überall: Rechtfertigung.

Klassische Täter- und Opfermuster gibt es in The Deuce dennoch nicht. Dass eine von James Franco gespielte Doppelrolle den figuralen Dreh- und Angelpunkt bildet, sagt vielleicht schon einiges über das nicht leichtfertig in Pro- und Antagonisten unterteilbare Konzept der Serie. Laut Vorankündigung des Senders wollen die Franco-Figuren das große Geschäft mit der aufkeimenden Pornoindustrie machen, davon aber vermittelt die erste Folge noch nicht mal eine Ahnung. Vincent Martino ist als Barkeeper beschäftigt, unglücklich verheiratet und finanziell ausgebrannt, für seinen spielsüchtigen Bruder Frankie muss er vor der italienischen Mafia geradestehen. Als Verbindungspunkt von Nicht-Orten führt Vincents Bar das Ensemble zusammen. Am Tresen sitzen Zuhälter und Geldeintreiber, hineingerannt kommen durchnässte Prostituierte, die nicht mehr können und immer noch müssen. Polizisten trifft man hier ebenfalls. Danny (Don Harvey) schmeißt sich an Abby (Margarita Levieva) heran, die er beim Drogenkauf erwischte und nicht ohne Hintergedanken freiließ.

Wider Erwarten recht zurückhaltend: James Franco in einer Doppelrolle

Es ist eine ziemlich eigene Welt, in die uns David Simon und seine Autoren wieder einmal werfen, nach Baltimore (The Wire) und New Orleans (Treme) präsentiert sich bei ihnen auch der Big Apple als dampfender Großstadtsumpf. Um bloße Elendseindrücke geht es nicht, der Sumpf steckt voller Leben, die Bilder signalisieren ehrliches Interesse noch für finsterste Gestalten. Das ist die Kunst von David Simon, spezielle Milieus mit speziellen Menschen als spezielle Erzählung. Kein psychologisches Ergründenwollen, schlicht ein genaues Hinschauen: Figuren außerhalb des Systems, das selbst System ist, ausdifferenziert bis ins Detail, von einem Schicksal zum nächsten. Überall gibt es hier Linien, die in- und gegeneinander laufen, die der Stadt ein Gesicht reich an Furchen und Schattierungen geben. Die zahlreichen miteinander verzahnten Geschichten in The Deuce werden sich erst über das größere Gesamtbild greifen lassen. HBO gestattet Simon noch einmal den langen erzählerischen Atem. Das, und für den Moment nichts anderes, ist sogenanntes Qualitätsfernsehen.

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Parallel zur wöchentlichen Ausstrahlung auf HBO ist The Deuce in der Nacht von Sonntag zu Montag wahlweise Deutsch synchronisiert oder im Original über Sky Ticket, Sky Go und Sky On Demand zu sehen. Einen Tag später läuft die acht Folgen umfassende erste Staffel der Serie auf Sky Atlantic HD.

Alle Recaps zur 1. Staffel von The Deuce:

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