Wir hatten Gesichter. Wir brauchten keine Worte.

01.12.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
"There's nothing tragic about being 50, not unless you try to be 25."
moviepilot/Paramount
"There's nothing tragic about being 50, not unless you try to be 25."
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In die Hölle der Narzissten Hollywoods führt der Sunset Boulevard. Der Kommentar der Woche nimmt sich Billy Wilders Klassiker um eine alternde Diva, ihren Butler und einem ohnmächtigen Drehbuchautoren an.

In unserer Rubrik Kommentar der Woche möchten wir eure geistig-textuellen Ergüsse, also eure Kommentare, feiern. Die Voraussetzungen dafür können beinahe alle Kommentare (egal ob für Filme, Serien, Personen, News) erfüllen, ob nun schön, persönlich, kurz, lustig, bizarr, alt, nachdenklich, lang, originell, treffend, gehaltvoll, neu, dadaistisch, bleu oder ihr habt uns einfach nur mit einem Swimming Pool bestochen. Ihr könnt mich per Nachricht gerne gelegentlich auf einen Kommentar, der euch besonders gut gefallen hat bzw. euren absoluten Lieblingskommentar auf moviepilot, hinweisen. Wir können euch keine Versprechungen machen, dass wir den Vorschlag auch auswählen, aber inspirieren lassen wir uns gerne. Also ran an die Tasten und vorschlagen, denn wenn weiterhin kaum Kommentare vorgeschlagen werden (außer die eigenen), werden wir die Rubrik leider einstellen müssen.

Der Kommentar der Woche
Licht, Kamera und Augen auf Mr. Pink und seinen Kommentar zu Sunset Boulevard – Boulevard der Dämmerung – er ist bereit für seine Nahaufnahme:


I’ll wait here
You’re crazy
Those vicious streets are filled with strays
You should’ve never gone to Hollywood


«Ursprünglich hatte Billy Wilder eine andere Eingangssequenz für den Film vorgesehen, und diese auch komplett gedreht. Der Held des Filmes Joe Gillis wird in das Leichenschauhaus von Los Angeles gebracht, er ist soeben erschossen worden. Die dort aufgebahrten Toten beginnen sich zu unterhalten wie sie ums Leben gekommen sind. So erzählt auch Joe Gillis seine Geschichte. Die eigentliche Handlung des Films beginnt.
Wilder erzählte oft, warum er das dann ändern musste: In einer ersten Preview, in der der fertige Film vor einem Testpublikum vorgeführt wurde, begannen die Zuschauer zu lachen, als man mit einem Bändchen ein kleines Schild an Gillis Füße knotet. Die Zuschauer stellten sich einfach vor, wie das kitzeln müsse. Von da an wurde die ganze Eingangssequenz hindurch gelacht. Damit war der, von Wilder geplante, dramatische Einstieg in die Geschichte jedoch geplatzt. Er ging aus dem Vorführraum und setzte sich verzweifelt auf die Treppe. Eine Zuschauerin, die nicht wusste wer er war, kam lachend heraus und fragte ihn: ‘Haben Sie schon jemals einen solchen Schwachsinn gesehen?’ ‘Nein’, antwortete Wilder, ‘noch nie!’» (Quelle: Wikipedia)

Und genau dieses erzählerische Mittel, Tote, die plötzlich aufstehen, herumlaufen und zu sprechen beginnen, wurde später regelmäßig in der Serie “Six Feet Under” eingesetzt. Und obwohl die Serie durchaus amüsant ist, da an vielen Stellen mit (schwarzem) Humor gearbeitet wird, sind es gerade diese Abschnitte, die überhaupt nicht lustig oder gar lächerlich wirken, sondern absolut ernsthaft, oft bedrückend und es genau die Stellen sind, die den dramatischen Aspekt der jeweiligen Folge unterstützen. Diese Anekdote über den alternativen Anfang von “Sunset Blvd.” und, dass er, auch wenn die Szene schließlich ersetzt wurde, diese Idee schon 50 Jahre zuvor vorweggenommen hat, ist also ein weiterer von unzähligen Beweisen dafür, dass Billy Wilder seiner Zeit einfach weit voraus gewesen ist.


They find you
Two-time you
Say you’re the best they’ve ever seen
You should’ve never trusted Hollywood

Aber natürlich funktioniert auch die letztendlich gewählte Anfangssequenz sehr gut. Sie ist zwar konventioneller, aber nicht weniger genial umgesetzt. Und schließlich hat es auch noch ganz andere Gründe, dass “Sunset Blvd.” ein echtes Meisterstück ist. Der Film, dessen Glanzleistung darin besteht, zugleich anspruchsvoll und unterhaltsam zu sein, heutzutage zwei oftmals leider offenbar schwer zu vereinbarende Eigenschaften, behandelt nämlich außerdem viele Themen, die heute aktueller sind denn je.

Wilder beschäftigt sich in seiner gnadenlosen Abrechnung mit Hollywood auf äußerst zynische Art und Weise mit den unrühmlichen Schattenseiten der glänzenden Traumfabrik. Dabei geht es um die harten Mechanismen der Filmindustrie, wo Stars aufgebaut und dann rücksichtslos fallen gelassen werden, wenn es keine Verwendung mehr für sie zu geben scheint, es geht um die unabwendbare Vergänglichkeit von Ruhm, übertriebene Eitelkeit und irrsinnigen Schönheitswahn, alles Dinge, die auch, und besonders heute, in der modernen, schnelllebigen Welt immer noch von Bedeutung sind.

All das vereint Billy Wilder hier in einer Mischung aus klassischem Film noir, bissiger Satire und, auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein haben mag, Horrorfilm. Denn “Sunset Blvd.” ist ein extrem düsterer, bedrückender Film, der stets eine unheimliche, gespenstische Atmosphäre erzeugt. Das verlassen wirkende, im Garten mit Unkraut bewachsene, langsam vermodernde Anwesen der alternden Diva, könnte nämlich auch aus einem “Halloween”-Film stammen oder als Sommerresidenz für Alice Cooper dienen, und das ganze Szenario darin, der Kitsch, vornehmlich Bilder ihrer selbst, was ihre Egozentrik untermauert, mit denen Norma Desmond die Villa geschmückt hat, der Tod ihres besten und vermutlich einzigen Freundes (auch hier ein Bezug zur Realität und zur aktuellen Zeit, wenn man z.B. an Bubbles oder Max denkt) und der mysteriöse Butler, wirkt einfach gruselig, bizarr, fast schon surreal, und einfach sehr unwirklich.


I wrote you
And told you
You were the biggest fish out here
You should’ve never gone to Hollywood

Ich empfinde diesen Stil als ausgesprochen gelungen. Es gefällt mir, dass “Sunset Blvd.” hier immer den richtigen Ton zwischen klassisch dramatischen Parts, sarkastischer Entlarvung Hollywoods und anspruchsvoller, schaurig schöner, aber auch lockerer Unterhaltung trifft. Die Schauspieler tragen natürlich das Ihrige zum Gelingen des Films bei. William Holden als Hauptfigur der Geschichte, der gescheiterte Drehbuchautor Joe Gillis, der eigentlich nur seinen Wagen retten will und dann ungewollt in einen Strudel aus Eifersucht, Gefahr und geheimnisvollem Wahnwitz gerät, überzeugt genau so wie Erich von Stroheim als undurchschaubarer Diener, dessen Motive bis ganz zuletzt rätselhaft bleiben. Vor allem glänzt jedoch Gloria Swanson als gefallener Stern, die gebrochene Größe des Showbiz, früher ganz oben, jetzt heruntergekommen, umnachtet und übertrieben selbstverliebt. Ihre Darstellung ist so intensiv, man könnte glatt meinen, dass sie Norma Desmond nicht bloß spielt, sondern, dass sie Norma IST. Großartig!


They take you
And make you
They look at you in disgusting ways
You should’ve never trusted Hollywood

Bei der Erstsichtung des Streifens vor einiger Zeit bin ich ziemlich schnell eingeschlafen. Aber natürlich nicht weil der Film langweilig, das Gegenteil ist der Fall, oder besonders gut als Mittel gegen Insomnia geeignet wäre, denn hier passt wirklich alles perfekt zusammen, sondern weil er zu einer sehr unchristlichen Zeit im Fernsehen lief. Aber glücklicherweise hat ein kluger Mann einst runde Datenscheiben erfunden und so wurde ich nun endlich von meiner Neugier über den weiteren Verlauf, des Dramas, das Joe Gillis’ Leben war, erlöst. Lange Rede, kurzer Sinn, um es also auf den Punkt zu bringen, “Sunset Blvd.” ist DIE ultimative Hollywood-Satire. Kritisch wird hier mit der Industrie ins Gericht gegangen und gleichzeitig eine hochspannende, fesselnde Kriminalgeschichte erzählt. Das Ganze von Billy Wilder brillant inszeniert! Ein wahres Meisterwerk, das nicht nur immer noch überzeugen kann, sondern manch modernen Werken geradezu in den Arsch tritt und zudem bis heute überhaupt nichts an Aktualität verloren hat.


I AM big. It’s the pictures that got small.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier

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