Kora Terry - Madonnen, Huren, Gassenhauer

15.02.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Warum soll ich treu sein?
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/moviepilot
Warum soll ich treu sein?
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Diese Woche taucht der Kommentar der Woche in die dunkleren Jahre der deutschen Filmgeschichte ein und fördert, inmitten von Melodram und Schlagern, die vergessene Meisterleistung eines Ufa-Stars hervor: Kora Terry.

Im Kommentar der Woche versuchen wir jede Woche einen eurer zahlreichen Kommentare zu feiern, egal ob kurz oder ausführlich, alt oder neu, gut oder böse, zu einem Kassenschlager oder einem Geheimtipp – die Voraussetzungen für den Kommentar der Woche kann theoretisch jeder Kommentar erfüllen. Wenn ihr über einen gestolpert seid, der euch besonders gut gefallen hat, schlagt ihn uns vor, am besten per Nachricht wie auch diese Woche.

Der Kommentar der Woche
Während Marika Rökk in Kora Terry im Kampf der Frauenrollen gegen sich selbst antritt, entdeckt christian.witte.1987 ein kleines, oft übersehenes Filmjuwel der Ufa-Jahre:

Nun denn, wenn sich jemand wie ich schon intensiv mit filmschaffenden Gestalten aus dem Dritten Reich wie Veit Harlan und dessen Ehefrau & Muse Kristina Söderbaum beschäftigt, ist man nicht allzu weit davon entfernt, auch mal das Gespann Georg Jacoby (Regisseur) / Marika Rökk (Hauptdarstellerin) zu betrachten, welches ebenfalls unter der Nazi-Herschafft ab 1936 (Heißes Blut) zusammendrehte, ’44 heiratete und bis in die späten 50er Jahre sogar Filme fürs Nachkriegsdeutschland anfertigte. Kora Terry von 1940 war eine ihrer Erzeugnisse aus besagtem Zeitraum und behalf sich natürlich effektiv der Starpower seiner Hauptdarstellerin: der ungarischen Tänzerin Marika Rökk, welche ihre schauspielerischen und artistischen Fähigkeiten, die sie sich zwischen Moulin Rouge und dem Broadway angelernt hatte, hier in einer Doppelrolle aufspielen durfte.

Als Kora und Mara Terry, ein berüchtigtes und beliebtes Varieté-Tänzerinnen-Zwillingsduo, wechselt sie stets selbstsicher zwischen Gut und Böse, wobei in jenen Sequenzen mit ihrer ‘Schwester’ immer ein Double dabei steht, welches meist nur im Profil zu sehen ist, ab und an aber in frontaler Ansicht das Publikum anblickt, im Umschnitt aufs Detail dann wiederum von der Rökk verkörpert wird. Diese ‘Schummelei’ funktioniert an sich eigentlich ganz gut (weil es, vor allem in den Tanzsequenzen, einfach nicht anders zu lösen war), wirkt dennoch allein von der natürlichen, augenscheinlichen Dissonanz zwischen Original & ‘Fälschung’ befremdlich – zwar nicht so offensichtlich, aber dennoch leicht zu entschlüsseln, wie in Sam Firstenbergs American Fighter 2, der in einer recht witzigen Sequenz ein verschämt-dreinblickendes Dudikoff-Double in einer Halbnahe an der Kamera vorbeischlendern lässt.

Wie dem auch sei, der Film drängt ohnehin darauf, dass man Kora und Mara aufgrund der jeweiligen Charakterzeichnung streng trennt. So verkörpert die offensiv-gewitzte, verrucht-schlagfertige und vor Sexappeal strotzende Kora den Archetypen vom Nazi-Feindbild der verführerischen, betrügerischen und vornehmlich brünetten Frau (man denke da nur an Goebbels uneheliche Liebschaft mit Lída Baarová, welche er aufgrund seiner Ehe zu Magda Goebbels in aller Öffentlichkeit treueschwörend beendete – als Reichspropagandaminister drängte er sodann stets darauf, diesen ‘Wandel’ im Narrativ der unter seiner Aufsicht zu produzierenden Filmen zu thematisieren). So begeht die Dame von Welt also Unmengen von unmoralischen Handlungen: sie schnorrt Kohle bei jedermann; klaut einflussreichen Männern wichtige Dokumente, um sie sodann erpressen zu können; vernachlässigt ihre eigene Tochter Ilona und spannt ihrer Schwester den potenziellen Liebhaber – den Komponisten Michael Varany – aus, den sie allerdings nur dafür benutzt, um einen flotten Schlager zu schreiben, in welchem sie bezeichnenderweise die Sinnlosigkeit der Treue besingt; daraufhin setzt sie ihn vor die Tür (bzw. verhindert ihm ein Engagement für ihre Tournee nach Afrika).

Im Vergleich dazu steht ihr mit wachsamen und gutmeinenden Auge ihre engelsgleiche Zwillingsschwester Mara gegenüber, die insofern weit langweiligere Protagonistin dieser Geschichte. Sie ist (weit mehr als ihre Schwester) blond und bescheiden, will sich mit naiven, schmalzigen Chansons über die Liebe profilieren und wird dafür vom Publikum nur hämisch ausgelacht. Da ihr so der Erfolg nicht zu Kopf steigen kann, ist sie sodann die Einzige, die sich wirklich um Koras Tochter Ilona kümmert – kriegt sogar deftigen Anschiss von ihrer Schwester, als diese erfährt, dass sie Ilona auf ein Internat geschickt hat, während beide Geschwister in Afrika auftreten, damit “aus ihr wenigstens noch was wird”.

Dennoch kommt man als Zuschauer nicht umhin, Kora weit reizvoller zu finden, welche mit ihrer offenherzigen Sexualität erregend-verknotende Bauchtänze inkl. Glitzer-Bikini aufs Parkett legt und sich dabei mit Phallus-artigen Schlangen einwickelt – eine offensichtliche Steilvorlage für Salma Hayeks aufbrausend-erotische Verkörperung der Satanico Pandemonium in From Dusk Till Dawn. Deren Köpfe setzt sie dabei so nah an ihren devoten, empfänglich-gierigen Mund an, dass sie sich zum Kuss mit deren Zungen hinreißen lässt. Da braucht man nicht viel Vorstellungskraft, um in jener Situation metaphorisch-visualisierten Oralsex zu erkennen. Ein wirklich tolles und äußerst heißes Eisen!

Noch heißer wird es allerdings für Kora, als ausländische Spione von ihrem Klau einer brisanten Zeichnung erfahren und sie sodann für den erweiterten Vaterlandsverrat rekrutieren wollen, gegen ein großzügiges Honorar versteht sich. Darauf lässt sie sich bereitwillig ein, doch Mara, ganz treu und gerecht, will das nicht zulassen und geht in ihrer Verzweiflung voll aufs Ganze: Sie schießt Kora unverhältnismäßig brutal über den Haufen, doch ihr Mentor Tobs nimmt die Schuld auf sich, damit sie sich weiterhin um Ilona kümmern kann. Allerdings haben die beiden daher auch den Einfall, dass Mara von nun an den Vornamen ihrer Schwester benutzt, sich selbst quasi für tot erklärt und unter dem Banner ihrer erfolgreicheren Partnerin auftritt.

In dieser Konsequenz kämpft sie fortan mit von Kora hinterlassenen Problemen, wird zudem von jenen Spionen erpresst, denen sie nun die Zusammenarbeit entsagt und muss sich von vielen Betrogenen und Verletzten Mordvorwürfe und andere Gemeinheiten gefallen lassen. Doch diese Last nimmt sie nun mal schweren Herzens, aber voller Demut auf sich – es geht ihr nun um ultimative Wiedergutmachung, im aufopferungsvollen christlichen Stil. Und dazu zählt auch, dass sie mit ihrer neugewonnenen Macht auch Gutes tut: so läuft auf den Weltbühnen unter dem Programmpunkt ‘Kora Terry’ auf einmal höchst harmloses, friedfertiges und braves Liedgut, passend dazu mit idealistischer Heimatkulisse in der Gestaltung der Gesangsnummern – komisch, dass dieser Stilwandel niemandem auffällt, stattdessen vom Publikum abgefeiert wird. Der Einzige, der davon natürlich positive Kenntnis nimmt, ist ihr Verflossener Varany und so nutzt sie die Gunst der Stunde, wieder mit ihm anzubandeln, damit die anfänglich etablierte Romanze doch noch ihren vorhersehbaren Abschluss erhält.

Doch zuvor muss sie sich noch vor Gericht verantworten, schließlich haben die Spione sie bei der Kripo verpfiffen, welche ihr jetzt den damaligen Raub zur Last legt und mit der Todesstrafe droht. So kommt die Wahrheit doch noch raus, jedoch sie muss sich keinerlei Sorgen machen, sich wegen Identitätsberaubung oder Ähnlichem verantworten zu müssen. Nein, stattdessen lobt man sie, dem Vaterland gedient zu haben und feiert daraufhin, jetzt endlich mit ihrem richtigen Vornamen, noch größere Erfolge beim Publikum. Ein Goebbels-Märchen, wie es im Buche steht – wo Mord an der eigenen, BÖSEN Schwester gerechtfertigt ist und belohnt wird. Doch bei Maras letzten Tanz kann man ihr immerhin noch ständig unter den Rock gucken, also ist der Geist von Kora doch noch längst nicht ausgestorben. Da hat Mara ja wahrscheinlich sowieso keine Sorgen mehr und steuert geradewegs auf denselben Showbiz-Exzess zu, den ihre Schwester an ihrer Stelle erlebt hätte – das ist jedenfalls meine Wunschvorstellung.

Die unterschwellige, ideologische Ebene fühlt sich nämlich in Kora Terry wieder mal gezwungen, dem Gesamteindruck einen recht biederen Stempel aufzudrücken, stellt an sich aber auch keine große Besonderheit dar, waren doch so ziemlich alle Werke aus jener Ära davon betroffen (z.B. darin, wie auch hier die Scheichs von Afrika (?) stereotyp und potenziell-sexgeil aufbereitet werden) – in diesem Fall schmälert das die Rezeption zwar im späteren Verlauf entscheidend, lenkt aber letztendlich doch nur leidlich von der eigentlichen Faszination des Films mit Kora ab und wird dabei, trotz Einflussnahme auf die Dramaturgie, vom durchgehend-kurzweiligen Unterhaltungsfaktor souverän übertönt. Da ergötzt man sich dann als Zuschauer genussvoll an der aufregend-versierten Artistik der Rökk und den virtuosen Choreographien der Tanznummern, welche aufgrund der angewandten, uniformen Parallelität zwar durchaus an die Konstellation von Militärparaden erinnern (wie überhaupt jede Tanzchoreographie in der Weltgeschichte), aber in ihrer (von der ‘Sünderin’ Kora ausgehenden) schlussendlichen lustvollen Ausgelassenheit vorteilhaft im Sinne des ‘Entarteten’ funktionieren.

Zudem erkennt man in der Dramaturgie des Narrativs unwiderlegbare Ähnlichkeiten zum amerikanischen Rise-&-Fall-Frauenmelodram jener Zeit, das schon früh durch selbstständige, aufstrebend-hochbegabte Starletts wie Bette Davis und Joan Crawford kultiviert und in Kora Terry effektiv nachgeahmt wurde – zwar mit einer durchschaubaren, subversiven ‘Erziehungsabsicht’, aber in der Gesamtfassung pures, bisweilen herzhaft-exploitatives Unterhaltungskino darbietend. Und dann auch noch mit einer leidenschaftlich aufgelegten Rökk, die beide Pole der charakterlichen Spannungskurve energisch-schick zu balancieren vermag und dabei für das temperamentvolle Bad-Girl-Image hingebungsvoll so viel Herrlich-‘Unanständiges’ wagt, dass es im Endeffekt keinen Zweifel gibt, warum dieser Film Kora Terry und nicht Mara Terry heißt. Durchaus empfehlenswerte Schau! Aber trotzdem bitte nicht vergessen, im Angesicht der innewohnenden Propaganda, mentale Vorsicht walten zu lassen.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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