Wieso Women without Men im Iran niemals im Kino laufen wird

02.07.2010 - 08:50 Uhr
Regisseurin Shirin Neshat
Lina Bertucci
Regisseurin Shirin Neshat
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Shirin Neshat verfilmte mit Women Without Men den zur Zeit meistgelesenen Roman in Farsi, der Sprache Irans. Die Regisseurin beantwortet bei uns interessante Fragen zum Film, zu ihren Arbeiten als Künstlerin und zum Buch.

Der Roman “Women without Men” von Shahrnoush Parsipour spielt mit Metaphern auf Freiheit, Politik und Religion. Er handelt in der Epoche um den August 1953, welche unter die einzige demokratische Phase des Iran einen jähen Schlussstrich setzte. Im Zentrum der Geschichte steht ein Garten, der in der iranischen Kultur vielerlei Sinnbilder besitzt.

Shirin Neshat machte sich bisher international als gefragte Videokünstlerin einen großen Namen. Ihre Werke thematisieren oft das Thema Frauen im Iran, sowie die unorthodoxen und humanistischen Seiten des Islam. Man kann sich vorstellen, dass ihre Kunst bei den Mächtigen im Iran für heftige Kontroversen und Verbote sorgt, so wie auch der Roman von Shahrnoush Parsipour dort nur zensiert erscheinen darf. Die Autorin des Romans lebt im Exil in Kalifornien.

Mit Martin Gschlacht stand der Haus- und Hofkameramann des österreichischen Autorenfilms (Immer nie am Meer, Lourdes) für Women Without Men hinter der Kamera und sorgte für interessante, fast mystische Bilder. Women Without Men ist Neshats Debüt als Spielfilmregisseurin. Warum der Film trotz seines politisch brisanten Inhalts gar nicht so politisch ist, das verrät die Regisseurin Shirin Neshat in einem Interview.

Fragen an Shirin Neshat:

Sie kamen erst 1957 zur Welt. Können Sie trotzdem den Einfluss beschreiben, den der August 1953 auf Ihre Familie hatte?
Shirin Neshat: Zu der Zeit, als ich geboren wurde, war es fast zu einem Tabu geworden, über den Staatsstreich von 1953 offen zu sprechen, deshalb kann ich mich kaum an Diskussionen, sogar innerhalb der eigenen Familie, erinnern. Erst viel später habe ich erfahren, dass einige meiner nächsten Verwandten und Freunde der Familie Sympathisanten von Dr. Mossadegh und eigentlich Kommunisten waren, die es aber nie wagten, darüber zu sprechen.

Die Realität war, dass der Schah direkt nach dem Staatsstreich die totale Kontrolle über das Land, einschließlich des Militärs übernahm und die iranische Gesellschaft von einer einst demokratischen in eine Art diktatorische verwandelte, indem er das Volk durch die Geheimpolizei SAVAK strengstens überwachen ließ. Es war deshalb sehr problematisch, den Schah sogar bei privaten Zusammenkünften zu kritisieren, weil bekannt war, dass auch normale Bürger als Agenten für die SAVAK arbeiteten. Nichtsdestotrotz formierte sich landesweit eine große studentische Oppositionsbewegung gegen den Schah und seine ausländischen Alliierten, vor allem gegen die USA. Diese studentische Bewegung führte schließlich zur Bildung der Islamischen Revolution 1979. Der Rahmen der Geschichte ist ein grundlegendes Ereignis in der Nahostpolitik – die erste und letzte demokratische Phase im Iran – dennoch hört man heutzutage kaum etwas darüber.

Warum ist der August 1953 außerhalb des Nahen Ostens so unbekannt?
Shirin Neshat: Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe den Eindruck, dass die westliche Öffentlichkeit erst seit dem 11. September 2001 eine größere Neugier und ein Interesse an islamischen und anderen Kulturen des Nahen Ostens und ihrer Geschichte entwickelt hat. Soweit ich weiß, haben in jüngster Zeit sehr wenige Wissenschaftler auf den von der CIA organisierten Coup von 1953 verwiesen, der direkt für die Entstehung der Islamischen Revolution 1979 verantwortlich war. Ich glaube, dass sich der Blick zurück in die Geschichte als hilfreich erweisen kann, um einige Ursachen des Konflikts zwischen der westlichen und muslimischen Welt zu verstehen, wie z.B. in der Tat im Iran Muslime zum Opfer krimineller Machenschaften der großen westlichen Mächte wie den Vereinigten
Staaten und den Briten wurden.

Was waren Ihre ersten Gedanken, als sie Shahrnush Parsipurs Roman “Women without Men” lasen? Können Sie uns erzählen, wie Sie auf das Buch aufmerksam wurden und was Sie dazu veranlasste, es als Spielfilm zu adaptieren?
Shirin Neshat: “Women Without Men” ist ein sehr bekanntes Buch im Iran und Shahrnush Parsipur ist gewiss eine der am meisten gefeierten lebenden iranischen Autorinnen. Bereits als junge Frau war ich mit ihren Büchern vertraut und vor allem von ihrer Vorstellungskraft und ihrem surrealistischen Schreibstil fasziniert, der sich hervorragend für einen Film mit einer ausgesprochen starken Bildsprache anbietet. Allerdings interessierte ich mich erst 2002 dafür, einen Spielfilm zu drehen. Auf der Suche nach einem passenden Stoff erinnerte mich ein befreundeter Wissenschaftler, Professor Hamid Dabashi von der Columbia University, wieder an diesen Roman.

Ich wusste sehr schnell, dass “Women Without Men” die richtige Geschichte für mich war. Es verhandelt einerseits komplexe Themen der soziopolitischen, religiösen und historischen Realitäten Irans und ist zugleich voller tiefgründiger persönlicher, emotionaler, philosophischer und allgemeingültiger Motive, die jede Vorstellung von Zeit und Ort überwinden. Außerdem war ich extrem berührt von der Poesie des Romans, wie darin Symbole und Metaphern verwendet werden, wie etwa der Garten, in dem die Frauen Zuflucht finden, der wie ein Ort des „Exils“ funktioniert, ein Thema, das für viele von uns Iranern ebenso schmerzlich wie relevant ist.

Haben Sie zu Shahrnoush Parsipour eine Freundschaft entwickelt? Können Sie die Zusammenarbeit mit ihr beschreiben und wie ihre Werke allgemein Ihre eigene Arbeit als Künstlerin beeinflusst haben?
Shirin Neshat: Als ich mich für das Projekt entschieden hatte, habe ich mich sofort auf die Suche nach ihr gemacht. Ich fand heraus, dass sie in Nordkalifornien lebt. Also machte ich mich auf den Weg. Seit dieser ersten Begegnung ist sie eine wichtige Kraft in meinem Leben, wegen ihrer Werke und als Frau, die mehr Schmerz ertragen hat als irgendjemand sonst, den ich kenne. Jahre der Gefangenschaft, die Trennung von ihrem Kind, Armut und Krankheit. Trotzdem ist Shahrnush einer der positivsten und optimistischsten Menschen geblieben, die mir jemals begegnet sind. Es war besonders bewegend, als sie zustimmte, eine Rolle in dem Film zu übernehmen. Sie spielt die “Madame” des Bordells in Zarins Geschichte.

Wie gingen Sie bei der Adaption des Buches vor?
Shirin Neshat: Ich wusste, dass es eine große Herausforderung sein würde, vor allem weil man simultan fünf Hauptfiguren folgen muss, von denen jede einzelne in ihrem Wesen, ihren Sehnsüchten und ihren gesellschaftlichen Pflichten einzigartig ist. Einige Charaktere waren so surreal, dass sie der Erzählung etwas Märchenhaftes verliehen, zum Beispiel Mahdokht, die Frau, die mit ihrem Menschsein nicht zurecht kam und sich schließlich in einen Baum verwandelt. Am Ende strichen wir deshalb Mahdokht aus dem Drehbuch. Wie man im Film sieht, haben Munis und Zarin ein sehr magisches Wesen, während Faezeh und Fakhri sehr realistisch bleiben. In Parsipurs Roman wurde die politische Dimension nur als Hintergrund der Leben dieser Frauen erwähnt. Ich aber beschloss, die Erzählung zu erweitern, indem ich die historische, politische Krise dieser Zeit stärker in den Mittelpunkt rücke: der von den Amerikanern organisierte Staatsstreich, der Dr. Mossadeghs Regierung stürzte. Ich ging soweit, Munis, eine der Hauptfiguren des Films, als politische Aktivistin umzuschreiben. So folgen wir durch Munis den politischen Entwicklungen.

Offenkundig war es nicht möglich, den Film vor Ort im Iran zu drehen. Wo haben Sie stattdessen gefilmt?
Shirin Neshat: Wir haben den Film in Casablanca, Marokko, gedreht. Vor allem, weil wir fanden, dass Casablanca ganz wunderbar dem Teheran der 1950er Jahre ähnelt. Aber auch, weil ich bereits mehrmals in Marokko gearbeitet hatte und dort gute, hilfreiche Kontakte hatte. Letzlich blieb nur die Frage, wie wir Teheran in Casablanca nachbauen konnten!

Wie wurde Ihre Fotoserie “Women of Allah” im Iran aufgenommen und welche Reaktionen erwarten Sie dort auf Ihren Film?
Shirin Neshat: Die “Women of Allah”-Serie wurde im Iran nie öffentlich ausgestellt und selbst die Abdrucke in den Medien sorgten für eine große Diskussion. Viele Offizielle fanden die Fotografien subversiv und kritisierten sie, selbst wenn sie ihre Bedeutung und das Konzept nicht ganz verstanden haben. Ich habe den Verdacht, dass Women Without Men keine Aufführungsgenehmigung im Iran erhalten wird, zum Teil wegen meiner eigenen Vorgeschichte als Künstlerin, aber hauptsächlich wegen der Kontroverse um den Roman, der seit seinem Erscheinen im Iran verboten ist. Und am offensichtlichsten wegen der gelegentlichen Nacktszenen im Film.

Können Sie uns den gesättigten Look des Films erläutern und was Sie damit erreichen wollten? Vor allem der starke Kontrast zwischen den Sepiafarben der Teheranszenen und der farbenfroheren Texturen des Gartens. Worauf zielen Sie bei einem derart starken Unterschied zwischen den Innen- und Außenwelten?*
Shirin Neshat: Die Frage von Farbe oder deren Abwesenheit war schon immer wichtiger Teil meiner künstlerischen Arbeit. Zum Beispiel fühlte ich bei der Serie “Women of Allah” die Ernsthaftigkeit des Themas: für die Porträts revolutionärer, militanter Frauen boten sich eher kontrastreiche Schwarzweißbilder an. Ebenso im Fall von Videoinstallationen wie “Rapture” oder “Turbulent”, wo es um die Vorstellungen von ‘Gegensätzen’ ging. Auch da half mir der Kontrast von Schwarzweiß, um die Dichotomie zwischen den Geschlechtern in der islamischen Kultur zu betonen. Aber im Fall von Women Without Men fand ich es interessanter, gesättigte Farben zu verwenden, vor allem, um der Ära Tribut zu zollen, in der der Film spielt, den 1950er Jahren. Allerdings ändert sich während des Films das Farbschema zwischen dem Garten, der recht farbenfroh ist und den Szenen der Straßenproteste, denen ich absichtlich die Farbe entzog, um den Bildern eine Art archivarisches Aussehen zu verleihen.

Können Sie etwas über die Besetzung des Films sagen – haben sie professionelle Schauspielerinnen ausgewählt oder haben Sie die Rollen mit Unbekannten besetzt?
Shirin Neshat: Die Besetzung des Films war eine ziemliche Herausforderung, da uns von Anfang an klar war, dass es unmöglich sein würde, im Iran lebende iranische Schauspielerinnen zu nehmen. Wir waren also auf Darstellerinnen beschränkt, die in Europa leben. Dann wurde es zum Problem, dass die meisten europäischen Iraner der zweiten Generation Farsi mit einem Akzent sprechen. Der Casting-Prozess zog sich so über anderthalb Jahre hin. Wir arbeiteten mit einer wunderbaren österreichischen Casting-Agentur zusammen, die quer durch ganz Europa reiste, um uns einige der talentiertesten iranischen Schauspielerinnen vorzustellen. Alle Hauptdarstellerinnen sind Schauspielerinnen, und ich lud meine Freundin Arita Shahrzad ein, Fakhri zu spielen. Arita ist Malerin, hat mit mir an einem Kurzfilm gearbeitet und ist mein Lieblingsmodel für meine Fotografien. Ich sollte außerdem erwähnen, dass Orsolya Tóth, die in der Rolle der Zarin zu sehen ist, eine ungarische Schauspielerin ist, die ich durch ihre wundervolle Darstellung in dem Film Delta kennenlernte.

Sie sind offensichtlich vom Bild des Tschadors begeistert. Ist diese Faszination rein filmisch oder ist da etwas Tieferes?
Shirin Neshat: Mein Interesse am Schleier oder Tschador hat sowohl ästhetische als auch metaphorische Gründe. Der Schleier war schon immer ein komplexes Thema. Einige sehen darin ein “exotisches” Zeichen, andere halten ihn für ein Symbol der “Unterdrückung”, während er wiederum für andere ein Symbol von “Freiheit” darstellt. Der Schleier scheint eine westliche Kontroverse zu bleiben. Viele muslimische Frauen tragen ihn in der Öffentlichkeit, ohne dass er für sie politisch aufgeladen ist. Da Women Without Men in den 1950er Jahren spielt, als Frauen tatsächlich eine “Wahl” hatten, was den Schleier betrifft, haben wir Frauen wie Munis und Faezeh, die permanent verschleiert sind und Fakhri, die verwestlicht und modebewusst ist und ihn überhaupt nicht trägt.

Der Garten spielt eine wichtige Rolle sowohl in der persischen Kultur als auch in Ihrer eigenen Biografie. Was ist für Sie die wichtigste Bedeutung des Gartens – in Ihrer Kultur, Ihrem Werk und in diesem Film?
Shirin Neshat: Das Konzept des Gartens stand im Mittelpunkt der mystischen Literatur in der persischen und insgesamt in der islamischen Tradition, etwa in der klassischen Dichtkunst von Hafez, Khayyam und Rumi, in der vom Garten als einem Ort “spiritueller Transzendenz” die Rede ist. In der iranischen Kultur wurde der Garten auch politisch verstanden, mit Ideen wie “Exil”, “Unabhängigkeit” und “Freiheit” assoziiert. Ich habe einige videobasierte Werke geschaffen, die den symbolischen Wert des Gartens in der islamischen Tradition erkunden. Zum Beispiel war in meiner kurzen Videoinstallation “Tooba” der Kern des Films der Baum von Tooba, ein mystischer Baum, der als heilig betrachtet wird, ein “gelobter Baum” im Paradies. Ich schuf einen imaginären Garten, in dessen Mitte der Baum von Tooba stand, während eine Gruppe von Menschen auf ihn zulief, um Zuflucht zu finden. Sowohl in “Tooba” als auch in Women Without Men ist der Garten ein Ort des Exils, der Zuflucht, eine Oase, in der man sich sicher und geschützt fühlen kann.

(mit Materialien des nfp Filmverleihs erstellt)

Women Without Men startet am 01. Juli in den deutschen Kinos. Wenn ihr euren Sommerabend mit Poesie und Anspruch bereichern wollt, dann schaut in unserem Kinoprogramm nach, ob der Film in Eurer Nähe läuft.

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