Nach Avatar 2 ist es für mich fast unmöglich, nochmal einen Marvel-Film zu schauen

08.01.2023 - 11:00 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
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13 Jahre nach dem ersten Teil zeigt Avatar: The Way of Water das Blockbuster-Kino, das wir in der vergangenen Dekade verpasst haben. Es wird schwer, zum Marvel-Standard zurückzukehren.

Avatar: The Way of Water sorgt für spannende Diskussionen unter Filmfans. Kann Regisseur James Cameron den 3D-Trend wiederbeleben? Wird der Film genauso erfolgreich wie sein Vorgänger? Überzeugen die Unterwasseraufnahmen? Und hat sich die lange Wartezeit auf die Fortsetzung überhaupt gelohnt?

Bei einer Sache herrscht jedoch Einigkeit: The Way of Water sieht unfassbar gut aus. Und das nicht nur auf der technischen Ebene. Das 3D ist natürlich der Wahnsinn. Etwas anderes war von Cameron nicht zu erwarten. Darüber hinaus beeindruckt Avatar 2 mit einer einnehmenden Bildsprache, wie sie nur noch wenige Blockbuster besitzen.

Seitdem ich die Fortsetzung im Dezember das erste Mal auf der Leinwand gesehen habe, lässt mich ein Gedanke nicht mehr los: Was wäre passiert, wenn Cameron den Film zwei oder drei Jahre nach dem ersten Teil ins Kino gebracht und damit einen komplett anderen visuellen Standard für das Blockbuster-Kino der vergangenen Dekade festgelegt hätte? Denn Avatar: The Way of Water zeigt, was uns Marvel und Co. vorenthalten haben.

Avatar 2 holt die Kinobilder nach, die das MCU in der letzten Dekade vernachlässigt hat

Das gegenwärtige Blockbuster-Kino spaltet sich auf visueller Ebene in zwei Lager. Auf der einen Seite stehen wenige erlesene Filme, die bewusst an ihrer Bildsprache feilen und oft mit einem großen Regienamen verbunden sind. Auf der anderen Seite ballt sich eine Masse an Blockbustern, die dem immergleichen, undefinierbaren Look hinterherjagen, obwohl sie alle so toll aussehen könnten wie The Way of Water.

Hier könnt ihr den Trailer zu Avatar: The Way of Water schauen:

Avatar 2: The Way of the Water - Trailer (Deutsch) HD
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Das trifft vor allem auf die Filme des Marvel Cinematic Universe zu, die sich einem starren Hausstil unterordnen und kaum in der Lage sind, eigene Akzente zu setzen. Solange es pro Film den einen Hero-Shot gibt, werden für die übrige Laufzeit matschige Aufnahmen und lieblose Effekte in Kauf genommen. Kein Wunder, dass die Endschlacht in Avengers: Infinity War genauso trist aussieht wie die in Avengers: Endgame.

Dem gegenüber steht die prägnante Handschrift von Filmemachern wie Christopher Nolan (Tenet) und Denis Villeneuve (Dune). In Hollywood setzt man derzeit entweder auf eine völlig austauschbare oder eine extrem markante Ästhetik. An diesem Punkt kommt Avatar: The Way of Water als Mittler ins Spiel und erinnert uns daran, dass es keineswegs so sein muss. Cameron hat einen Blockbuster geschaffen, der noch mehr Mainstream in sich trägt als das MCU. Jedoch verzichtet er zu keiner Sekunde auf starke Bilder.

Mit Avatar 2 zeigt James Cameron, wie das MCU auf der großen Leinwand aussehen könnte

Natürlich verfügt nicht jede Produktion über die Ressourcen von Avatar: The Way of Water, der in einer Entstehung um die 400 Millionen US-Dollar gekostet haben soll. Selbst ohne die 3D-Technologie und das aufwendige Motion-Capture-Verfahren bleibt ein Film übrig, der mit richtigen Konturen, strahlenden Farben und räumlicher Tiefe aufwartet. Cameron hat für die Welt von Pandora ein klares visuelles Konzept entwickelt.

Avatar: The Way of Water

Egal, ob wir mit den Omatikaya durch den Wald wandern, mit den Metkayina die Tiefen des Ozeans erforschen oder mit den Himmelsmenschen eine Festung errichten: Camerons Avatar-Filme geben zu jeder Zeit ein Gefühl davon, wo wir uns befinden und was auf dem Spiel steht: ein komplexer Planet mit fragiler Natur und lebenden, fühlenden Menschen, Tieren und Pflanzen. Auf umwerfend schöne Sonnenuntergänge ist Cameron gar nicht angewiesen. Selbstverständlich hat er sie trotzdem untergebracht.

Camerons Inszenierung ist genauso universell wie die Geschichten, die er erzählt. Damit hat er im Grunde mehr mit dem MCU gemein als den Blockbuster-Exzentrikern Nolan, Villeneuve und Co. Im Traum aber würde es ihm nicht einfallen, die stärkste Sprache des Kinos zu vernachlässigen: Camerons Filme leben durch ihre kräftigen Bilder, die keine Kompromisse eingehen, sondern alle anderen Elemente inspirieren.

James Cameron versteht das Kino und ist deswegen nicht auf Marvels Mythologie angewiesen

Gerade in Bezug auf Avatar hält sich der Vorwurf, dass die Geschichte schon unzählige Male erzählt wurde. Sie ist konventionell, vorhersehbar. Warum das Cameron nicht stört? Weil er absolutes Vertrauen in die Möglichkeiten des Kinos hat. Wo sich das MCU in eine aufgeblasene Mythologie flüchtet, die nur auf der erzählenden Ebene funktioniert, verlässt sich Cameron auf Bilder, die selbst Geschichten erzählen.

Avatar: The Way of Water

Camerons Verständnis vom Kino mag naiv wirken, denn er zeigt genau das, was ihm als Erstes einfällt. Ein neuer Stern am Himmel? Das sind die riesigen Lichter von Raumschiffen, die sich Pandora nähern. Unaufhaltsam kommen sie auf den verträumten Planeten zu, landen und machen alles platt. Es gibt vermutlich deutlich elegantere, einfallsreichere Wege, um diesen Invasionsmoment zu inszenieren.

Schlussendlich überwältigt aber die Aufrichtigkeit und Unmittelbarkeit, mit der sich Cameron dem Medium und seinen Geschichten annähert. Er muss nichts behaupten, weil er nichts vortäuscht. Seine Filme werden von so vielen konkreten Ideen durchströmt, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. Ehe wir uns versehen, sind wir auf fremden Planeten und in fremden Körpern, weil es filmisch intuitiv erzählt wird.

Ein weiteres schönes Beispiel in Avatar: The Way of Water ist die Sonnenfinsternis, die mehrmals im Film eine Rolle spielt. Cameron zeigt sie uns zuerst als eines der vielen Wunder von Pandora, ehe sie im Finale den Himmel verdunkelt. Geradezu beiläufig signalisiert der Film, dass wir uns jetzt in der entscheidenden Phase befinden, wenn sich Flammen im Wasser spiegeln und Licht die Finsternis durchbricht.

Avatar 2 wird zum Event stilisiert, obwohl er der Standard des Blockbuster-Kinos sein sollte

Es ist eigentlich verblüffend, dass diese Art von Blockbuster nicht mehr Anklang findet. Hier kommen wir zur Krux: Mit den zwei Filmen, die wir jetzt haben, stilisiert sich Avatar zu einem besonderen Kinoevent. Das ist praktisch, um Hype zu genieren und bestimmte Box-Office-Zahlen zu erreichen. Was aber wäre, wenn Camerons Herangehensweise einfach zum neuen Blockbuster-Standard des Kinos werden würde?

Das bedeutet nicht, dass ab jetzt jeder Film im 3D-Gewand daherkommen und auf Motion-Capture zurückgreifen soll. Auch Budgets von 400 Millionen US-Dollar sind illusorisch, geradezu verantwortungslos, wenn keine größere Investition dahintersteckt. Doch das ist sowieso nur die Oberfläche von Avatar: The Way of Water. Im Kern hat Cameron eine Geschichte durch Bilder erzählt – und das machen gerade viel zu wenige Blockbuster.

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Sticht Avatar: The Way of Water für euch aus der Blockbuster-Masse heraus?

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