Die kleine Hexe - Ein Kunstwerk, das jede Traurigkeit vertreibt

22.11.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Die kleine Hexe
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Die kleine Hexe
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An diesem Film hängt mein Herz wirklich, denn es ist meiner Meinung nach einer der schönsten Kinderfilme der Welt. Packt die Zauberbücher aus, wir besuchen eine Hexe.

Es gibt so ein paar Filme, die machen einen beim Anschauen immer wieder zum Kind. Sie erinnern daran, wie einfach die Welt einmal war und dass es eine Zeit gab, in der das Gute immer gewonnen hat. Kinderfilme, die auf ebenso schlichte wie bezaubernde Weise eine universell gültige Botschaft präsentieren, ohne großes Effektfeuerwerk oder aufgesetzte Tragik. Irgendwie scheinen derartige Kinderfilme immer seltener zu werden. Darum geht mein heutiges, riesiges Herz für Klassiker an eine kleine deutsch-tschechische Zeichentrick-Perle: Die kleine Hexe von Zdenek Smetana.

Unverbrauchte Motive

Im Endeffekt ist die Handlung (adaptiert vom genialen Otfried Preußler) nichts anderes als die eines jeden Zauberlehrlings: Die Protagonistin ist anfangs stur und übermütig. Die kleine Hexe will trotz des Verbots schon mit den großen Hexen in der Walpurgisnacht tanzen. Es folgt die Ernüchterung und der Rückschlag. Sie wird erwischt, der Besen verbrannt und sie muss innerhalb eines Jahres lernen, eine gute Hexe zu sein. Trainingsmontage, schlussendlich der Showdown. Der große Vorteil von Preußlers Geschichte ist, dass sie zu einer Zeit erschien, als all das noch sehr unverbraucht war. Da hat Doctor Strange noch nicht als hundertster Magier versucht, seine Macht in die richtigen Bahnen zu leiten. Ohne den Zwang, ein abgenutztes Konzept neu zu erfinden, ist Die kleine Hexe grenzenlos kreativ und unterhaltsam. Der Film funktioniert dadurch noch Jahrzehnte später und das für alle Altersklassen.

Die "Montage" fällt hier sehr liebevoll aus. Die kleine Hexe vollbringt keine großartigen Kämpfe und rettet auch nicht die Welt. Unsere Zauberin muss mit ihrem Raben Abraxas keine großen Monster bekämpfen und nicht gegen interdimensionale Entitäten antreten. Sie lernt, durch kleine gute Taten ihre Fähigkeiten auszubauen. Reisigsammlern helfen oder einen Schneemann retten: Es sind wenig überdramatisierte, dafür umso menschlichere Momente, die sie stärker machen. Eine schlichte Unaufgeregtheit und universell gültige Motive, das ist der Kern der kleinen Hexe. Es bedarf keines Bombasts, um diese Hexe zur Heldin zu machen. Sie tritt auf der Ebene für das Gute ein, auf der wir selbst es auch können. Sie holt das Gute in den Menschen hervor und tut dies mit Humor und Augenzwinkern. Dabei ist der Film aber ganz und gar nicht spannungsarm. Auch kleine Gefechte und Siege zählen und können aufregend sein.

Gegner Nummer eins für Die kleine Hexe: Der bockige neue Besen

Der Glaube an das Gute im Menschen

Für Kinder ist es eigentlich eine ganz einfache Rechnung, dass am Ende alles gut wird und dass es Leute gibt, die einem im Zweifelsfall zur Hilfe eilen. Sie gehen mit derselben Kreativität und einfachen Denkweise an Probleme heran wie die kleine Hexe. Als Erwachsener neige ich manchmal dazu, genau das zu vergessen: Wenn ich mir die Nachrichten ansehe, erscheint mir die Welt furchtbar kalt und feindselig. Probleme zerdenke ich oft viel zu exzessiv. Dieser Film jedoch nimmt mich stets liebevoll in den Arm. Mit der Geborgenheit, die er vermittelt, ruft er mein inneres Kind wieder wach, das keinen Zweifel daran hat, dass wir die Welt mit kleinen guten Taten ein bisschen besser machen können. Dass, wer das Herz am rechten Fleck hat, von den fiesen Großen nichts zu befürchten hat. Und dass es unzählige Momente am Tag gibt, die das Leben zu dem Abenteuer machen, das es eigentlich ist. Das mag kitschig klingen, ist es aber bei diesem Film wirklich nicht. Er will uns seine Botschaft nicht krampfhaft aufzwingen, sie ist einfach da und lädt selbst vernagelte Erwachsene zum Nachdenken ein.

Ein absolutes Kunstwerk auf allen Ebenen

Die kleine Hexe vermeidet das Abdriften zu Kitsch oder Moralkeule aber nicht nur durch die großartige Romanvorlage. Vielmehr sind ihre Erzählwerkzeuge so kunstvoll und voller Zuneigung zum Stoff eingesetzt, dass jeder Mensch mit Herz verblüfft zusehen muss. Ich bin ein großer Fan von künstlerischer Handarbeit, sei es Zeichentrick oder Stop-Motion. Vielleicht, weil ich selbst viel Kreativarbeit betreibe und male, oder einfach, weil richtige Handwerkskunst eigentlich jeden ansprechen sollte. Dies hier ist ein Juwel derartiger Handwerkskunst, ein Zeichentrickfilm, der jedem Disney-Streifen Konkurrenz machen kann. Der Stil der Figuren ist so einzigartig, dass ich mir kaum zutrauen würde, ihn nachzuzeichnen (auch wenn ich nach diesem Text Lust dazu hätte). Sie sind liebenswert und mit ihrer sehr eingeschränkten Beweglichkeit doch ausdrucksstärker als viele computeranimierte Figuren heutzutage.

Die kleine Hexe - Clip Walpurgisnacht (Deutsch)
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Die Vertonung von Die kleine Hexe leistet ihr Übriges. Ich bin mit der Neufassung der Synchronisation aufgewachsen, konnte also durch das Fehlen von Gisela Trowe als einzige Sprecherin nicht enttäuscht werden. Die Sprecher Elke Wieditz und Hasso Billerbeck erwecken ihre Charaktere für mich gekonnt zum Leben, obwohl die gezeichneten Münder sich eigentlich nie bewegen. Die Musik von Petr Skoumal ist unverkennbar und ich kann sie selbst nach fast zwei Jahrzehnten immer sofort wiedererkennen. Die geschaffenen Themen und Motive sind buchstäblich märchenhaft und versetzen zumindest mich in einen Zustand völliger Glückseligkeit.

Selbst mit dem Blick eines skeptischen Erwachsenen blicke ich nicht nur aus nostalgischen Gründen mit bedingungslosem Wohlwollen auf Die kleine Hexe. Die Leidenschaft der Macher und die Liebe zur Geschichte steckt bei diesem Film in jeder Note, jedem Schnitt, jedem Bild und jedem Wort. So hat er sich auch meine Liebe auf ewig gesichert.


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