Adaption der Adaption der Adaption

28.07.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
"The only idea more overused than serial killers is multiple personality."
Sony/moviepilot
"The only idea more overused than serial killers is multiple personality."
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Im neuen Kommentar der Woche bewusstseinsströmt sich BigDi durch Charlie Kaufmans Charlie Kaufman in Adaption.

Willkommen bei unserer Rubrik Kommentar der Woche, in welcher wir eure geistig-textuellen Ergüsse, also eure Kommentare, feiern möchten. Die Voraussetzungen dafür können beinahe alle Kommentare (egal ob für Filme, Serien, Personen, News) erfüllen, ob nun schön, persönlich, kurz, lustig, bizarr, alt, nachdenklich, lang, originell, treffend, gehaltvoll, neu, dadaistisch, möwenmauve oder ihr habt uns einfach nur ausreichend mit frivolen Ambiguitäten bestochen. Ihr könnt mich per Nachricht gerne gelegentlich auf einen Kommentar, der euch besonders gut gefallen hat bzw. euren absoluten Lieblingskommentar auf moviepilot, hinweisen – aktuell bin ich z.B. weiterhin auf der Suche nach einem tollen Personenkommentar. Wir können euch keine Versprechungen machen, dass wir den Vorschlag auch auswählen, aber inspirieren lassen wir uns gerne.

Der Kommentar der Woche

Heute gibt’s Lorbeeren für BigDi, der mit seinem Kommentar zum Film Adaption alle Rekorde und Wände (durch)bricht:

…alles klar, du musst jetzt anfangen. Irgendwas Gutes schreiben. Nicht dieses Heruntergetippte, wenn einem nichts einfällt. Etwas, was hängen bleibt. Etwas, was dem Film würdig ist. Aber das ist schwer. Das ist im Grunde unmöglich. Das schaffe ich nicht. Das ist zu viel. Ich muss es ja auch gar nicht tun. Das ist nicht mein Job, dass ist nicht überlebensnotwendig, keiner erwartet hier irgendwas von mir. Selbstrespekt? Was will ich mit dem? Schau dich doch an, sitzst in den Ferien vor deinem Laptop und tippst herum, als würde es die Welt bedeuten, während sich andere sonstwo besaufen…gut, auch nicht erstrebenswert. Bald ist sowieso Silvester, da hat man genug Zeit, um alles nachzuholen, und anschließend liegt man halbtot auf dem Sofa und schwört sich, sofern man die Gedanken zusamenbekommt, nie wieder etwas zu trinken.

Was rede ich da, schreibe ich da. Hat mit dem Film doch nichts zu tun. Ich brauche einen Anfang, dann geht das schon. Einen ersten Gedanken, so eine Grundaussage, einen kleinen Eye-Cather, eine Steilvorlage…scheiße. Wie wär’s mit…
“Das Leben als Kunstform.”

Klasse. Endlich den Ausdruck verwendet, den ich seit Ewigkeiten in meinem Bewusstsein durch die Gegend herumschleppe, ohne eine Verwendungsmöglichkeit zu finden. Schade nur, dass das nicht passt. Gut, ein wenig schon, Kunst entstanden aus der eigenen Krise, ein Werk über den Schaffensprozess eines Werks, eine durchgehende Selbstreflektion, aber das weiß doch niemand, der den Film nicht gesehen hat, und das soll ja nicht nur Lobhuldigung sein, sondern auch Werbung…ach, verdammt. Lieber ganz konventionell – Gott, bei dem Wort kommt mir das Mittagessen fast hoch. Passt doch, Konflikt zwischen Kommerz und Kunst, Ausdruck und Eindruckmacherei, Arthouse und Mainstream, Tiefgründigkeit und Action etc. etc. etc. Also:

“Irgendwo zwischen dem Wunsch nach verpflichtungsloser Kunst und den Erwartungen der ernährenden Arbeitgeber schwebend, entfesselt der Drehbuchautor Charlie Kaufman (Nicolas Cage) in seinem Kopf ein kreatives Chaos, welches in all seiner sebstzerstörerischen Wucht im Endeffekt die Schöpfung eines neuen Werks bedeutet – spätestens wenn sein Zwillingsbruder Donald (ebenfalls Nicolas Cage) sein pubertär-postmodernes Erzählverständnis dazumischt und auf die reale Ebene hebt.”
Klasse gemacht, ich kann diese immer gleichen Formulierungen von mir nicht mehr sehen, ständig dieses “Während blabla fette Formulierung, entfesselt/manifestiert/eskaliert balbal noch fettere Formulierung mit zig Nebensätzen, wo ich selbst kaum durchblicke + ungewollte, aber voll stylische Alliteration + rührender Abschluss mi Verweise auf meine hypersubjektivierte Sicht”, unerträglich. Ich bin zu einer einzigen Selbstkopie geworden, und wenn ich daran denke, dass ich diesen Stil mir auch irgendwoher zusammengeklaut habe…grauenhaft. Wer will das schon lesen? Früher war das einfacher, hinsetzen, Eingebung spüren, niederschreiben. Wie damals mit “Inland Empire”, reiner Gedankenstrom, ohne Kompromisse. Jetzt ist alles so gekünstelt, so gewollt – ach, muss mal wieder etwas Außergewöhnliches schreiben, dann mal auf, hmm. Jetzt im Moment ist es kaum anders. Das Annehmbarste ist noch das Gereimte, Dichtung ist zwar etwas anderes, aber es hat immer einen gewissen Stil.

“Wir sagen “Kunst” und meinen “Blende”,
Verstellen uns und lügen nur.
Wir sagen “Geist” und “herrliche Natur”
Und missen jede Möglichkeit zur Wende.
Wir wollen Ernstes für die Ewigkeiten schaffen
Und krall’n uns ans Gesetz des Augenblicks.
Verzweifeln an der Unausweichlichkeit des Stricks
An dem die Kunst gehängt wird – traurige Affen
Sind wir. Die Arbeitstiere einer Generation,
Die sich in Wiederholungen verknotet
Und, ohne es zu merken, jene Kunst verspottet,
Die einst gewesen ist der Leidenschaften Lohn.
Zu feige sind wir, um den Weg der Sicherheiten zu verlassen" – nein, das geht nicht, das ist zu lang. Außerdem bin ich lange von der Prämisse des Films abgewichen, falls ich sie überhaupt berührt habe bisher. Da kann ich auch grad irgendein Liebesgedicht anbieten, völlig am Thema vorbei. So geht das nicht.
“Doch jene Leidenschaft, sie thront in weiter Tiefe,
Wer wirklich in sich blickt, der blickt schon bald nach vorn.
Der Samen wahrer Kunst ist doch des Zweifels Dorn…”
Ein Reim zu “Tiefe”? Verdammt. “Briefe” vielleicht, aber das bekomme ich nie in den Kontext hinein. Dichtung ist bescheuert, am Ende schreibt man mit den Wörtern, die sich auf die vorherigen reimen und die von Klang her passen, anstatt die zu benutzen, welche die eigenen Gedanken und Empfidungen wiedergeben. Liebesgedichte, das ist doch größter Betrug, so etwas gekünsteltes. Egal, darum geht es nicht. Ich muss doch meine Erfahrungen vernünftig aufschreiben können. Gibt es irgendwo Regeln zum Filmkommentarschreiben? Wie schreibe ich denn eine ganz normale, gewöhnliche Filmkritik…

“Der von Spike Jonze nach einem Drehbuch von Charlie Kaufman gedrehte Film “Adaption” behandelt das Thema der Problematik einer Werkadaption anhand des Beispiels eines von Selbstzweifel und Unentschlossenheit geplagten Drehbuchautors Charlie Kaufman. Der Film besticht durch ein außergewöhnlich konstruiertes Drehbuch, welches mit verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen spielt, sowie durch herausragende schauspielerische Leistungen von Nicholas Cage in einer anspruchsvollen Doppelrolle, Meryl Streep sowie Chris Cooper, welcher für seine Darbietung mit dem Oscar gewürdigt wurde."

Klar, informativ und alles, aber sowas kann ich im Deutsch-LK niederkritzeln und glücklich sein, nicht hier – das ist doch keine Kunst! Gut, es hat keine Kunst zu sein, wir sind hier nicht im Louvre, aber ich kann diesen Film doch nicht in Schubladen, welcher Art auch immer zwingen. Außerdem habe ich mir vorgenommen, etwas Außergewöhnliches zu machen, etwas, was vom Herzen kommt. Vom Herzen…vielleicht sollte ich mich selbst von der Aufgabe erlösen? Nicht durch Nichtstun, sondern durch ein simples: “Hey Leute, geiler Film, aber ich will dazu nichts sagen, weil es ihm nicht würdig wäre blabla”, nur eben schöner ausformuliert. Also dann:
“Ich würde so unheimlich gerne meine Zuneigung zu diesem Film in Worte fassen, doch ich fürchte, ich werde keine finden, welche meine Gefühle und Empfindungen wirklich fassen könnten. Im Endeffekt sind auch Wörter nur Schubladen, in welche man Dinge hineinzuzwängen versucht, die man eigentlich gar nicht erfassen kann – die wenigen Menschen, die so etwas schaffen, bezeichnete man generell als “Genies”. Charlie Kaufman ist unbestritten eins. Ich bin keins und deswegen schweige ich an dieser Stelle lieber, bedächtig und mit einem verschmitzten Lächeln. Nur noch so viel: Jeder, der in seinem Leben schon einmal einen Stift zückte, um irgendetwas aus den Tiefen seiner Seele damit einzufangen, muss diesen Film sehen. Und jeder, der es noch nicht getan hat, erfährt hier, wieso es etwas essentiell Menschliches ist."

Das ist dem Film fast schon würdig. Aber unwürdig meinem Status als Fame-Hure. “Fame-Hure”, wie verzweifelt muss man sein, um auf einen solchen Titel stolz sein zu können. Erbärmlich. Schrei nach Aufmerksamkeit, nichts anderes. Wem willst du eigentlich einreden, dass es dir um die Filme geht? Kannst du das überhaupt noch bei dir selbst schaffen?

NAIVES GEWISSEN: Aber ich schreibe doch nicht für mich, sondern für die Filme!
ZYNISCHER KERN: Du schreibst für “gefällt mir”-Klicks, Freundesanfragen und “Toller Text”-Kommentare! Fame-Hure.
NAIVES GEWISSEN: Ich freue mich darüber, na und? Der Ursprung meines Handelns…
ZYNISCHER KERN: Liegt in deiner selbstzweckhaften Freude an Aufmerksamkeit und dem Gefühl des Gelesen-Werdens. Na komm schon, bringe jetzt dein lächerlichstes Argument..
NAIVES GEWISSEN: Und was ist, wenn ich damit Menschen zum Nachdenken anregen will?
ZYNISCHER KERN: So viel Luft kann ich gar nicht holen, wie ich für einen würdigen Lachanfall bräuchte…zum Nachdenken über deinen geistigen Zustand höchstens. Ich will gar nicht wissen, wieviele Psychologiestudenten schon eine Doktorarbeit über dich schreiben.
NAIVES GEWISSEN: Nur weil du solchen Menschen zu uninteressant bist!
ZYNISCHER KERN: Diesen Menschen will ich gar nicht interessant erscheinen! Die suchen nur nach fremden Komplexen, um ihre eigenen zu vergessen. Wie du, im Grunde.
NAIVES GEWISSEN: Ich trage meine Komplexe offen mit mir herum, vergiss das nicht.
ZYNISCHER KERN: Nur die, die du nicht vergessen hast! Was man vergessen hat, das weiß man nicht mehr, verstehe das doch endlich! Halte dich nicht für allwissen, das ist lächerlich…
RUHE!!! Beide! Das ist kein Unterbewusstsein, das ist ein verdammtes Kriegsgebiet. Hier geht es um Filme, nicht um Selbstfindung. Gut, um Filme über Selbstfindung, die eine Selbstfindung implizieren könnten, ach, zum Teufel mit allem. Ich brauche Ablenkung. Entspannung. Auflockerung.

“Boy, it’s tough getting on in the world
When the sun doesn’t shine
And a boy needs a girl
It’s about getting out of a rut
You need luck
But you’re stuck
And you don’t know hooow”

Danke, Pet Shop Boys. Das tut gut. Bringt mich aber auch nicht weiter. Ich brauche etwas Großes. Etwas Monumentales. Meine eigenen Erwartungen an mich steigen ins Unendliche und wenn es einen Menschen auf dieser Welt git, den ich nicht enttäuschen will, dann bin ich es selbst. Ich muss es mir vorstellen. Wie ich an meinem Laptop sitze und tippe. Wie ich nach den Gedanken suche, die den Film am besten beschreiben, und wie ich mich durch falsche Eingebungen hindurchkämpfe, zu den Sätzen, die ich so roh hier stehen lassen kann, wie ich sie auf der Wiese meines Bewusstseins gepflückt habe.

“Dmitrij sitzt zu Hause an seinem Laptoptisch. Neben ihm liegen verbrauchte Taschentücher, eine Bananenschale, die DVD-Box von “Adaption”, welcher er immer wieder melancholische Blicke zuwirft. Es wird dunkel, er schaltet die Lampe an. Seine Sitzhaltung ist höchst unbequem, aber das merkt er nicht. Er will schreiben."

Zahlreiche Versuche, nie von Erfolg gekrönt, gelöschte Passagen, der unzufriedene Blick auf die Uhr (Voice-Over: “Wie bitte? Seit fast zwei Stunden sitze ich hier schon? Gott…”), verworfene Konzepte, verzweifelte (und selbstzweckhafte) Suche nach externer Hilfe:
Teys 16:10
Herrje, welchen Stil soll ich beim Kommentar wählen? oO
Teys 16:11
Ich komm nicht mehr klar…
Flo™ 16:12
Überanstreng dich nicht, Alter. :D
Teys 16:12
Zu spät.
hast du irgendeinen wichtigen Rat für mich?
Flo™ 16:13
Ich und einen Rat, wenn’s ums Schreiben geht? Haha, der war gut.
Teys 16:13
Komm schon, ich hänge fest, gib mir bitte irgendeinen Impuls, irgendwas.
Ich baue das schon irgendwie ein.
Flo™ 16:15
Von zu viel Käse kann einem schlecht werden.
Ernsthaft, wie kann ich dir denn helfen? Ich kenne den Film ja nicht mal.
Teys 16:15
Mist, hätte was werden können, egal. xD
Teys 16:16
Hätte eig. einen Chatverlaufabschnitt dafür gebraucht, hättest du mich doch zitiert mit "Schreib, wie du es gerne lesen würdest! ;) "…
Flo™ 16:17
Dimi, du bist mir schon einer. JOKINGLY
Teys 16:17
Ich weiß. ^^
Hey, DAS könnte ich auch reinpacken. :D :D :D
Das wäre DIE Eigendemontage.

…Selbstzweifel, die unabdingbare Lust an Selbstdarstellung und Selbstdemontage und irgendwo vielleicht auch ein Verweis darauf, dass es darum geht, über einen Film auf eine ganz andere Art udn Weise zu berichten als gewöhnt. Ob es nun klappt oder nicht. Und genau an diesem Punkt schließt sich der Kreis um die Adaption der Gedanken über die Adaption einer Adaption von Gedanken, welche irgendwo zwischen Drehbüchern und Filmen und Büchern und Zeitungsartikeln und Tagträumen und dem erfüllten, erleichterten und zufriedenen Lächeln am Schluss: Ich bin fertig, das ist doch das Wichtigste. Endlich fertig.

Dann kenne ich auch das Ende: Irgendein Leser sitzt vor einem PC-Bildschirm oder einem Laptopbildschirm und liest die folgenden Worte:
“Dmitrij lehnt sich auf seinem Sessel zurück, nachdem er einen elend langen und verwirrten Text endlich fertiggeschrieben hat, und fühlt sich glücklich, denn er hat es endlich geschafft, sich einzureden, dass man manchmal durch das Scheitern zum Erfolg gelangen kann. Und das macht ihm Hoffnung.”
Das gefällt mir. Das ist gut.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier

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