Brutaler chinesischer Lagerfilm schockiert Publikum

08.09.2010 - 12:47 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
The Ditch
Filmfest Venedig
The Ditch
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Das Filmfestival Venedig ist bekannt für seine politisch engagierten Filme. Dieses Jahr führte der Chinese Wang Bing diese Tradition fort. In schonungslosen Bilder erzählt er in seinem Drama The Ditch die Geschichte von politischen Gefangenen zur Zeit Maos, die in Umerziehungslagern interniert wurden.

Das Filmfestival Venedig hat politisch engagierten Filmen schon immer eine Plattform geboten. Das war – daran sollten wir erinnern – schon zur Zeit des Faschismus so und hat auch nach dem Zweiten Weltkrieg nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt: Die venezianische Festival-Jury fördert das gesellschaftskritische Kino. Das war auch in diesem Jahr nicht anders, als dem nichtsahnenden Publikum in einer Art Sneak Preview der sogenannte Überraschungsfilm präsentiert wurde.

Dabei handelte es sich um die französisch-belgische Koproduktion The Ditch (dt. Der Graben). Der chinesische Dokumentarfilmer Wang Bing beleuchtet in seinem ersten Spielfilm das China der 1950er Jahre zur Zeit Maos, als Intellektuelle, Regimekritiker und Menschen mit angeblich großbürgerlichem Hintergrund in Umerziehungslagern abgeschoben wurden, wo sie unter grausamen Bedingungen seelisch und körperlich gequält wurden. Ansgehend von Interviews und Buchbeschreibungen schildert der Regisseur in The Ditch die Zustände eines solchen Lagers in der Wüste Gobi, in dem die Gefangenen ihre eigenen Gräber schaufelten, in denen sie schliefen, hungerten und schließlich starben.

Nach der Ausstrahlung beim Filmfestival Venedig von The Ditch sorgte das in schonungslos realistischen Bildern angelegte Doku-Drama für Betroffenheit und Begeisterung beim Publikum in der Gondelstadt – und natürlich für ordentlich Gesprächsstoff in der weltweiten Presselandschaft. Wir möchten Euch nachfolgend einen Überblick über einige Kritikerstimmen geben.

Michael Althen von der FAZ sah eine "schonungslose Aufarbeitung eines Kapitels der chinesischen Geschichte, in der Intellektuelle schon im Lager landeten, wenn sie vorschlugen, den ungenauen Begriff der “Diktatur des Proletariats” durch “Diktatur des Volkes” zu ersetzen. Und er fügt sich in eine ganze Reihe von Filmen, in denen die Helden auf existentielle Nöte zurückgeworfen werden."

Jan Schulz-Ojala von der Zeit spricht The Ditch den Spielfilmcharakter ab: “Eher ein extrem nüchtern nachinszeniertes Dokument. Ein Manifest, das gerade wegen seiner zurückhaltenden Form aufwühlt. Vor allem aber ist The Ditch das Zeugnis eines ungeheuren Muts – als erster Film eines Chinesen, der das große Tabu der chinesischen Geschichte zum Thema macht. Man muss sich das etwa so vorstellen, als hätte ein Deutscher nach fünfzig Jahren den ersten Film über Auschwitz gedreht – und die ideologischen Nachfahren Hitlers wären noch immer am Ruder.”

Robert Beames von Obsessedwithfilm lobte den dokumentarischen Stil des Films: “Man konnte nur schwer erkennen, dass es Fiktion ist. Es sieht trotz der wackligen Handkameras nicht billig aus. Es wirkt cineastisch und hat Klasse, wie eine kunstvolle Doku. Es fühlt sich authentisch an.” Allerdings fügt er kritisch hinzu: “Der Film ist attraktiv gemacht, bleibt den historischen Fakten treu und ist interessant. Allerdings konnte er mich nur eine Stunde lang fesseln, danach wurde er anstrengend und ermüdend.”

Daniel Kothenschulte von der Berliner Zeitung “hat schon viele Dramen über Lagerhaft gesehen, allein die filmische Verarbeitung des Holocaust führte in alle erdenklichen Höhen und Tiefen. […] So belässt es Wang Bings Film aus einem Lager in der Wüste Gobe bei der Konstante stummer Hoffnungslosigkeit. Alle Figuren sind Individuen, keine ist bloß Platzhalter für tausend Namenlose. Wang Bing verwendet nicht viel Leinwandzeit auf den Sadismus von Tätern, denn es geht um die Würde der Opfer.”

Ob und wann The Ditch in den Kinos zu sehen sein wird, ist noch nicht bekannt. Wenn Ihr Euch mehr über das Filmfestival Venedig informieren wollt, dann schaut doch auf die Homepage des Filmfestes hier.

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