Warum Twin Peaks überdauert & nie an Faszination verliert

21.05.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Twin PeaksABC/Paramount
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Viele Jahre hat es gedauert. Heute kehrt Twin Peaks endlich ins Fernsehen zurück. Bereits zu Beginn der 1990er Jahre sorgte die Mysteryserie von David Lynch und Mark Frost für Aufsehen. Fast drei Dekaden später hat sie keinen Deut an Bedeutung verloren.

Es muss aufregend gewesen sein, am 8. April 1990 vor dem Fernseher gesessen und das Programm von ABC verfolgt zu haben. Plötzlich verdunkelt sich der Bildschirm und im 4:3-Format ertönt die unverkennbare Theme , die danach noch weitere 29 Episoden einleiten sollte. Beruhigend und auf eine ganz bestimmte Weise dennoch verstörend: Vermutlich hätte David Lynch, der zuvor mit Filmen wie Eraserhead, Der Elefantenmensch und Dune - Der Wüstenplanet im Kino polarisierte, seine Ankunft im Fernsehen nicht besser inszenieren können. Zusammen mit Mark Frost entwickelt er eine Serie, wie sie zur damaligen Zeit noch nie zu sehen war und einen neuen Goldstandard für das serielle Erzählen etablierte, der bis heute gültig ist. Trotz der anhaltenden Serienflut haben nur wenige Serien geschafft, was Twin Peaks seinerzeit gelungen ist. Doch was macht die Geschichte um den Mord an Laura Palmer so besonders?

Wäre Twin Peaks eine Erfindung der 2010er Jahre, die Serie würde vermutlich auf einem jungen, dynamischen Sender oder VoD-Anbieter vom Schlag FX oder Netflix beheimatet sein. Als sich David Lynch vor knapp 30 Jahren dazu entschloss, die - zu diesem Zeitpunkt noch stiefmütterlich behandelten - Möglichkeiten des Fernsehen auszuprobieren, gab es jedoch keinen der genannten Vertreter. Stattdessen wurde Twin Peaks auf ABC ausgestrahlt, einem klassischen Network, das auf klassische Serien setzte. Rückblickend betrachtet muss die Vision von David Lynch und Mark Frost wie ein wildes Ungetüm im Programm des Senders gewirkt haben, dabei fußt Twin Peaks auf dem gleichen Fundament wie so viele andere Dramen, die gerne ins Soapige driften und zu jener Zeit die heimischen Bildschirme dominierten. Sogar in der Form folgte Twin Peaks dem etablierten Werdegang einer Network-Serie und ging den mühsamen Weg vom Pilot zur Serien-Bestellung.

Twin Peaks

Kaum durften danach David Lynch und Mark Frost ihre wagemutigen Ideen umsetzen, war die Serienlandschaft nicht mehr die gleiche. Zwar gab es sie noch, die vertrauen Motive des Kleinstadt-Lebens im Network-Fernsehen - etwa familiäre Intrigen, Machtspiele und ein ständiges Hin und Her zwischen den einzelnen Mitgliedern des Ensembles. Mit Twin Peaks erhielten all diese Bestandteile aber eine bis dato ungeahnte Abgründigkeit, so unverschämt suhlten sich die Episoden in den verdorbenen, hässlichen Winkeln der Gesellschaft, mit der es sich, wie mit den Eulen verhält: Sie sind nicht, was sie scheinen. David Lynch, der schon in Blue Velvet einen Blick hinter die idyllische Fassade des Kleinstadtlebens wagte, verliert sich in Twin Peaks nur noch mehr in der Observation verwegener Figuren, die sich stets tiefer in ein unübersichtliches Labyrinth begeben, aus dem es ab einen gewissen Punkt kein Entkommen mehr gibt.

Besonders prägnant ist dabei die Eigenwilligkeit, mit der Twin Peaks umgesetzt wurde und gerade deswegen so verstörend wirkt. Sie übersteigert vertraute Bestandteil des Network-Fernsehens mit einer unfassbaren Faszination für die Perversion und verwandelt sie in eine unergründliche Gratwanderung. Wo Twin Peaks im einen Moment erschreckt und abscheulich ist, können sich im nächsten Moment Gefühle von Geborgenheit und Wohlbefinden ausbreitet - vom vielseitigen Humor der Serie ganz zu schweigen. Generell versteht Twin Peaks in diesem Belang etwas, das in den vergangenen Jahren völlig überwiegend abhandengekommen ist: Der spielerische Umgang mit den durchaus düsteren Themen der Serie, der so manche Szenen erst richtig unbequem werden lässt und sein Ziel trotzdem nie verfehlt. Vermutlich ist es diese Eigenwilligkeit, die Twin Peaks all die Jahre später so unverbraucht wirken lässt, als wäre der "damn good coffee" immer noch so frisch wie beim ersten Mal.

Es ist durchaus beeindruckend und ebenfalls ein bisschen verwunderlich, dass Twin Peaks diesen Status selbst im Zeitalter des Peak TV weiterhin für sich beanspruchen kann und nun sogar so verlockend ist, dass David Lynch sich einmal mehr auf den Regie-Stuhl wagt, nachdem mit Inland Empire bereits vor über zehn Jahren sein letzter Film im Kino zu sehen war. So gut Twin Peaks den Qualitätsserien der 2000er Jahre den Weg geebnet hat und auch aktuelle Vertreter der Gattung mal mehr, mal weniger offensichtlich inspiriert, nur die wenigsten Serien haben es geschafft, eine solche Geschichte mit vergleichbarer Kraft zu erzählen, die nicht nur unglaubliche ambivalent ist, sondern sich ebenfalls weit über die offensichtliche Handlung hinaus erstreckt. Wenn David Lynch und Mark Frost im Network-Fernsehen erbarmungslos das amerikanische Idyll auseinandernehmen, gleicht es einem unerhörten Streich, der sich gnadenlos in den eigenen vier Wänden abspielt, wo eigentlich die Harmonie berieselnder Abendunterhaltung herrschen sollte.

Twin Peaks

Twin Peaks aber ist fies und unangenehm und bringt somit etwas ins Fernsehen, was in den 1990er Jahren noch nicht selbstverständlich war, aktuelle jedoch gefragter denn je ist. Sadismus und Zynismus ist nur einer der wenigen Vorwürfe, die sich aktuell Serien à la Game of Thrones und The Walking Dead gefallen lassen müssen, wenn sie von Woche zu Woche mit den Leben ihrer Figuren und (somit) unseren Gefühlen (für diese) spielen. Twin Peaks begleitet nicht in den ruhigen Schlaf, sondern sorgt dafür, dass man die ganze Nacht aufgrund von einnehmenden Albträumen nicht schlafen kann, was in anderen Worten so viel bedeutet wie: Twin Peaks beschäftigt und provoziert die Auseinandersetzung. In einer Zeit, in der die Recap-Kultur im Internet selbstverständlich geworden ist, mag es nur schwer vorstellbar sein, wie die Reaktionen auf den jüngsten Cliffhanger von Twin Peaks anno dazumal katalysiert wurden.

Letzten Endes ist diese fordernde Geste das größte Vermächtnis von Twin Peaks, denn wenn die Serie etwas geschafft hat, dann war es, die Serienlandschaft der frühen 1990er Jahre gehörig aufzuwirbeln. Die Auswirkungen von Laura Palmas Tod sind nicht nur in jeder Ecke der titelgebenden Kleinstadt zu spüren, sondern breiten sich über die Grenzen des bewegten Bildes hinaus in der ganzen Welt aus. Wie ein Fieber steckt Twin Peaks an und sorgt für Überwältigung. Es ist ein Phänomen, ein Kult - und dementsprechend ist es kein Wunder, dass nur die wenigsten Serien danach nochmal eine solche intensive Erfahrung möglich gemacht haben. Vielleicht droht die Rückkehr von Kyle MacLachlan als FBI-Agent Dale Cooper, dieses gewisse Einmaligkeit, die seit den 1990er nicht mehr beschwört werden konnte, zu entmystifizieren. Andersrum soll David Lynch und Mark Frost nicht die Chance genommen zu werden, die Serienlandschaft erneut kräftig durchzuschütteln und neu zu erfinden. Sie hätte es wieder einmal nötig.

Twin Peaks

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