Oscar 2015 - Dichter & Denker statt Richter & Henker

13.10.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Schiller zwischen den Schwestern
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Schiller zwischen den Schwestern
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Das poetisch-leichtfüßige Drama Die geliebten Schwestern soll im kommenden Jahr den Oscar für Deutschland holen. Florian Stetter verkörpert den berühmten Dichter Friedrich Schiller. Durchbricht der Film damit eine Tradition?

Seit August ist es amtlich: Das Liebesdrama  Die geliebten Schwestern um den großen Dichter und Denker Friedrich Schiller und seine Dreiecksbeziehung zu den Schwestern Charlotte und Caroline sorgte nicht nur in aufgeklärten Weimarer Kreisen für Furore, sondern auch in der internationalen Filmszene. Der Film wird als deutscher Kandidat für den Oscar in der Kategorie Bester nicht-englischsprachiger Film ins Rennen geschickt. Ob er überhaupt eine offizielle Nominierung der Academy erhält, zeigt sich im kommenden Januar. Bis dahin bleibt all denjenigen, die noch nicht in den Genuss des Films gekommen sind, genügend Zeit, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen - und ein wenig über die deutschen Oscar-Beiträge der letzten Jahre zu sinnieren.

In Die geliebten Schwestern erzählt Dominik Graf die Ménage à trois von ihrem Beginn im Sommer 1788 bis zu ihrem Ende durch Schillers frühzeitigen Tod im Jahre 1805. Dazwischen wird viel geliebt, gelitten und geschrieben. Das aufgeklärte Menschen- und Beziehungsbild, das die drei Liebenden vertreten, stößt auf die Etikette einer Gesellschaft, die noch nicht bereit für diese Ideale bürgerlicher Freiheit ist. Im vergangenen Februar konnte das 139-minütige Liebesdrama die Kritiker bereits auf der Berlinale begeistern, der Film konnte dort jedoch keinen begehrten Bären gewinnen.

Das Liebesleben des Poeten mag sich so oder so ähnlich zugetragen haben, aber Fakt ist es, dass erneut ein deutscher Film als Oscar-Kandidat gehandelt wird, der sich an die Umsetzung eines historischen Stoffes machte. Im Jahre 2005 kämpfte das Drama Der Untergang um die begehrte Trophäe. Der Film über die letzten Tage Adolf Hitlers ging jedoch leer aus, genauso wie im folgenden Jahr das Drama Sophie Scholl - Die letzten Tage. 2007 gelang es dann Florian Henckel von Donnersmarck mit dem Stasi-Lauschangriff in Das Leben der Anderen, den begehrten Goldjungen einzusacken. 2008 schaffte es Fatih Akins Auf der anderen Seite nicht unter die Nominierten, die begehrte Trophäe ging an den österreichischen Film über geldfälschende KZ-Häftlinge, Die Fälscher. Ein Jahr später ging Der Baader Meinhof Komplex leer aus, ebenso Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte des Österreichers Michael Haneke 2010. 2013 wurde Hanekes Kammerspiel über die Beziehung eines alten Ehepaares, Liebe, mit dem Oscar prämiert. In diesem Jahr fand kein deutschsprachiger Film Eingang unter die Nominierten. 

Unschwer ist wohl eine gewisse Tendenz in der Auswahl der Filmbeiträge zu erkennen. Ein sehr beträchtlicher Teil von ihnen beschäftigt sich mit der jüngeren deutschen Vergangenheit. Von der NS-Zeit, dem Zweiten Weltkrieg über den Deutschen Herbst bis hin zur DDR und dem Ende der Teilung Deutschlands wird die Geschichte unter unterschiedlichsten Aspekten auf der Leinwand erneut aufgerollt. Dieses Konzept bewies sich bisher als außerordentlich erfolgreich und gewinnbringend. Das zeigt auch die Bilanz der oscarnominierten deutschen Filme. Warum ist das so? Die Filme, die sich derart ernster Thematiken annehmen, werden häufig mit ordentlich finanzieller Förderung versehen, die eine aufwendige Produktion erlauben. Gilt das Produkt somit dann als hochwertiger? Oder möchte man den Drang, die vornehmlich dunklen Kapitel der eigenen Geschichte aufzuarbeiten, belohnen? Oder erweisen sich die Themen im Ausland schlicht und einfach als besonders beliebt? Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch Die geliebten Schwestern einen erneuten Blick auf ein bereits abgeschlossenes Kapitel deutscher Geschichte wirft. Jedoch ist dieser nicht politisch, sondern rückt das Gefühlsleben der drei Protagonisten und ihre geistigen Ideale in den Vordergrund.

Weitaus experimentierfreudiger zeigen sich da andere europäische Staaten. Die Niederländer schickten in diesem Jahr den mysteriösen Thriller Borgman, der aktuell in den deutschen Kinos so sehen ist, ins Rennen, Belgien beteiligte sich mit dem tragischen Musikfilm um eine ungleiche Kleinfamilie, The Broken Circle, am Wettbewerb. Mads Mikkelsen spielt in dem 2014 nominierten, dänischen Beitrag Die Jagd einen zu Unrecht beschuldigten Mann, der um seinen Ruf und seine Ehre kämpft. Als großer Gewinner des Oscars für den Besten nicht-englischsprachigen Film ging in diesem Jahr dann der italienische Regisseur Paolo Sorrentino mit seinem Meisterwerk La Grande Bellezza - Die große Schönheit von der Bühne. Gemeinsam ist diesen sehr unterschiedlichen Filmen, dass auf ihren fiktiven Geschichten nicht die schwere Last der Geschichte drückt. Tatsächlich sind ihre Handlungen in der Gegenwart angesiedelt und beschäftigen sich mit dem Schicksal ganz normaler Menschen (zugegeben, auf Borgman passt dieses Attribut vielleicht weniger) und den Tragödien des Alltags. Wunderbar hätte sich zum Beispiel Oh Boy von Jan Ole Gerster  in die Liste der Nominierten eingereiht. Tom Schilling bietet in der Rolle des ziellos durch das Berlin der Gegenwart treibenden Niko Fischers eine willkommene Abwechslung zu der allzu oft geplünderten jüngeren deutschen Vergangenheit (in einer seiner stärksten Szenen persifliert der Film eben diesen Wahn). Leider konnte sich der deutsche Vorschlag Zwei Leben für den Oscar 2014 nicht unter den Nominierten positionieren. Worum es geht: Ein NS-Opfer wird zum Stasi-Spitzel - bis die Mauer fällt...

Freut ihr euch über die diesjährige Wahl? Welchem deutschen Film der letzten Jahre hättet ihr gern den Oscar verliehen?

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