Sofia Coppolas Die Verführten in Cannes - Ein keimfreies Vergnügen

24.05.2017 - 14:15 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Der etwas andere Bling Ring: Die Verführten
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Der etwas andere Bling Ring: Die Verführten
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Nicole Kidman, Elle Fanning und Kirsten Dunst sind Die Verführten im neuen Film von Sofia Coppola, einer unterhaltsamen, wenn auch allzu geschmackvollen Reise in die Südstaaten während des Bürgerkriegs.

Der entscheidende Unterschied lässt sich am deutschen Titel erahnen. The Beguiled lautet der Originaltitel des neuen Films von Sofia Coppola, der heute beim Festival Cannes gezeigt wurde. Betört oder getäuscht bieten sich als Übersetzung an, für den aktuellen deutschen Titel wurde Die Verführten gewählt. Plural, zuallererst Verweis auf die sechs Schülerinnen und ihre Lehrerin (Nicole Kidman), die zu Zeiten des Amerikanischen Bürgerkrieges einen verwundeten Soldaten des Feindes (Colin Farrell) aufnehmen und ihm verfallen. Betrogen lautet hingegen der deutsche Titel von Don Siegels Adaption der Geschichte aus dem Jahr 1971, in der Clint Eastwood in der Mädchenschule Unterschlupf findet. Mehrdeutig in jeder Hinsicht. Sind es die Frauen und Mädchen, die von der flatterhaften Zuneigung des Yankees hintergangen werden, oder verhält es sich umgekehrt? Die Adaption aus der Feder von Sofia Coppola merzt potenzielle Unreinheiten und Verwerfungen dieser Art aus. Sie entführt in eine verwunschene Enklave des Friedens, in der der Zusammenhalt der Frauen von einem möglicherweise gefährlichen Fremdkörper auf die Probe gestellt wird. Märchenhaft inszenierte Wälder schirmen die Verletzlichen vom Kanonenfeuer ab, und wie die souverän aufspielenden Kirsten Dunst und Nicole Kidman von der Anwesenheit des Eindringlings aufgewühlt werden, gehört zu den großen Vergnügen des diesjährigen Wettbewerbs in Cannes.

Nicole Kidman in Die Verführten

Der Fremdkörper im weiblichen Gruppenorganismus liegt unter den idyllisch ausschweifenden Baumkronen, dem grünen Himmel dieser gut erzogenen Südstaaten-Damen. Beim Pilzesammeln findet eines der Mädchen ihn und schon gehen die Diskussionen los: Den Feind an die Konföderierten sofort ausliefern oder erst seine Wunde behandeln? "Christliche Nächstenliebe", wie es an einer Stelle heißt, bewegt Schuloberhaupt Martha (Nicole Kidman) dazu, den am Bein verletzten Corporal John McBurney (Colin Farrell) aufzunehmen. Obwohl Soldaten, egal auf welcher Seite des Krieges, von den Frauen aus gutem Grund gemieden werden, denn Vergewaltigung stellt eine allgegenwärtige Gefahr dar. Die Nächstenliebe obsiegt und so findet sich Martha schnell mit einem nassen Tuch im Zimmer des Ruhenden wieder. Jeder Tropfen auf seiner Haut strahlt die wohlerzogene Frau verführerisch wie anrüchig an. Es ist nur der Beginn, denn sobald John aufwacht, versucht er die kleinen und großen Bewohnerinnen der Schule um den Finger zu wickeln. Was diese, besonders die von einem anderen Leben träumende Edwina, willig annehmen.

Auf der Suche nach resistenten Keimen

Mit einem feinen Auge für (weibliche) Erregungszustände beobachtet Coppola das um sich greifende Gefühlswirrwarr. Der Soldat genießt die allgemeine Zuneigung sichtlich und versucht sie zu seinen Gunsten auszunutzen. Die Damen des Hauses überbieten sich derweil bei der Erregung seiner Aufmerksamkeit. Das gipfelt in einer raffinierten Dinnerszene, in der die Kamera von Philippe Le Sourd von Kleid zu Kleid, rund um den Tisch schweift, und die Stoffe der Abendkleider deliziöser, die Schulterausschnitte freizügiger werden. Der Soldat hat keine Ahnung, in was er da hineingeraten ist. Eine Andersweltlichkeit herrscht in der von Männern und Sklaven verlassenen Südstaatenvilla vor. Die verschlungenen Baumkronen umwabert ein immerwährender Dunst. Das warme, weiche Kerzenlicht trägt die Atmosphäre in Zimmer und Dinnersäle fort. In Bildern wie diesen schlägt sich die Herkunft des Geschichte nieder, denn der Originalroman von Thomas P. Cullinan wird der Südstaaten-Gotik zugerechnet. Der Schauer liegt jedoch im Auge des Betrachters, als sich die Situation des Soldaten zum Negativen wendet und er die Frauen dafür verantwortlich macht.

Dabei bleibt prinzipiell kein Zweifel, wer für die Unruhe und zu erwartende Eskalation verantwortlich zeichnet und büßen muss. Im Don Siegel-Film wallte Leidenschaft und Eifersucht zügellos in den Frauen auf, es machte sie mitschuldig. Bei Coppola verläuft es vergleichsweise gesittet. Jede Unreinheit, jedes Anzeichen von einer Lust am amoralischem Spektakel wird in Die Verführten desinfiziert. Neid und Zersetzungserscheinungen der Gruppe werden abgemildert. Rachsucht in einer entscheidenden Szene ebenfalls. Marthas inzestuöse Sehnsucht nach ihrem toten Bruder aus dem ersten Film fällt weg, eine Liebe "vor dem Krieg" wird stattdessen kurz erwähnt. War bei Siegel eine Sklavin als Helferin im Haus zurückgeblieben, landet das Essen diesmal mirakulös von selbst auf dem von Weißen flankierten Tisch. Der eine Film war von seinem Vorspann an fest im Amerikanischen Bürgerkrieg verankert, bei Coppola spielt sich die Verführung in einer zum Ahistorischen tendierenden Parallelwelt ab, mit dem Bürgerkrieg als Kulisse in der Ferne. Das macht Die Verführten nicht automatisch schlechter, ist es doch gleichzeitig der Versuch einer eigenständigen Adaption. Ein paar Stolpersteine hätten dem bisher gradlinigsten Film von Sofia Coppola allerdings gutgetan.

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