1972 - Deep Throat macht Porno Chic hoffähig

29.07.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Damiano Films
Deep Throat
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Deep Throat war der erste Pornofilm, den sich ganz normale Mensche in Mainstreamkinos anschauten, ohne sich dafür zu schämen. Im Gegenteil, sie debattierten sogar über das Gesehene.

Auf der Berlinale habe ich in diesem Jahr einen Film über Linda Boreman gesehen. – Über wen? – Linda Boreman. – Kenn ich nicht. – Oh doch, kennst du. Linda Boreman lebte in einem extrem streng religiösen Haushalt, bis sie Chuck Traynor traf, der nicht nur ihr Ehemann, sondern auch ihr selbsternannter Manager wurde. Er sah in ihr spezielle Talente und brachte sie zum Film. Weltberühmt wurde sie dann schließlich unter ihrem Pseudonym: Linda Lovelace.

Eine Krankheit der besonderen Art
Für Deutschland existiert zwar nach wie vor kein offizieller Kinostart, in den Vereinigten Staaten läuft allerdings schon Anfang August der Film Lovelace von Rob Epstein und Jeffrey Friedman an. Mit Amanda Seyfried und Peter Sarsgaard in den Hauptrollen erzählt er die Geschichte einer jungen Frau, die wie zufällig in die Branche hineinschlitterte und zum Star des wohl populärsten und kultigsten Pornofilm aller Zeiten wurde.

Bei Filmen wie Deep Throat wird eine Handlung vom Großteil der Rezipienten zwar als tendenziell nebensächlich empfunden, die Low Budget-Produktion von Gerard Damiano hatte aber tatsächlich so etwas wie einen rudimentären Plot vorzuweisen: Linda kann keinen Orgasmus bekommen. Also schickt ihre Freunden Helen (Dolly Sharp) sie zum üppig ausgestatteten Dr. Love (Harry Reems), der alsbald herausfindet, dass Lindas Klitoris sich in ihrem Mund befindet. Und so erschließt sich ohne viel Gerede auch die passende Behandlungsmethode für ihr Problem.

Ein Pakt mit der Mafia
Innerhalb von nur sechs Tagen wurde Deep Throat in Florida gedreht – mit einem Budget von 22.500 US-Dollar. Über die Einnahmen lassen sich im Rahmen von 100 bis 600 Millionen US-Dollar zwar nur spekulieren, jedoch reichen auch diese ungenauen Schätzwerte aus, um den Pornoklassiker zum Film mit den im Verhältnis höchsten Einspielergebnissen der Filmgeschichte zu machen. Der Dokumentarfilm Inside Deep Throat warf im Jahr 2005 einen Blick hinter die Kulissen des Streifens.

Mit rechten Dingen ging bei der Finanzierung des Films nämlich nicht alles zu. So erklärte der renommierte Filmkritiker Roger Ebert, die hohen Summen kämen nur zustande, weil die meisten US-amerikanischen Pornokinos in den 1970er Jahren der Mafia gehörten, die sie zur Geldwäsche benutzten. Auch die Produktionskosten seien zum größten Teil von der Familie Colombo, einem der Cosa Nostra-Clans aus New York City geflossen, so hieß es.

Heraus aus der Schmuddelecke
Letztlich lief Deep Throat aber in weit mehr als nur Pornokinos. Erstmals hatte es einer der Streifen aus der Schmuddelecke heraus geschafft, wurde in regulären Lichtspielhäusern gezeigt und brachte ein breites Publikum aus der Mitte der Gesellschaft zum Debattieren. Mit der Zeit entwickelte es sich zu einem regelrechten Trend, entsprechende Filme anzusehen und darüber zu diskutieren.

Als 1973 unter der Überschrift Porno Chic eine seitenlange Rezension von Deep Throat in der New York Times erschien, wurde der Titel zum Schlagwort für eine Welle nachahmender Produktionen. Die Budgets näherten sich langsam den sonst üblichen Etats an, die Macher legten zunehmend Wert auf schauspielerische Leistung und nachvollziehbare Handlungsbögen, und sogar der Bildkader änderte sich hin zum Superbreitwandformat. Filme wie Behind the Green Door, The Devil in Miss Jones oder The Opening of Misty Beethoven schwammen in der Erfolgswelle des Porno Chic mit.

Hinter den Kulissen ein Martyrium
Hinter den Kulissen von Deep Throat war trotzdem nicht alles so chic wie es auf den ersten Blick vielleicht aussah. Linda Lovelace, die den Film kurz nach Erscheinen noch vor der Kritik verteidigt hatte, veröffentlichte 1980 ihre Autobiographie Die Wahrheit über Deep Throat, in der sie verriet, ihr Mann Chuck Traynor habe sie mit Waffengewalt zur Pornografie getrieben. Sogar Vergewaltigungen und Prostitution habe sie über sich ergehen lassen müssen, und einmal sei sie sogar lautstark von Traynor verprügelt worden, während im Nebenzimmer die Filmcrew feierte.

Mit den Jahren entwickelte sich Linda Boreman zu einer engagierten Kämpferin gegen Pornografie, und auch das Biopic Lovelace konzentriert sich weniger auf den Kultstatus ihres Debüts als auf das Martyrium der jungen Frau. Wir werden sehen, wann ein Starttermin auch hierzulande dem Publikum diese Aspekte der Geschichte um Deep Throat näherbringen wird.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1972 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
30. August 1972 – Cameron Diaz, Objekt der Begierde in Verrückt nach Mary
28. September 1972 – Gwyneth Paltrow, Love Interest von Iron Man
29. Dezember 1972 – Jude Law, neureicher Dandy in Der talentierte Mr. Ripley

Drei Filmleute, die gestorben sind
07. Februar 1972 – Walter Lang, Regisseur von Rhythmus im Blut
03. Mai 1972 – Bruce Cabot, erster Offizier der Venture aus King Kong und die weiße Frau
21. Mai 1972 – Margaret Rutherford, Miss Marple aus 16 Uhr 50 ab Paddington

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – French Connection – Brennpunkt Brooklyn von William Friedkin (Bester Film, Hauptdarsteller, Regisseur)
Goldene Palme – Der Fall Mattei von Francesco Rosi und Die Arbeiterklasse geht ins Paradies von Elio Petri
Goldener Bär – Pasolinis tolldreiste Geschichten von Pier Paolo Pasolini

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Der Pate von Francis Ford Coppola
Die Höllenfahrt der Poseidon von Ronald Neame
Is’ was, Doc? von Peter Bogdanovich

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
21. Februar 1972 – Richard Nixon besucht China und verbessert damit die diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern
05. September 1972 – Terroristen der palästinensischen Organisation Schwarzer September ermorden israelische Athleten bei den Olympischen Sommerspielen in München
21. Dezember 1972 – Der Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR wird beschlossen

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