Zivilisiert, das Wort fƤllt hƤufig in Bone Tomahawk. Zu Beginn versichert ein von Genreveteran Sid Haig gespielter Landstreicher seinem Kompagnon, er brauche keine Angst vor der unheimlichen GrabstƤtte haben, zu der sie sich verirrten ā zivilisierten MƤnnern wie ihnen drohe hier keine Gefahr, sagt er. Der Satz ist einigermaĆen verrƤterisch. Kurz zuvor zeigte der Film, wie die beiden MƤnner für ein wenig Diebesgut rastenden Cowboys im Schlaf die Kehle durchtrennten. Sid Haig erklƤrte dem darin offenbar noch nicht ganz so erfahrenen David Arquette, dass er tief schneiden müsse, wenn er nicht wolle, dass seine Opfer den Angriff überlebten. Nach diesem offensichtlich nicht ersten Raubzug der also sehr zivilisierten MƤnner machten sie sich aus dem Staub und sitzen nun auf einer unheimlichen GrabstƤtte fest. Wer sie dort plƶtzlich attackiert, bleibt zunƤchst unklar, aber einer der MƤnner findet ein unrühmliches Ende. S. Craig Zahler stimmt das Publikum mit dieser bƶsartigen Exposition sehr angemessen auf sein finsteres Regiedebüt ein.
In den Romanen A Congregation of Jackals und Wraiths of the Broken Land untersuchte der bislang als Autor und Musiker bekannte Zahler eine Art Wendepunkt des nordamerikanischen Gründungsmythos, nämlich die Versuche, ihn durch die Industrialisierung in das 20. Jahrhundert hinüberzuretten. Seine Plots erzählen zeit- und psychohistorisch von Männern aus Siedlungsverhältnissen, die eigentlich überwunden geglaubte Grenzen munter weiterziehen. Eine Besonderheit der Geschichten ist die Vermengung akkurater Beschreibungen der Frontier-Erfahrung mit Horrorversatzstücken, deren archaische Gewalt den Fortschrittsglauben der neuen Welt auf unterschiedlichste Proben stellt. Im Western-Kontext bedeutet das natürlich eine Angst vor dem Anderen und der Schuld seiner brutalen Verdrängung, konkret also: Es bedeutet die immer wieder beschworene Gefahr "barbarischer" Ureinwohner als vermeintlich störende Elemente der Zivilisation.
Um Indianer aber geht es in Bone Tomahawk dennoch nicht, das stellt zumindest die einzige souverƤn auftretende indigene Figur des Films klar. Allenfalls alte weiĆe WildwestmƤnner wie Sheriff Hunt (Kurt Russell), sagt sie, würden jene kannibalischen Hƶhlenmenschen als Ureinwohner identifizieren, die das kleines StƤdtchen Bright Hope überfallen und zwei dort lebende Bürger entführt haben. Hunt und sein Suchtrupp (darunter Patrick Wilson, Matthew Fox und Richard Jenkins) sollten wissen, mit was sie es aufnehmen, heiĆt es. Die Szene ist von entscheidender Bedeutung: Sie bemüht sich einerseits, den Film vorab gegen eine genreübliche reaktionƤre Lesart zu verteidigen, betreibt aber andererseits eine quasi alternative Form des othering, die das Publikum für kommende Schrecken sensibilisiert. Letzteres übrigens aus gutem Grund, denn Bone Tomahawk macht den Splatterexzessen des übel beleumundeten Kannibalenkinos italienischer PrƤgung ernstzunehmende Konkurrenz. Er ist kein Film für seichte Gemüter.
Die StƤdtchenbewohner unversehrt zurückzuholen, ist der mit Kurt Russell groĆartig besetzten Sheriff-Figur eine Herzensangelegenheit. SchlieĆlich geht es ihr nicht allein darum, zwei auch funktional kaum entbehrliche Gemeindemitglieder zu retten, sondern Bright Hope weiterhin als einen Ort strahlender Hoffnung verwalten zu kƶnnen. In "dieser zivilisierten Stadt", ermahnt Hunt den von der eingangs beschriebenen GrabstƤtte Zuflucht suchenden Raubmƶrder David Arquette, schaue man sich "bei GesprƤchen in die Augen". Der Hinweis wirkt wie eine Selbsterinnerung: Für Hunt gilt es die Art Zivilisation zu bewahren, in der etwa ein Sheriff die ƶrtliche Ćrztin (Lili Simmons) zur Genesung des Inhaftierten aufs Revier bestellt, damit dieser sich vor seiner ƶffentlichen Hinrichtung durch HƤngen auch noch ordnungsgemäà erholen kann. Was auch immer Hunt und Gefolgschaft also im "Tal der hungernden Menschen" erwarten wird ā sein bis zum gemeinsamen Aufbruch ausreichend kommunizierter Wertekanon dürfte kaum Gefahr laufen, von Kannibalen grundlegend durcheinandergebracht zu werden.
Die quƤlende Reise ist dann auch der eigentliche Hƶhepunkt des Films. Zwar loben viele Besprechungen zu Bone Tomahawk das kammerspielartige existenzialistische Schlussdrittel, in dem aufrechte townspeople ganz plƶtzlich die Zivilisationsleiter herunterpurzeln (was in der Tat beeindruckend, weil auf selten brutale Art urtümlich inszeniert ist). Doch liegen die besonderen StƤrken der eigenwillig rhythmisierten Geschichte gerade im Nichtvorankommen ihrer Figuren. Grundlos schieĆen sie auf mexikanische Banditen und verlieren ihre Pferde, dem schwer verletzten Patrick Wilson droht wƤhrend des dadurch zu FuĆ bestrittenen tagelangen Marsches sogar eine Beinamputation. Eindrucksvoll übersetzt S. Craig Zahler seine literarische Detailversessenheit in einen Willen zur filmischen Ausgestaltung. Die Kamera klebt an schweiĆdurchtrƤnkten Hemden und klaffenden Wunden, als wolle sie den Zuschauer zu müffelnden Komplizen machen. Wenige Filme ahmten das (Ćber-)Lebensgefühl des Wilden Westens bislang so unangenehm trostlos nach.
Bone Tomahawk ist ab dem 21. Januar 2016 auf DVD und Blu-ray erhƤltlich.