Kultregisseur meldet sich nach 7 Jahren mit Thriller zurück und erzählt die wahre Geschichte einer 63-stündigen Geiselnahme

05.09.2025 - 14:15 UhrVor 1 Minute aktualisiert
Dead Man's Wire
Balcony 9 Productions
Dead Man's Wire
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Nosferatu-Star Bill Skarsgård nimmt Rache an der Bank, die ihn ausgenommen hat, in Gus van Sants vergnüglichem True Crime-Thriller Dead Man's Wire.

Taucht Bill Skarsgård in einem Film auf, hat man es vermutlich nicht mit einer schnuckeligen Familienkomödie über einen Streichelzoo zu tun. Der Darsteller des Pennywise aus den beiden ES-Filmen und Sprössling des Skarsgård-Klans, hat sich auf Schurken, Horror-Monster und Antihelden spezialisiert, darunter zuletzt Nosferatu und The Crow. Für seinen neusten Film lässt er die umfangreiche Maskerade seiner bekanntesten Rollen bleiben.

Bill Skarsgård spielt einen realen Menschen in Dead Man's Wire, dem neuen Film von Good Will Hunting-Regisseur Gus van Sant. Der True-Crime-Thriller hat diese Woche seine Weltpremiere beim Filmfestival in Venedig gefeiert und zeigt Skarsgård in seiner normalsten Rolle seit Langem, nämlich einen derangierten Geiselnehmer in den 1970ern. Sein Opfer: Stranger Things-Star Dacre Montgomery.

Die wahre Geschichte wird in Dead Man's Wire von einem starken Bill Skarsgård getragen

In Dead Man's Wire wird die Geschichte von Tony Kiritsis (Bill Skarsgård) nacherzählt, genauer gesagt die 63 Stunden, die ihn landesweit bekannt machten. Kiritsis betritt an einem Dienstag im Jahr 1977 die Büroräume einer Hypothekenbank in Indianapolis. Da der Chef (Al Pacino) es sich in Florida gut gehen lässt, nimmt Tony mit dessen Sohn Richard (Dacre Montgomery) vorlieb.

Er nimmt Richard als Geisel und das nicht nur mit einem schnöden Revolver im Rücken. Tony hat eine komplizierte Vorrichtung aus Drähten und einer abgesägten Schrotflinte vorbereitet, die mit Richard Kopf verbunden ist. Wird Tony erschossen, löst sich automatisch ein Schuss, der auch der Geisel das Leben kosten muss.

Tony ist nämlich ein Bastler, der sogar seine Wohnung mit Sprengstoff abgesichert hat, und so findet er sich daheim mit Richard wieder. Draußen versammelt sich ein veritabler Zirkus aus Sendewagen, Polizisten und FBI. Drinnen steigert sich der Entführer in seine Revanche gegen die Bank hinein, die ihn bei einem Immobiliengeschäft übers Ohr gehauen haben soll. Für ein Stück weit Ruhe sorgt nur der Radiomoderator Fred Temple (Colman Domingo), der Tony ein offenes Ohr schenkt.

In Teilen ähnelt Dead Man's Wire deshalb einer Ein-Personen-Show auf engem Raum, mit Bill Skarsgårds Tony als Star, der am Telefon die Ungerechtigkeiten mit der Welt teilt, die ihm widerfahren sind. Alle anderen können nur in Schockstarre zuschauen, was für einen wahnwitzigen Coup dieser Typ geplant hat. Skarsgård hält dabei gekonnt die Balance zwischen einem Sympathieträger mit Volksheld-Ambitionen und einem psychisch labilen Verbrecher, der kurz davor ist, sein Opfer für immer zu traumatisieren – oder Schlimmeres. Man kann über Tonys absurde Forderungen und seine Verblendung lachen, seinen Zorn nachvollziehen und ihn trotzdem fürchten. Keine einfache Leistung für einen Schauspieler, aber Skarsgård bewältigt die Herausforderung, ohne zu dick aufzutragen.

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Stranger Things-Star Dacre Montgomery imponiert in dem Thriller

Noch mehr beeindruckt aber Tonys Gegenpart in der kleinen Wohnung. Dacre Montgomery, der als arroganter Billy Hargrove in der Netflix-Serie Stranger Things berühmt wurde, schenkt der psychischen Gewalt dieser Ausnahmesituation ein Gesicht. Er erinnert mit seiner gequälten und ermatteten Präsenz daran, dass Tonys Aktion, die in Kreisen der Öffentlichkeit zunehmend gefeiert wird, Konsequenzen hat. Diese hallen noch nach, wenn die Fernseh-Teams längst zum nächsten Spektakel weitergezogen sind.

Gus van Sant inszeniert das Drehbuch von Austin Kolodney als leichtfüßigen Thriller mit Anleihen bei Hundstage und dem chilligen Radio-Soundtrack einer morgendlichen Fahrt zur Arbeit. Obwohl der Film einen offensichtlich ernsten Kern hat, überwiegt ein vergnüglicher Eat-the-Rich-Ton, der Dead Man's Wire schnell vorbeiziehen lässt. Etwas zu schnell vermutlich, wenn man bedenkt, dass Gus van Sant damit eine siebenjährige Spielfilmpause beendet. Fast könnte man den Film abfällig als Fingerübung abtun, aber andererseits ist ein Gus van Sant-Film besser als gar keiner.

Im Kern erzählt Dead Man's Wire von zwei Männern im Räderwerk des amerikanischen Traums. Tony will finanziell ganz groß hinaus und als das scheitert, wählt er das nächstbeste Versprechen seiner Zeit: Er will ein Star werden. Richard wurde hingegen in eine Familie geboren, die schon oben angekommen ist, und muss die Geschäftspraktiken seines Vaters als Handlanger weitertragen. Beide werden von den TV-Crews als Unterhaltungsprogramm für die Öffentlichkeit ausgeschlachtet. Wer braucht da noch Hunger Games?

Wir haben Dead Man's Wire beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er diese Woche seine Weltpremiere gefeiert hat. Einen deutschen Kinostart gibt es noch nicht.

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