Kapitalisten, Kotztüten & Konzentrationslager

15.02.2011 - 08:50 Uhr
Olos Diary: Cave of Forgotten Dreams
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Olos Diary: Cave of Forgotten Dreams
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Tag 5 hielt so manche Überraschung für mich bereit. Es war auch der Tag der Dokumentationen, von Werner Herzogs 3D-Doku Cave of Forgotten Dreams und des gestohlen geglaubten Khodorkovsky.

Mein fünfter Tag an der Berlinale sollte mich eines lehren: Planung ist gut, Geduld und Höflichkeit sind besser. Oder verwechsle ich da was und die Lehre war stattdessen: Lege dich nicht mit einer angepissten Meute Journalisten an?

Khodorkovsky
Aber alles der Reihe nach. Der Montag stand im Zeichen des reichsten Russen und ehemals reichten Menschen der Welt unter 40 Mikhail Khodorkovsky – in einer Zeit als Mark Zuckerberg bestenfalls noch mit dem Game Boy spielte – und der gleichnamigen, Putin-kritische Dokumentation Khodorkovsky des deutschen Regisseurs Cyril Tuschi. Ein Film, der im Vorfeld der Berlinale aus den Büros des Filmemachers von Unbekannten gestohlen worden sein soll und nur gezeigt werden konnte, weil die Berlinale zu dem Zeitpunkt bereits eine Kopie ausgehändigt wurde. Es wird immer noch gerätselt, ob ein selten dämlicher Geheimdienst oder eine begnadete PR-Agentur dahinter steckt, wobei es letzten Endes keinen Unterschied macht, der Medienball kam ins Rollen.

Angestachelt durch den vermeintlichen Raub der Filmkopie, stand der Film plötzlich im Mittelpunkt des Medieninteresses und wurde zum Tagesgespräch. Jeder Journalist musste sich nun, ob er wollte oder nicht, mit dem Film beschäftigen und der Andrang bei der Pressevorführung war dementsprechend groß. Was die Journalisten aber nicht wussten, die Pressevorführung wurde unangekündigt auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und es versteht sich, dass zahlenden Gästen, die für ihr Ticket auch Schlange stehen mussten beim Einlass den Vorzug gegeben wurde. Was den Journalisten, die bereits 30 Minuten oder länger vor den Kinotüren standen, sauer auf stieß und entsprechend durch passiv-aggressives Verhalten ausgedrückt wurde. Je näher der Start der Vorführung rückte, desto lauter wurden die Stimmen, dass dieses Jahr die Organisation der Berlinale ach so schlecht sei, es eine Zumutung und die Beschwerde nur eine Formalität sei und so weiter und so fort. Der Höhepunkt war, als die Journalisten die immer zahlreicher vor den Treppen zum Kino International standen, den Einlass für die Ticketinhaber fast unmöglich machten und auch die Rufe sowie Anweisungen der Kinoangestellten nicht mehr durchdrangen.

Khodorkovsky wurde eine Stunde später in einer kurzfristig angesetzten Vorführung nochmals gezeigt und es stellte sich heraus, dass der Rummel das dahinter stehende Werk überstrahlte. Vielleicht fehlte auch mir einfach der Sinn für den Film, aber ich konnte für einen Kapitalisten, einem der reichsten Superreichen Russlands, nicht viel Sympathie aufbringen, selbst wenn es sich dabei um den nettesten unter den Oligarchen handelte. Mikhail Khodorkovsky mag zu Unrecht wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis gesteckt worden sein. Auch wenn meine Antipathie gegenüber Wladimir Putin noch so ausgeprägt ist – der ehemalige Leader Russlands ist für mich der Inbegriff für Korruption, Machtmissbrauch, Gewissens- und Rücksichtslosigkeit, Chauvinismus, denkt euch die Liste beliebig weiter – doch Putin wird von der Dokumentation weder direkt bloßgestellt noch wirklich kritisiert. Der ganze Film umschwebt die Angst vor Konsequenzen, die Angst vor einer Macht, die diesen kleinen Film übersteigt. Stattdessen wird Khodorkovskys Leben aufgerollt, sein Aufstieg und sein Fall mit netten Animationen bebildert und am Ende auf die Ungerechtigkeit hingewiesen. Die Message des Films: Die Welt wird von Interessen und Werten gelenkt, mit anderen Worten: Von Geld. Was für eine Offenbarung…

Cave of Forgotten Dreams
Werner Herzog folgte mit seiner 3D-Höhlendokumentation Die Höhle der vergessenen Träume über die ältesten bislang bekannten Höhlenmalereien einem kleineren Anspruch und konzentrierte sich darauf, die Schönheit der Natur und der kulturellen Anfänge der Menschheit in greifbare Bilder einzufangen. Und greifbar wurden die vom Wasser der Jahrtausende abgeschliffenen Felswände wirklich. Mit einer neuen Art von 3D-Handkamera war Werner Herzog nun in der Lage, auch die Tiefen von unzugänglichen Orten wie einer Höhle stereoskopisch einzufangen. Ein Novum, bislang war sich der Zuschauer nur ruhige 3D-Kamerafahrten auf Kränen, Schienen oder anderen aufwändigen Rigs gewohnt.

Nun wird zusätzlich eine Wackelkamera-Ästhetik eingesetzt, die einem einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns in Zukunft erwartet, bietet. Sollte Untitled Cloverfield Sequel jemals gedreht und in 3D umgesetzt werden, sollten neben den 3D-Brillen wohl auch Kotztüten verteilt werden. Denn für das unerfahrene Auge kostet es einige Anstrengung, die Tiefe mit den unkoordinierten Bewegungen zu verarbeiten. Das eröffnet neue Möglichkeiten für Regisseure, aber verlangt dem Zuschauer einiges ab. Die Höhle der vergessenen Träume fesselt thematisch als auch optisch, vermag aber nicht das Interesse des Zuschauers über seine ganze Dauer aufrecht zu erhalten. Zu ziellos springt Werner Herzog durch die Höhle und beginnt sich in seinen Ausführungen zu wiederholen. Auch verliert sich der Regisseur in seinem für ihn typischen Pathos. Er stellt sich immer und immer wieder die Frage, was die Künstler, als sie vor 35000 Jahren die Malereien schufen, bewegt und gefühlt haben mochten. Der unfreiwillig komische Höhepunkt erreicht Werner Herzogs Streben nach dem emotionalen Kern der Höhle, wenn er einen Albino Alligator rhetorische Fragen zu stellen beginnt.

Als schönster Moment des Films darf der Augenblick bezeichnet werden, als Die Höhle der vergessenen Träume versucht, die für uns Zuschauer unbegreifliche Stille der Höhle zu vermitteln. Nur der eigene Herzschlag ist zu hören, wenn die Höhlenbesucher regungslos der Höhle lauschen. Auch wenn der Zuschauer diese Erfahrung aufgrund der Kinolüftung oder der Hustanfälle des Sitznachbarn nicht wirklich nachempfinden kann, kommt diese Szene der Vorstellung davon sehr, sehr nahe und schafft es auf diese Art, die Ewigkeit, die diese Höhle mit ihren frisch konservierten Malereien überdauerte, begreiflich zu machen.

Zu “guter” Letzt
Und dann gab es noch eine andere Form von “Dokumentation”. Uwe Boll präsentierte am Abend zuvor seinen eigene Interpretation des Holocaust abseits der Berlinale. Ob der Film der Negativerwartung gerecht wird oder ob Uwe Bolls improvisierte Pressekonferenz auch verwertbare Informationen ans Licht brachte, könnt ihr im entsprechenden Artikel Uwe Boll gegen den Rest der Welt entnehmen. Wie es zu erwarten war, sollte es sich bitter rächen, dass ich Uwe Boll den Vorzug vor Werner Herzog gab.

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