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DIE BRÜCKE als der wichtigste deutsche Nachkriegsfilm

17.09.2014 - 06:47 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Vier von sieben Jungen, die uns Bernhard Wicki in seinem berühmte Film vorstellt, für die Krieg noch ein Spiel ist.
Arthaus Kinowelt
Vier von sieben Jungen, die uns Bernhard Wicki in seinem berühmte Film vorstellt, für die Krieg noch ein Spiel ist.
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Sowie Bernhard Wickis berühmtester Film DIE BRÜCKE sein Filmdebüt war, so eröffne ich meinen Blog auch mit einer Skizzierung, warum es die Ideale einer Person zu schützen gilt.

Zehn Jahre waren vergangen, nachdem das Grundgesetz der BRD in Kraft trat und Bernhard Wicki im Jahre 1959 seinen Film drehte und dabei die Romanvorlage Manfred Gregors verfilmte, aus dessem Stoff er nur einen Antikriegsfilm machen wollte. Die Brücke zeigt, inwiefern das Menschenbild des Nationalsozialismus nicht mit jenem zu vereinbaren ist, das in unserer heutigen Gesellschaft als schützenswert erachtet wird (GG Art. 1 & 2).

"Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. [...] Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen." - A. Hitler - (S. Urte Henschel: Die Brücke. Begleitheft zur Videocassette, hrsg. von atlas film + av, o.O. 1984, S. 32.)

Ideale waren in der Diktatur des Nationalsozialismus vorgeschrieben, eine persönliche Wahl wurde einem Individuum lediglich in dem Rahmen zugestanden, in dem es mit dem System konform ging und zur Verwirklichung der nationalsozialistischen Idee beitrug. Die Brücke stellt die Konsequenz am Beispiel sieben minderjähriger Jungen dar, die ihr Wünsche, Sehnsüchte und den Traum, im Krieg ihr Vaterland zu verteidigen und zu Helden zu werden, für eine fragwürdige Sache opferten. Fragwürdig war die Sache des Nationalsozialismus allerdings schon Jahre vorher, betrachtet man die Ideologie und das Menschenbild, die hinter ihm stehen. In ihm zählte das Kollektiv; das Leben des Einzelnen wurde für die Idee instrumentalisiert. Eine solche Einstellung widerspricht dem heutigen Recht auf eine freie Persönlichkeitsentwicklung und der Vorstellung eines aufgeklärten Staates, der sich im Idealfall aus mündigen Bürgern zusammensetzt. Vorallem aber versündigte sich das NS-Regime jedoch gegen jenes zu schützende Ideal, das wir heute unter dem Begriff der Menschenwürde kennen.

"Du bist nichts, dein Volk ist alles!" vs. "Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als auch der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst."

Durch die hohe Wertschätzung des Volkes geht die Personalität des Menschen durch die Überbetonung des Kollektivs verloren. In der Vorstellung der nationalsozialistischen Ideologie bilden Blut und Boden die konstitutiven Grundelemente für die Rasse des Menschen und die Rasse in ihrer Gesamtheit bildet das Volk, welches seine einzelnen Mitglieder zu einer höheren und handlungsfähigen Lebenseinheit vereint. Widerspricht diese Vorstellung jedoch nicht Kants kategorischem Imperativ, der in unserer Kultur zur maßgebenden ethischen Norm geworden ist? Ihm liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Person und deshalb auch jede Person, die dem eigenen Ich gegenüber steht, einen eigenen, inhärenten Wert - Würde - hat und deswegen nie als Mittel gebraucht werden dürfe. Aber wie und wann wird denn ein Mensch zu einer Person mit einer eigenen, würdevollen Persönlichkeit? Als soziales Wesen ist es die Auseinandersetzung mit dem Du, Ihr und Wir, welches das ganz eigene und persönliche Ich herausbildet. Es sind darüber hinaus aber auch persönliche Wünsche, Sehnsüchte und Ideale, die den Menschen zu einem einmaligen und besonderen Wesen machen, welche seine Persönlichkeit formen.

Die Brücke zeigt uns keineswegs sieben von der NS-Ideologie "entleerte" Tyrannen, sondern sieben Jungen, die unterschiedlichen sozialen Schichten entstammen und mit den ganz normalen Problemen und Konflikten der Pubertät zu kämpfen haben, was den Film auch so zeitlos macht. Es geht um den Stolz auf die charakterliche Reife, die Hans kennzeichnet, und Albert, der zu gesellschaftlich anerkannten Vorbildern aufblickt. Es geht um das Erfüllen von Erwartungen wie bei Jürgen, der in die Fußstapfen eines im Krieg gefallenen Offiziers, seines Vaters, treten möchte; um Walter, der sich durch Zigaretten- und Alkoholkonsum, sowie dem sexuellen Umgang mit Frauen als betont männlich gibt und seinen Vater hasst, dem er außereheliche Affären und Feigheit vorwirft. Einen Vaterkonflikt hat auch Karl auszutragen, der sich in die Angestellte seines Vaters verliebt hat, von ihnen jedoch als unreifes Kind zurückgewiesen wird. Und es geht um Klaus, den sensiblen Mitläufer, und den kleinen Siggi mit seinem eigentlich heroischen Namen, der von seiner zarten Statur her so gar nicht in das Idealbild der nationalsozialistisch kraftvollen Jugend passt, aber so gern ernst genommen werden, zur Gruppe gehören und anerkannt werden möchte. In irgendeinem dieser Jungen wird sich womöglich jeder Zuschauer ein Stückchen weit wiedererkennen können und sehen, dass diese charakterlich so unterschiedlichen Jungen ihrem Alter entsprechende, ganz normale Bedürfnisse haben. Und in denen, in denen sich der Zuschauer wiederzuerkennen vermag, ist ersichtlich, dass es im Grunde genommen gute Jungen sind, die ihren individuellen Charakter jedoch für das hohe Ideal ihres Vaterlandes und den Kriegsdienst aufopfern. "Die Schlacht ist unser! Lebe droben, o Vaterland, und zähle nicht die Toten! Dir, Liebes, ist nicht Einer zu viel gefallen." Die Art und Weise wie sich die Jungen diesem Erziehungsideal schließlich aufopfern und ihm zum Opfer fallen, ist nicht willkürlich inszeniert worden, sondern resultiert aus ihren ganz individuellen Charaktermerkmalen und Sehnsüchten wie sie im Film aufgebaut und im Zusammenspiel innerhalb der Gruppe entwickelt wurden. So wird die Brücke, der Spielplatz ihrer Kindheit, zu jenem Ort, den sie zu dem Quadratmeter des Vaterlandes idealisieren, welchen es unter allen Umständen zu schützen gelte. Es wird aber auch gleichzeitig der Ort, an dem sie mit der Kriegswirklichkeit konfrontiert werden und ihre Ideale in der Form eines flüchtenden Ritterkreuzträgers fortlaufen sehen. Und das Ende trifft den Zuschauer womöglich deshalb so hart, weil er sich mit den Jungen identifizieren konnte und schließlich genauso desillusioniert und schließlich zerstört wird wie sie selbst. Die Brücke selbst, deren Sprengung nicht möglich war, bleibt als Mahnmal dieses Ereignisses stehen, das jedoch so unwichtig war, sodass es in keinem Kriegsbericht Erwähnung fand - aufziehender Nebel umspielt sie...

"Es ist ein Antikriegsfilm und er soll die Menschen lehren: 'Gebt Acht, schaut hinter die Dinge, versucht hinter die Schlagworte zu kommen.'" - Bernhard Wicki - (Elisabeth Wicki-Endriss: Die Filmlegende Bernhard Wicki. Verstörung - und eine Art von Poesie, Leipzig 2007, S. 86.)


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