Wir schauen Sherlock - Staffel 3, Folge 1

02.01.2014 - 16:33 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Sherlock
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Wie hat er das gemacht, lautete die Frage nach The Reichenbach Fall. Doch die Rückkehr von Steven Moffats und Mark Gatiss’ Sherlock lässt einen wünschen, diese Frage nie gestellt zu haben.

Sherlock war sich den Möglichkeiten des Web 2.0 stets stärker bewusst als die Serien-Konkurrenz. Immerhin ist John Watson in der Serie von Steven Moffat und Mark Gatiss ein Blogger, Sherlock selbst begeisterter Smartphone-Nutzer. In The Empty Hearse, der Rückkehr aus zwei Jahren Pause, wird dieses serienimmanente Bewusstsein für die eigene Außenwirkung ad absurdum geführt. Verliebt in die eigene Cleverness war Sherlock wie sein Held seit der ersten Folge, doch selten verlor sie im Kreisen um sich selbst so schnell das Gleichgewicht. (Spoiler voraus!)

Der Fall: War es ein Bungee-Sprung? Ein Pappmaché-Püppchen? Ein großes aufblasbares Kissen? Drei verschiedene Erklärungen werden uns im Verlauf der Episode angeboten, eine davon sehr nah an gängigen Fan-Theorien. Keine wird als Wahrheit bestätigt. Und so geht das Rätseln weiter um eine Frage, die seit zwei (echten wie auch Serien-) Jahren viel mehr Raum einnimmt, als sie es verdient. Sherlock lebt und nach einer Weile im weltweiten Untergrund traut er sich wieder ans Tageslicht. Er findet einen Watson, der seiner Angebeteten einen Heiratsantrag machen will und in Wut entbrennt, als Sherlock wieder auftaucht, als wäre nichts gewesen. Ein paar Schläge und Restaurant- bzw. Imbiss-Wechsel später will sich Watson immer noch nicht beruhigen und so findet Sherlock in Molly für einen Tag einen Ersatzpartner. Vereint werden Detektiv und Assistent erst wieder, als letzterer in einer Guy Fawkes-Hommage unter einem Scheiterhaufen begraben wird. Gemeinsam machen sie sich daran, das Rätsel um einen in der U-Bahn verschwundenen nordkoreanischen Spion zu lösen und verhindern kurz vor knapp ein Wikingerbegräbnis unterm Parlament. Aber wer ist der Mann, der in den letzten Minuten so aufmerksam die Videoaufnahmen der Fast-Verbrennung verschlingt?

221b Baker Street: Um das gleich vorweg zu nehmen: The Empty Hearse ist eine durchaus amüsante Sherlock-Episode, in der sich Wortwitz und Zusammenspiel der Darsteller finden, als hätte es keine zweijährige Pause gegeben. The Empty Hearse ist aber auch ein unangenehm selbstverliebtes Stück Fernsehen, dessen geringstes Vergehen unnötig in die Länge gezogene Running Gags sind (Stichwort: Gesichtsbehaarung). Rund eine Dreiviertelstunde verwendet die von Mark Gatiss geschriebene Folge auf das Vorgeplänkel des Plots, macht sich über die umfangreiche Fanfiction zur Serie lustig, sodass hier jeder Shipper (Sherlock/Watson, Sherlock/Moriarty, Sherlock/Molly…) im doppelten Sinne auf seine Kosten kommt.

Die Thematisierung des Popkultur-Phänomens Sherlock innerhalb der Serie wäre erträglicher, geriete darüber nicht das in Vergessenheit, was der Show einst zum Hype verholfen hat. Und nein, damit ist nicht die erotische Spannung zwischen Martin Freeman und Benedict Cumberbatch gemeint. Oder nicht nur. Sherlock hatte sich vor Jahren das “Holmes” verdient, war eine spritzige Modernisierung des legendären Detektivs, die das größte Manko vieler Verfilmungen, nämlich Watson eine Existenzberechtigung zu verleihen, mit Bravour meisterte. Obwohl die Rückkehr aus der langen Pause mit viel Zündstoff für die Beziehung von Sherlock Holmes und Dr. John Watson beginnt (eine Verlobte, die Wut, die Geheimniskrämerei, der Bart), ist die Bombe in Wirklichkeit nie in der Nähe eines Countdowns. Erinnerte Watson Sherlock in anderen Folgen an seine Menschlichkeit, überdecken Ärger und Fausthiebe in The Empty Hearse die bedingungs- und motivlose Ergebenheit, mit der Watson in der Serie regelrecht auf die Knie geschrieben und herabgewürdigt wird. Der Mann, der die Macht über die Legendenbildung besitzt – soviel Bewusstsein für Selbstreferenzialität besaß schon Arthur Conan Doyle – schrumpft vom gleichberechtigten Partner zur Marionette eines soziopathischen Kindmannes, der über der Geschichte hockt, als würde er hilflose Frösche aufblasen. Die U-Bahn-Sequenz, bezeichnenderweise von einer weiteren Erklärung des vorgetäuschten Todes unterbrochen, bildet den traurigen Höhepunkt einer Entwicklung, die sich schon in The Hounds of Baskerville andeutete, als Sherlock seinen treuen Freund in eine Laborratte verwandelte. Nur ist nun nicht mehr klar, ob in solchen Momenten zwischen Sherlock und seinen Autoren unterschieden werden kann.

Dass The Empty Hearse als derart große Enttäuschung endet, ist nicht so sehr dem fadenscheinigen Krimiplot anzulasten, der am Rande abgehandelt wird, oder der überdrehten Inszenierung. Die kann als unfreiwillige Parodie der stilistischen Kennzeichen, welche Paul McGuigan einst einbrachte, heruntergeschluckt werden. So ergeben ist alle Welt der Serie, dass das sowieso kaum jemanden stören wird. Mit einer verheerenden Blindheit geschlagen sind die Schöpfer Sherlocks, die ihren genialen Helden wie einen unkaputtbaren Duracell-Hasen einsetzen. Es hat ja bisher funktioniert, warum nicht genauso weitermachen? Ja, warum nicht, sind doch alle vernarrt in diesen Helden, so sehr vernarrt, geradezu – mit Blick auf die letzten Minuten – verzaubert, dass jeder Spaß ertragen, jede nachträglich untergeschobene Erklärung ungeachtet ihrer die Story verfälschenden Stümperhaftigkeit umarmt wird. Also kann es sich die Serie leisten, die Leidenschaft ihrer Fans ins Lächerliche zu ziehen, solange genügend .gif-Material bei der Sache herausspringt. Ein großer Aufriss wird um Sherlocks vorgespielten Tod in The Reichenbach Fall und The Empty Hearse gemacht, doch wenn in dieser jüngsten Folge einer Figur der Puls fehlt, dann ist es John Watson. Lazarus ist auferstanden. Sein Herz hat er in der Gruft vergessen.

Zitat der Folge: “You don’t know anything about human nature, do you?”

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