Joker im Kino: Was den DC-Film antreibt, haben die Hangover-Filme vorgemacht

12.10.2019 - 08:45 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Joker trifft Hangover - Wer braucht Bradley Cooper?
Warner Bros.
Joker trifft Hangover - Wer braucht Bradley Cooper?
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Ausgerechnet der Hangover-Regisseur dreht mit Joker eine düstere Comicverfilmung. Wir werfen einen Blick auf die Vita von Todd Phillips, der es irgendwie von Road Trip bis zum Goldenen Löwen von Venedig geschafft hat.

"Ich habe einen Dämon in mir", erklärt Stu gegen Ende von Hangover 2 und das ohne Clowns-Schminke im Gesicht. Da ist dem Wolfpack bereits ein halber Straßenzug in Bangkok zum Opfer gefallen. Als die Hangover-Trilogie ihre Schneise der Zerstörung durch die Kinos zog, hätte wohl kaum jemand geahnt, dass ihr Regisseur Todd Phillips mal mit dem Hauptpreis des ältesten Filmfestivals ausgezeichnet werden sollte.

Das geschah Anfang September, als der DC-Film Joker in Venedig den Goldenen Löwen erhielt. Das düstere Psychodrama über die Origin Story des berühmten Comic-Schurken mit Joaquin Phoenix wirkt zunächst deplatziert in der Filmografie des Regisseurs von Road Trip und Stichtag. Nun kichert der sich geradewegs in die Oscar-Saison. Doch eigentlich hat Todd Phillips schon immer Filme über Joker-Figuren gedreht - nur eben im Gewand von Dokus und Komödien.

Wie kommt man von Road Trip bis zum Joker?

Bevor er an Warner herantrat, um einen Standalone-DC-Film mit mittelgroßem Budget zu pitchen, war Todd Phillips bereits einer der einflussreichsten Comedy-Regisseure in den USA. Bei einem Budget von 35 Millionen Dollar sammelte sein Hangover 2009 weltweit über 460 Millionen Dollar ein.

Er machte Bradley Cooper und Zach Galifianakis zu Filmstars und trat eine Welle von R-Rated-Komödien los, in denen (weiße) Durchschnittstypen, die häufig aussehen wie Jason Bateman oder Ed Helms, durch lustige Szenarios mit höherer Altersfreigabe stolpern. Weil sie ein bisschen brutal sind, ein bisschen vulgär oder ein bisschen zu nackt.

Joker mit Joaquin Phoenix

Rückblickend antizipierten Todd Phillips Filme auf wundersame und/oder berechnende Weise Trends in Hollywood. Road Trip kam wenige Monate nach American Pie ins Kino und multiplizierte den harmlosen Toilettenhumor der Sexkomödie mal hundert. Old School von 2003 war einer der Frat Pack-Erfolge der frühen 2000er, mit Stars wie Will Ferrell und Vince Vaughn. Starsky & Hutch wiederum gehört zu den Vorläufern der Film-Reboots nostalgischer TV-Shows.

Nach Hangover sah jeder weitere Phillips-Film allerdings wie ein Versuch aus, den phänomenalen Absturz in Las Vegas zu wiederholen. Entweder weil er genau das in zwei Sequels tat - oder weil, wie in Stichtag mit Robert Downey Jr. und Zach Galifianakis, sich Themen und Personal überschnitten. Das Waffenhandeldrama War Dogs markierte einen zaghaften Schritt zu ernsteren Gefilden, den Joker vollendet. Wer Jonah Hills piksende Lache in dem Flop hört, könnte ihn mit einem Vorsprechen für einen DC-Animationsfilm verwechseln.

Joker hat einige Gemeinsamkeiten mit Phillips anderen Filmen

Trotz der augenscheinlichen Unterschiede ordnet sich Joker stimmig in die Filmografie von Todd Phillips ein. Das Setting im Gotham/New York Ende der 70er, Anfang der 80er dient sich dem in Brooklyn geborenen Phillips an. Sein Gespür für die chaotische Dichte einer Großstadt zeigt sich im Bangkok aus Hangover 2 genauso wie in Joker.

Hangover 2

Die Filme profitieren von einem durchdringenden Sinn für die Schichten von Städten. Häufig führen sie vom Bordstein bis zur Penthouse-Suite, vom miefigen Tattoo-Studio bis zum Dach eines Hochhauses oder eben von der ranzigen Wohnung Arthur Flecks bis zum Tor zu Thomas Waynes Anwesen.

Klischees werden dafür in Kauf genommen. Phillips ist nicht auf Realismus aus, bietet atmosphärisch aber einiges mehr als die zahllosen US-Komödien der letzten Jahre, in denen Städte so leblos wie Möbelhäuser inszeniert werden.

Die vielen Joker-Gesichter von Todd Phillips

Todd Phillips erster Film war eine Doku über den Punk-Sänger GG Allin, der sich bei Gigs selbst verletzte, mit Zuschauern kämpfte und schwor, er würde sich eines Tages auf der Bühne umbringen. "GG Allin ist ein Entertainer mit einer Message für eine kranke Gesellschaft", beginnt die Texttafel vor Hated von 1993, "er lässt uns auf das blicken, was wir wirklich sind". Das Zitat stammt von Serienmörder und "Killer Clown" John Wayne Gacy.

Mit Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) aus Joker kehrt Ko-Autor und Regisseur Todd Phillips zu seinen Anfängen zurück. Allin meint einmal in der Doku, dass er ein Mörder geworden wäre, hätte er nicht die Punk-Musik für sich entdeckt. Joker denkt diesen alternativen Lebenslauf weiter bis zur Geburt eines Bösewichts. Tatsächlich war Allin nur der Beginn einer Fixierung auf destruktive Männergestalten, die Phillips seit seinem ersten Spielfilm Road Trip in Komödien-Form presste.

War Dogs

Vor Joker war Zach Galifianakis das Gesicht des - nennen wir ihn mal - "Phillips-Mannes" schlechthin. Sein Alan mit dem Flauschebart lebt in Hangover noch bei den Eltern, hat keine Freunde, keinen Job und ist das personifizierte "arrested development". Seine Entwicklung ist irgendwo zwischen Kind und Erwachsenem stecken geblieben. Entsprechend erratisch benimmt er sich, befiehlt seine Mutter herum, dröhnt die Junggesellen heimlich zu oder rast mit einer enthaupteten Giraffe über den Highway.

Alan ist das, was in amerikanischen Komödien dieser Art erzählerisch ausgemerzt werden soll. Bei Phillips Zeitgenosse Judd Apatow geschieht das häufig durch undankbare Frauenrollen wie in Beim ersten Mal oder Superbad. Sie treiben einen Keil zwischen Freunde, lasten durch Babys Verantwortung auf usw. Die Helden müssen erwachsen werden und eine Partnerin finden, um ihre Triebe in geordnete Bahnen zu lenken.

Hangover: Chaotische Eskalation in Komödienform

Auch in den Hangover-Filmen warten die Frauen am Rand des Spielfelds, die Triebe allerdings eskalieren in Chaos und Gewalt. So verwandelt sich eine Nacht harmloser Grenzüberschreitungen vor der Hochzeit in einen schmerzvollen Raubzug mit Tigern, Polizeiautos und einem nackten Ken Jeong.

Joker mit Joaquin Phoenix

In Phillips' Filmen ist der Schritt zwischen einer Party und einer Schießerei nur ein kleiner. In ihren Versuchen, Freunde zu finden, lassen Galifianakis' Figuren in Hangover oder Stichtag schließlich jedes Verantwortungsbewusstsein hinter sich. Ihre Umgebung wird davon angesteckt.

Alan aus Hangover - der Ur-Joker?

Doch während Stu (Ed Helms) und Phil (Bradley Cooper) in ihr normales Leben zurückkehren, verharrt Alan auf der Stelle. Bis die Freunde ihn in Teil 3 retten müssen. Eine ganze Trilogie braucht es, um Alan den Handlungsbogen eines klassischen Komödienhelden made in Hollywood zu geben. Am Ende heiratet selbst er.

Arthur Fleck mag ein Comedian sein, aber in Joker ist er die ernst geschriebene Variante von Alan aus den Hangover-Filmen. Was in den Komödien zum Schrei nach psychologischer Hilfe nur anhebt, wird in Joker blutig ausbuchstabiert.

Arthur lebt bei seiner Mutter, hat keine Freunde und will dazugehören. Zum lachenden Publikum in einem Comedy-Club, zur kleinen Familie seiner Nachbarin, zu Thomas Waynes Stammbaum oder zu seinem Vaterersatz in der kleinen Mattscheibe, Late-Night-Moderator Murray (Robert De Niro). Sein Wolfpack findet er allerdings erst, nachdem er eine Waffe kriegt, abdrückt und bald lauter Clownsgesichter in den Straßen von Gotham auftauchen. Hätte er es doch mal mit Musik versucht.

Joker läuft seit Donnerstag in den deutschen Kinos.

Was sagt ihr zu den Filmen von Todd Philipps?

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