Panik-Attacken im Kino: Das steckt wirklich hinter dem Sci-Fi-Horrorfilm mit Herr der Ringe-Star Viggo Mortensen

26.05.2022 - 11:33 Uhr
Crimes of the FutureWeltkino
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Meisterregisseur David Cronenberg ist zurück mit dem Sci-Fi-Film Crimes of the Future, der im Körperhorror wieder die Lust entdeckt. Doch wird der Film seinem Ruf gerecht?

Der Regisseur von Videodrome, Die Fliege und eXistenZ kehrt mit seinem ersten Film seit sechs Jahren zu dem Genre zurück, das seinen Ruf mitbegründete. Dreht David Cronenberg jedoch einen neuen Science-Fiction-Film, steigen die Hoffnungen auf Angst einflößende Zerfleischungen ins Unermessliche.

Crimes of the Future lautet der vielversprechende Titel seines neusten Werks, das im Wettbewerb um die Goldene Palme der Filmfestspiele von Cannes läuft. Aber erwartet um Himmels Willen keinen Cronenberg, der ungekannte Geschmacksgrenzen überschreitet. Der wirbelsturmartige Hype um den Film mit Viggo Mortensen, Léa Seydoux und Kristen Stewart hat sich spätestens beim Abspann in ein laues Lüftchen verwandelt. Laue Lüftchen sind allerdings nicht zu verachten.

Statt Panikattacken bietet der Sci-Fi-Horrorfilm Crimes of the Future sinnliche Organ-Massagen

Neben den Trailern dürfte auch Cronenberg die Erwartungshaltung befeuert haben. In einem Interview mit IndieWire  Anfang Mai erklärte er:

Ich bin sicher, dass [einige im Publikum] in den ersten fünf Minuten den Saal verlassen werden. [...] Einige, die den Film gesehen haben, sagten, dass die letzten 20 Minuten ziemlich hart für die Leute sein werden und dass es viele Walkouts geben wird. Ein Typ meinte, er hätte fast eine Panikattacke gehabt.

Wie sahen nun die tatsächlichen Reaktionen in Cannes aus?

Schaut euch den Trailer für Crimes of the Future an:

Crimes of the Future - Trailer (English) HD
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Bei der Weltpremiere sollen ein paar Dutzend frühzeitig aus der Vorstellung gegangen sein, wie Variety  berichtet. Das klingt viel, aber ein bisschen weniger, wenn man bedenkt, dass das Auditorium Louis Lumière 2.300 Gästen Raum bietet. In der Pressevorführung hörte man dagegen kaum, wie Türen in die Angel fallen. Panik ergriff höchstens jene, die einen knalligen neuen Cronenberg-Trip ersehnt und ihre Überschriften passend dazu schon formuliert hatten. Anstelle dessen wurden sie mit ein paar amüsanten Gesprächen in der baufälligen Zukunft konfrontiert.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Crimes of the Future enthält ein paar eklige Szenen, die ich nicht bei Kaffee und Mohnkuchen mit meiner Omi goutieren würde. Immerhin spielt Léa Seydoux eine ehemalige Chirurgin, die ihrem Performance Art-Partner Viggo Mortensen vor Publikum Organe aus der Bauchhöhle schneidet. Später im Film wird die Leiche eines Jungen als Teil der Show obduziert. Wer allerdings Horror-Erfahrung mitbringt und nicht gerade eine Phobie davor hat, dass Léa Seydoux Organe sinnlich massiert, wird Crimes of the Future ohne Panikattacke überstehen.

Der Film mit Herr der Ringe-Star Viggo Mortensen sorgt nicht für Panikattacken, aber hat einen besonderen Charme

Hardcore-Cronenberg-Fans, zu denen ich mich definitiv nicht zähle, werden sich an den vielen Echos von Crash und anderen Werken des Regisseurs erfreuen. Mein Herz eroberte der Science-Fiction-Film durch sein unaufgeregtes Tempo, die skurrilen Figuren und das Gefühl, einem Meister dabei zuzusehen, wie er sein lang erprobtes Werkzeug schärft.

Crimes of the Future

Die Geschichte von Crimes of the Future verzichtet auf dramatische Höhepunkte und gerade wenn man denkt, es gehe richtig los, läuft der Abspann. Der Film, in dem der Verdauungstrakt eines Kindes das Gefüge der Zukunft zum Wanken bringt, arbeitet vielmehr mit Impressionen. Es ist eine Art humorvoller Spaziergang durch eine Zukunft, die in Sachen Technik aussieht wie unsere Vergangenheit.

Dabei begegnet einem Mortensens Saul, wie er à la Baba Yaga auf einem wackligen Hühnerknochenstuhl sitzt, der seine Verdauung erleichtert. Kristen Stewart schaut vorbei als entzückend zwitschernde Mitarbeiterin einer Organ-Registrierungs-Agentur. Léa Seydoux wiederum ankert den Film als eine der wenigen, die tatsächlich Gefühle ausdrückt (und am aufgeschnittenen Bauchfell ihres Partners lutscht).

Obwohl diese Zukunft heruntergekommen, die Gesellschaft zerfleddert und die Menschen erkaltet erscheinen, herrscht beim neuen Cronenberg eine gut gelaunte Melancholie vor. Die zog mich in ihren Bann, vielleicht weil sie so lässig und selbstverständlich war im Vergleich zur offensichtlich ambitionierten Standardware im Wettbewerb von Cannes. Cronenberg muss niemandem mehr etwas beweisen, er muss sich nicht selbst übertreffen. Davon können sich einige Kolleg:innen eine Scheibe abschneiden. Mit oder ohne High-Tech-Obduktionsstuhl.

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