Emma Stone könnte alles tun, was sie wollte, aber sie lässt sich ein Baby-Hirn in den Schädel einsetzen und entdeckt ziemlich explizit ihre Sexualität – in Poor Things. Das ist der neue Film des Griechen Yorgos Lanthimos, mit dem Stone schon bei The Favourite zusammenarbeitete. Yorgos Lanthimos dreht keine angestaubten Biopics, keine austauschbaren Superheldenfilme, keine klassischen Oscar-Darlings.
Lanthimos dreht Filme, in denen Emma Stones Schädel aufgeschnitten, ihr Hirn entnommen und ein neues eingefügt wird. Das bürgt nicht per se für Qualität, aber Poor Things ist ein schöner Beweis für Emma Stones Lust am Risiko. Sofern das Wörtchen Risiko auf einen Millionen schweren Hollywood-Star angewendet werden kann.
Poor Things ist wie ein Mix aus Frankenstein und Barbie
Die Gehirn-Transplantation wird in dem Retro-Science-Fiction-Film nach einem Roman von Alasdair Gray von Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe) durchgeführt. Der moderne Frankenstein oder Dr. Moreau näht Hühnern Mopsköpfe an und erweckt Leichen zu neuem Leben. So geschieht es mit Bella Baxter (Emma Stone). Sie wächst, eingeschlossen in seiner Villa, mit dem Geist eines Kleinkinds und dem Körper einer Frau auf.
Diese schwarz-weißen Passagen kindlichen Chaos werden im Fischaugen-Look eingefangen, begleitet von auf die Trommelfelder kratzenden Tönen. Sie lassen sich alles in allem schwer ertragen. Je mehr Bella geistig wächst und aus diesem Panoptikum ausbricht, desto mehr fügen sich die skurrilen Ideen und Gags zu einem grotesken Bildungsroman zusammen.
Als Bella mit dem eingebildeten Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) nach Lissabon durchbrennt, um die Freuden und Grässlichkeiten des Menschendaseins kennenzulernen, kehrt Farbe ein. Dann entwickelt sich Poor Things zu einer köstlichen Frankenstein-Variation, in der das Monster sich als Barbie für Erwachsene herausstellt. Den Gang zum Gynäkologen überspringt sie. Bella taucht ein ins Meer der sexuellen und intellektuellen Entdeckung.
Ohne Emma Stone wäre Poor Things eine Tortur
Poor Things erzählt, wie Greta Gerwigs Barbie, die Emanzipationsgeschichte eines künstlichen Wesens, das zwischen männlicher Hybris sein Frausein entdeckt. Nur sieht die echte Welt bei Lanthimos kaum realistischer aus als Barbieland. Die Studiokulissen von Lissabon, London oder Paris werden als Labyrinth inszeniert. Das verschlungene Bella-Land erscheint gleichzeitig historisch und fantastisch, stilvoll und geschmacklos.
Die Künstlichkeit spiegelt sich im manierierten Spiel, der blasierten Betonung und einer eigenen Sprache, mit der die Schauspielenden verkehren. Statt jedoch dauerhaft ins Unerträgliche zu kippen, schafft Lanthimos, was ihm nicht immer gelingt. Er schaut seinen Figuren unter den Schichten eines Drehbuchs dabei zu, wie sie das Atmen lernen. Das betrifft in erster Linie Bella.
- Mehr aus Venedig: Lohnt sich Ferrari von Heat-Regisseur Michael Mann?
Was bleibt noch zu sagen, außer: Ein Glück, dass es Emma Stone gibt!
Poor Things kommt erst nächstes Jahr ins Kino und zwar am 8. Februar 2024.