Es war für mich das erste Jahr, in dem ich die vollen zehn Tage des Berliner Filmfestivals mitgenommen habe. Demnach fiel meine Planung wohl etwas zu euphorisch und optimistisch aus, denn viel Zeit zum Schreiben konnte ich leider nicht einräumen. Somit soll dieser Artikel mein letzter zur diesjährigen Berlinale sein, und als Rückblick auf dieses großartige Event dienen.
22 Filme habe ich auf dem Festival mitgenommen, sowie zwei weitere (mit Der seidene Faden einen Guten, und den enttäuschenden Shape of Water - Das Flüstern des Wassers) außerhalb des Programms. 24 Filme in zehn Tagen. Eine mächtige Ausbeute in meinen Augen, doch wirkliche Nieten waren glücklicherweise kaum vorhanden. Lediglich die zwei Wettbewerbsfilme Ága und Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot fielen besonders negativ auf; Human, Space, Time and Human von Ki-duk Kim, sowie das Biopic über Astrid Lindgren Astrid zähle ich ebenfalls zu den kleinen Enttäuschungen des insgesamt starken Festivals.
Stark war es in meinen Augen, da auf die bereits im vorherigen Artikel erwähnten Höhepunkte mit Der Himmel über Berlin und Dovlatov, noch viele weitere folgen sollten. Der erste davon war Maren Hwangs Regiedebüt Xiao Mei, zu dem ich bereits meine Eindrücke in einem Kommentar geschildert habe. Ein erstaunlich komplexes Mosaik von Film, der hauptsächlich im dokumentarischen Stil gefilmt ist, und den Egoismus des Menschen subtil, aber durchaus präzise bloßstellt. Inszeniert mit ordentlich Selbstbewusstsein und Fingerspitzengefühl, sodass man meinen könnte, es handele sich hier um einen Altmeister. Auf ein Heimkino-Release kann man nur hoffen, ich wage es jedoch zu bezweifeln, dass dieser kleine Überraschungstitel es in naher Zukunft in den Verleih schaffen wird.
Das nächste Highlight bescherte mir mal wieder der großartige Lav Diaz mit seinem Anti-Musical In Zeiten des Teufels. Auch hierzu konnte ich meine ersten Seherfahrungen bereits in einem Kommentar festhalten. In knapp vier Stunden Laufzeit wird ein Lied nach dem anderen angestimmt. Ganz selten werden Worte gesprochen oder Kauderwelsch gebrüllt. Diaz verzichtet auf so ziemlich alles, was das klassische Musical ausmacht: Musik, Tanzeinlagen oder jeglichen Bombast bei der Präsentation. Klingt ermüdend, ist aber spannend. Wie immer eine einzigartige Erfahrung.
Genauso einzigartig sollte am darauf folgenden Tag der nächste vierstündige Film werden. Hu Bo liefert mit dem bedrückenden An Elephant Sitting Still die nächste großartige Überraschung des Film Festivals, der ich ebenfalls einen Kommentar widmen konnte. Hierbei erhoffe ich mir allerdings sehr ein Heimkino-Release, denn für Aufsehen hat der Film allemal gesorgt, und auf enorm viel Lob stieß er noch dazu. Das auch völlig zurecht, denn Bo - der sich leider kurz vor Fertigstellung des Films das Leben nahm - inszeniert hier nicht weniger als einen der eindrucksvollsten Filme der letzten Jahre. Innovativ, konsequent, und mit einem Auge für das große Ganze, dass es wieder nur verwundern kann, dass es sich hier abermals um ein Debüt handelt.
Neben diesen besonders herausstechenden Höhepunkten gab es für mich dieses Jahr viele kleine Freuden, die die Berlinale auszeichneten. Abgesehen von den oben genannten Enttäuschungen, haben mich alle Film zumindest unterhalten können. Zwei schöne Lichtblicke möchte ich hier aber noch einmal hervorheben. Zum einen The Tree von André Gil Mata, dessen ruhige Schönheit, die an lebende Gemälde erinnerte, mich vollends in seinen Bann ziehen konnte, und zum anderen Masao Adachis Gushing Prayer, dessen kontroverses Thema mit viel Feingefühl, einem hypnotisierenden Soundtrack, sowie träumerischer Bilder inszeniert wurde. Ein anarchistischer Fiebertraum, der mich noch lange verfolgen wird.
Das halte ich auch schon für ein passendes Schlusswort, denn das, was die Berlinale von Jahr zu Jahr für mich auszeichnet, sind die vielen, kleinen und einmaligen Kinoerlebnisse, die mich mindestens bis zum nächsten Februar begleiten werden. Jeder Trip nach Berlin steckt voller schöner Erlebnisse, weshalb es jedes Jahr aufs neue eine große Freude ist, diese Reise erneut anzutreten.