Im Horror-Hype Weapons - Die Stunde des Verschwindens rennen eines Nachts fast alle Kinder aus der Schule einer Kleinstadt freiwillig aus ihren Häusern davon – und tauchen nicht wieder auf. Aus dieser Situation formt Zach Cregger eine Mischung aus Unbehagen, Schockmomenten und lustigen Auflockerungen, die das Rätsel aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Im letzten Drittel präsentiert der Regisseur dann eine Auflösung, die für Diskussionen sorgt und spaltet. Auch wenn Weapons so die ungewisse Anspannung davor opfert, entsteht hier nochmal ein neuer, erschütternder Film über das qualvolle Leiden eines kleinen Jungen.
Die Weapons-Auflösung passt zur Unberechenbarkeit des Horrorfilms
In der ersten Stunde entwirft Cregger in seinem Film neben dem geheimnisvollen Verschwinden vor allem ein Kleinstadt-Panorama aus unterschiedlichsten Persönlichkeiten.
Da ist die Klassenlehrerin Justine (Julia Garner), die mit belastenden Vorwürfen konfrontiert und in der Öffentlichkeit attackiert wird. Daneben sucht der Vater Archer (Josh Brolin) fieberhaft nach seinem verschwundenen Sohn, während sich der Polizist Paul (Alden Ehrenreich) mit einem Zwischenfall herumschlagen muss, in den wiederum der drogensüchtige James (Austin Abrams) verstrickt ist.
Ähnlich wie das Serien-Meisterwerk Twin Peaks, in dem es um die Ermordung der Highschool-Königin Laura Palmer geht, lebt Weapons lange von der fast unerträglichen Ungewissheit, die eine Kleinstadt langsam in den puren Wahnsinn zu treiben scheint.
Cregger schaltet hierbei virtuos zwischen markerschütternden Schocks und witzigen Einlagen hin und her, um dem Film eine Unberechenbarkeit zu verleihen, die von Szene zu Szene schwanken kann. Je länger der Film läuft, desto mehr bleibt jedoch ein Aspekt der Geschichte eine Leerstelle: die Kinder selbst, insbesondere der einzige Junge, der in der schicksalshaften Nacht nicht mit den anderen verschwunden ist.
Im letzten Drittel wird schließlich enthüllt, dass die Hexe Gladys (Amy Madigan) hinter dem Verschwinden der Kinder steckt. Mit schwarzer Magie kann sie alle Menschen manipulieren und mitunter wie gewalttätige Monster bis zum Tod gegeneinander aufhetzen. Gladys versteckte die Schulkinder im Keller der Eltern des Jungen Alex Lilly (Cary Christopher), um ihnen Lebenskraft abzuzapfen, jünger zu werden und länger zu leben. Dafür hat sie sich zuvor als Tante des Kindes getarnt.
Eine durchaus kontroverse Auflösung, die Weapons in eine Art bitterböses, finsteres Märchen verwandelt. Es ist aber vor allem das Schicksal von Alex, das ab hier erschüttert und zutiefst berührt.
Weapons wird durch die Auflösung zum emotionalen Torture Porn
Um die Schulkinder unbemerkt im Keller von Alex' Eltern festzuhalten, wird vor allem der Junge selbst von der Hexe durch einen regelrechten Höllentrip gejagt. Gladys hält Alex' Eltern durch Gedankenkontrolle als Geiseln und droht ihm damit, diese zu töten, wenn er ihren Befehlen nicht gehorcht.
Mit einer verstörenden Machtdemonstration bringt sie die Eltern dazu, sich selbst mit Gabeln das Gesicht zu zerstechen, während Alex alles mitansehen muss. Trotz des mitunter schrillen Auftretens der Bösewichtin als grotesk aufgemachte Tante Gladys wirkt Weapons hier längst wie ein gnadenloser Hammerschlag in die Seele eines kleinen Jungen.
Nach früheren fürsorglichen Szenen zwischen der Familie kommt Creggers Horrorfilm plötzlich emotionalem Torture Porn gleich. Jedes Mal, wenn Alex seine hirntot erscheinenden Eltern mit Suppe füttert, um sie am Leben zu halten, sticht der Film einen fieser als ein Benedict Wong, der aus dem Nichts mit blutigem Gesicht und aufgequollenen Augen auf Julia Garners Figur zugerannt kommt und sich auf sie stürzt.
Der Regisseur hat rund um seinen Film verraten, dass die Passage mit Alex und seinen Eltern autobiografisch sein soll. Cregger ist trockener Alkoholiker und sein ebenfalls abhängiger Vater starb damals an Leberzirrhose.
Im Vergleich mit dem unerklärlichen Horror davor, der wütende Paranoia und schockierenden Kontrollverlust heraufbeschwört, ist das Kapitel rund um Alex viel eindringlicher und zerbrechlicher. Dem Regisseur gelingt es, die manchmal unerklärlichen Kräfte in Bilder zu fassen, die eine Familie verwüsten, auseinanderreißen oder völlig auslöschen können.
Wenn Cregger den Comedy-Faktor dann nochmal aufdreht und Gladys zum Schluss von den Schulkindern in Stücke gerissen wird, ist das der verdiente Befreiungsschlag nach all der Dunkelheit. Davor fühlt sich Weapons aber noch so persönlich und intim an, dass klar ist: hier geht es nicht um eine manipulative Hexe. Die kontroverse Auflösung ist vielmehr der Weg ins tragische Herz des Films.