Sieben Minuten nach Mitternacht - Liam Neeson macht alles besser

08.10.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Sieben Minuten nach MitternachtStudiocanal
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Liam Neeson sollte in jedem Film als Monster vorbeischauen, lautet die Lehre aus Sieben Minuten nach Mitternacht. Dem Remake des französischen Horrorfilms Inside hätte das ebenfalls nicht geschadet.

Ich bin mir noch unsicher, was es über den Film aussagt, aber die Schulkinder, mit denen ich Sieben Minuten nach Mitternacht gesehen habe, mochten gar nicht aufhören mit Klatschen. Vor dem Film, als Regisseur und zukünftiger Dino-Bändiger J.A. Bayona von den Hunderten Halbwüchsigen wie ein Superstar bejubelt wurde. Während des Films, etwa als Connor (Lewis MacDougall) seine verständliche Wut erst an einer Tasche, dann am Mobiliar ausließ. Im Finale schließlich bei jedem einzelnen Schnitt, bis die Trennschärfe zwischen aufrichtigem, ironischen und Peer-Group-Pressure-Jubel sich vollends im Dunkel des Saals auflöste. Ganz sicher bin ich mir hingegen, dass das ebenfalls beim Festival in Sitges gezeigte spanische Horror-Remake Inside durch eine Meute chaotisch klatschender Pennäler nur hätte gewinnen können.

Sieben Minuten nach Mitternacht

Bei Ansicht von Sieben Minuten nach Mitternacht lässt sich Szene für Szene nachvollziehen, warum der Spanier J.A. Bayona dazu auserkoren wurde, Jurassic World 2 zu inszenieren. Bereits im Katastrophendrama The Impossible hatte er großangelegte Spezialeffekte dirigiert. Nun reiht sich das Monster (Liam Neeson) ein, ein entwurzeltes Baumwesen mit feurigem Kern, eine Mischung aus koffeiniertem Ent und holzigem Optimus Prime, angereichert mit dem Gemüt der Peitschenden Weide. Zum Big Friendly Giant taugt die Traumerscheinung des jungen Connor ganz sicher nicht, was auch am genialischen Casting seines Sprechers Liam Neeson liegt. Der kann den weisen Qui-Gon geben, aber dem englischen Jungen auch die Haare zu Berge stehen lassen, als hätte ihn Bryan Mills als albanischen Menschenhändler enttarnt. Das gleichermaßen aus computergenerierten und praktischen Effekten bestehende Monster stampft und knirscht über die Wiesen nahe Connors Haus und wenn sein knorriger Leib sich in einer zitternden Pfütze spiegelt, glaubt man, Bayona befände sich gerade im Mail-Austausch mit Steven Spielberg.

Patrick Ness hat seinen eigenen Roman adaptiert, eine denkbar ungewöhnliche Geschichte für einen Fantasyfilm anno 2016. Connors Mutter (Felicity Jones) ist schwer an Krebs erkrankt, der Junge wird in der Schule verprügelt und im Leben seines Vaters (Toby Kebbell) spielt er nur eine Nebenrolle. Als seine Großmutter (Sigourney Weaver) droht, den Jungen zu sich zu nehmen, kommt der stets sieben Minuten nach Mitternacht erscheinende Baumriese gerade recht. Drei Geschichten will er Connor erzählen, die vierte muss dieser selbst liefern, sonst droht ... irgendwas. Begleitet von Liam Neesons uriger Erzählerstimme entfalten sich vor uns Bewegtaquarelle über Prinzen, Heiler und böse Stiefmütter. Dabei ähnelt J.A. Bayonas Film durchaus BFG - Big Friendly Giant, wenn die Versenkung in die animierten Sequenzen, aber auch die Verästelungen des Riesen das Spektakel eines klassischen Abenteuerfilms suggerieren sollen, aber nicht können. Die einzige Reise, die in Sieben Minuten nach Mitternacht vollzogen wird, ist jene in Connors stürmische Gefühlswelt. Die lohnt sich weit mehr als die Übungsfahrt im Blockbusterterrain, welche Bayona in den aufwendigen, aber atmosphärisch leeren Riesen-Szenen durchzieht. Trauer, Wut und Angst heißen die eigentlichen, schwer vermarktbaren Antagonisten. Sie haben von dem Jungen Besitz ergriffen und lassen ihn in diesen sieben Minuten nach Mitternacht im Grunde festsitzen, während ein neuer Tag auf den Anbruch wartet. Insofern dient sich Bayona für die Jurassic World 2-Regie eher durch den sensiblen Umgang mit seinem jugendlichen Hauptdarsteller an. Ohne Neesons Stimme bliebe schlicht wenig Erinnerungswürdiges an dem hölzernen Giganten.

Inside

Im Vergleich zum Remake von Inside - Was sie will ist in dir (wird dieser deutsche Untertitel auch neu aufgelegt werden?) allerdings verdient Sieben Minuten nach Mitternacht den Jubel im Kino tausendfach. Obwohl von Spaniern produziert, wurde Inside für den amerikanischen Markt maßgeschneidert, zu sehen beispielsweise beim Schauplatz in Chicago, der englischsprachigen Belegschaft und dem durchweg entzahnten Horror im, nun ja, Horrorfilm. Wer sich das französische Terrorkino schon immer ohne Terror erträumte, dem erfüllt Regisseur Miguel Ángel Vivas zusammen mit diversen Verantwortlichen der [REC]-Reihe seinen grauenhaften Wunsch. Seite für Seite folgt das Drehbuch in der ersten Hälfte dem Original und damit der Geschichte rund um eine Schwangere (Rachel Nichols), die nach einem Autounfall ungebetenen Besuch von einer Fremden (Laura Harring) erhält. Die hat es offenbar auf ihr Baby abgesehen und schreckt vor nichts zurück, um an das Ungeborene zu kommen. In den ersten Minuten wird die psychische Isolation der werdenden Mutter effektiv durch Kamera und Sounddesign suggeriert. Trauer über den Verlust ihres Mannes und Ungewissheit über die Zukunft haben ihre Welt schrumpfen lassen. Wenn das nicht genügt, wird eben das Hörgerät ausgeschaltet, bis sie in ihrer Blase ganz allein herumtreibt. Nur klingelt statt eines weisen Riesen eine Psychopathin. Seine unangenehmsten Spannungsmomente entwickelt Inside in ebenjenen Szenen, die den Eindringling vermuten lassen, aber noch nicht zeigen. Sobald "die Frau" auftritt, gewinnt eine nichtssagend polierte Inszenierung die Oberhand. Was also bleibt, wenn du einem auf Dämlichkeit aller Beteiligten bauenden Plot die überwältigende Rohheit des jüngeren französischen Horrorfilms entziehst? Genau, der dämliche Plot.

Szenenapplaus gab es auch von den Kritikern in Inside, von denen sich offenbar nur wenige in die nachfolgende Vorstellung von Sieben Minuten nach Mitternacht verliefen. "Grandma is trying to turn me into Tina Turner", witzelt die gekonnt leidende Felicity Jones in dem Film. Das entlockte im von Spät-Millennials gefüllten Saal genau einen Lacher offensichtlich mittleren Alters. Eindeutiger war da das erschrockene Raunen, das durch den Saal ging, als Connor von seinen Peinigern auf dem Schulhof zusammengetreten wird. Wie viele von den Zuschauern morgen wohl von einem eigenen Riesen mit Liam-Neeson-Stimme träumen?

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