Opa hat Alzheimer, wie niedlich ... nicht!

28.01.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
So wie Honig im Kopf, so verklebt ...Warner Bros./moviepilot
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Mit Honig fängt man Fliegen - und Kinozuschauer, die selbst bei einem Thema wie Alzheimer ein wohlig-warmes Gefühl in der Magengegend haben wollen. Aber Erfolg ist nicht immer ein Gütesiegel und manchmal ist Honig einfach nur Bienenschiss ...

Im Kommentar der Woche stellen wir euch jede Woche einen Kommentar vor, der so gut ist, dass er einen ganzen Artikel, einen Platz auf unserer Wochenendbühne verdient hat. Ob dort eine Serie in den Himmel gelobt oder ein Film in den klebrigsten Kreis der Hölle gestoßen wird, einem Star ein anzügliches Sonett verfasst, oder eine News drehbuchreif diskutiert wird. Wenn ihr denkt: "DAS ist für mich der beste Kommentar, den ich diese Woche gelesen hab!" - dann solltet ihr uns Bescheid sagen und ihn nominieren!

Der Kommentar der Woche
Ah, Honig im Kopf ... ein Film, der seine ganz eigene Geschichte bei moviepilot hat - und von Jenny von T gnadenlos in seine klebrigen Einzelteile zerlegt wird. Mehr braucht es eigentlich gar nicht als Einleitung, denn Frau von T lässt sich keinen Honig ums Maul schmieren ...

Was hat eigentlich Til Schweiger im Kopf? Honig kann es nicht sein, denn dies würde ja bedeuten, dass dort zunächst einmal irgendetwas fließt, mithin in Bewegung ist. Daran jedoch glaube ich, nachdem ich seinen aktuellen Megaerfolg HONIG IM KOPF gesehen/ertragen habe, leider nicht mehr unbedingt.

Der Film ist eine schiere Erniedrigung – für Alzheimer-Betroffene, natürlich, und überhaupt für jeden, der ein Mindestmaß an Einsicht, Empathie und Redlichkeit sein Eigen nennt. Schweiger inszeniert diese schlimme Krankheit, als wäre sie eine aufregende Achterbahnfahrt, die man unbedingt erleben muss. Und als Marktschreier macht ihm tatsächlich niemand etwas vor. Opa pinkelt in den Kühlschrank, baut einen Verkehrsunfall, kann nicht mehr die Kaffeemaschine bedienen, sich nicht mehr selbstständig die Zähne putzen. Und wenn Opa traurig ist, steigen wir mit ihm in den Zug und fahren nach Venedig. Was haben wir gelacht!

Ein Kind, das HONIG IM KOPF schaut und noch nicht über ausreichend Reflexionsvermögen verfügt, kommt möglicherweise auf die Idee, Mama und Papa auch Alzheimer zu wünschen... weil es ja nun gelernt hat, dass dann immer total lustige Dinge passieren. Jemandem, vielleicht sogar in bester Absicht, die Angst nehmen zu wollen, ist eine Sache – die Wirklichkeit komplett auf den Kopf zu stellen, eine andere. Wir reden hier auch nicht von Naivität, oder Freiheit der Kunst. Menschenverachtung heißt das Wort, mit dem ich keine Sekunde länger hinterm Berg halten möchte. Fast ausnahmslos jede "Pointe" dieses widerlichen filmischen Kuhfladens basiert auf der zunehmenden Orientierungslosigkeit eines Mannes, der langsam die Kontrolle über Geist und Körper verliert. Wie sich für Patienten und Angehörige reale Ohnmacht anfühlt, das interessiert Schweiger und seine Crew offenbar nicht die Bohne – zumindest nicht, solange sich auf deren Kosten Späßchen machen und, am Wichtigsten, Kinokassen füllen lassen.

Über 7 Millionen Zuschauer bundesweit. Ich wiederhole: 7 Millionen. Wie geschieht ein solcher Unfall? Ich vermag es mir nur damit zu erklären, dass all diese Leute einen Weg gefunden haben, über 2 Stunden hinweg jegliche Hirnaktivität auf Null herunterzufahren. Doch warum sollte man so etwas tun?
Ja, das Leben ist oft schwierig und zermürbend, keiner behauptet etwas anderes – aber das kann doch kein Grund sein, in nackten Zynismus zu verfallen und anlässlich dessen auch noch eine laute Party zu feiern. HONIG IM KOPF klatscht schallend ab mit jener Sorte Film (vergleiche: A LONG WAY DOWN, ABOUT A GIRL), die behauptet, Depressionen seien durch ein warmes Glas Milch und einen Teller Kekse aus der Welt zu schaffen. Nein, nicht jedes Problem löst sich in Luft auf, wenn man einfach die Perspektive verändert.

Til Schweiger darf gerne weiterhin glauben, sein nerviges Gör von Tochter besitze schauspielerisches Talent (Meinungsfreiheit usw.). Sein geliebter Sepia-Filter sowie das Indie-Gedudel auf der Tonspur sind mir ebenfalls herzlich egal. Schließlich ist er weder der erste, noch wird er der letzte Regisseur sein, dessen Werke den künstlerischen Wert einer gebrauchten Glühbirne erreichen. Allerdings besteht ein großer Unterschied zwischen "nur" uninspiriert, anmaßend und Misanthropie in Reinform. HONIG IM KOPF überschreitet besagte Grenze zu jeder einzelnen Sekunde und die Mehrheit applaudiert. Ich hoffe auf einen gigantischen Wecker, der ein ganzes Kinopublikum aus seinem Dornröschenschlaf befreit. Bis dahin bleibt mir lediglich ein Gedanke: I don't want to live on this planet anymore.

Den Originalhonigtopf findet ihr hier, ihr kleinen Puhbären!

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