Wie Netflix die Filmlandschaft verändern wird

27.04.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Will Smith, einer der Stars künftiger Netflix-Filme
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Will Smith, einer der Stars künftiger Netflix-Filme
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Bislang konzentrierte sich Netflix auf serielle statt filmische Eigenproduktionen. Mit zugkräftigen Stars wie Will Smith macht der Streaming-Dienst nun aber großen Hollywood-Studios Konkurrenz – und könnte auf lange Sicht selbst ein Major werden.

Online-Videothek, Video-on-Demand-Riese und möglicherweise sogar Filmstudio – die Erfolgsgeschichte des 1997 gegründeten Unternehmens Netflix ist so turbulent wie unberechenbar. Um den weltweit 81 Millionen Abonnenten (Stand: April 2016) nicht nur unterlizenzierte, sondern eigene Unterhaltungsprogramme anbieten zu können, weitet der Streaming-Dienst sein Geschäftsmodell kontinuierlich aus. Dem exklusiven Vertrieb zugkräftiger Web-Serien wie House of Cards oder Orange Is the New Black folgte im vergangenen Jahr die Produktion beachteter Formate wie Making a Murderer oder Marvel's Jessica Jones. Die Unterscheidung zwischen produzieren und produzieren lassen mag zunächst unwesentlich sein, so lange man alle entsprechenden Inhalte ausschließlich mit Netflix assoziiert. Aber der sich darin abzeichnende Wandel vom Alleinverwerter bestimmter Programme zu deren (Mit-)Hersteller gewinnt an Bedeutung, wenn kommende Eigenproduktionen des Unternehmens die Filmlandschaft umfassend mitgestalten wollen.

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Schon jetzt tritt Netflix als ein auf Augenhöhe agierender Konkurrent zu alteingesessenen Hollywood-Majors in Erscheinung. Auf den Filmmärkten etablierter Festivals liefert sich das Unternehmen regelrechte Überbietungswettbewerbe  für den Kauf von Produktions- und Vertriebsrechten – und stach zuletzt gar Warner Bros. im Kampf  um ein Franchise-taugliches Tentpole aus: Das mit Will Smith und Joel Edgerton besetzte Fantasy-Spektakel Bright wird sich Netflix 90 Millionen Dollar kosten lassen. Für einen Film, der primär auf Heimkinoverwertung ausgelegt ist (Direct to VOD) scheint diese Summe zunächst absurd. Denn man weiß, dass die großen US-Kinoketten Bright ebenso boykottieren werden wie den ersten großen Netflix-Spielfilm Beasts of No Nation, der aufgrund seiner parallelen Kino- und VOD-Auswertung (Day-and-Date-Release) nicht das branchenübliche Veröffentlichungszeitfenster berücksichtigte. Man weiß also, dass ein Netflix-Film sich somit nicht über Einspielergebnisse, sondern möglichst viele Neuabonnenten rentieren muss.

Die Widerstandsfähigkeit etablierter Veröffentlichungsmodelle reizen unabhängige Verleiher allerdings schon seit einigen Jahren aus, indem sie das Day-and-Date-Release als Standardverwertung für Independent-Produktionen begreifen. Wenn Filme nicht gerade 90 Millionen Dollar verschlungen haben, können sie trotz gleichzeitiger Verfügbarkeit auf VOD-Plattformen respektable Gewinne aus limitierten Kinostarts erzielen. Als sich der Hollywood-Major Paramount im vergangenen Jahr erstmals an einer vergleichbaren Strategie  versuchte, reagierten Kinoketten mit Sorge: Paranormal Activity 5 und Scouts vs. Zombies waren unter der Voraussetzung, dass sie schon 17 Tage später in Heimkinokanälen abrufbar sein würden, auf nur 1500 statt üblicherweise 3000 und mehr Leinwänden zu sehen. Der Testlauf blieb zwar hinter den Erwartungen zurück, die Weichen für einen möglichen Paradigmenwechsel aber wurden dennoch vorgestellt – können es sich US-Kinoketten erlauben, Will-Smith-Blockbuster zu boykottieren?

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Im Gegensatz zu einem Studio wie Paramount und dessen traditionellen Vertriebswegen dürften Box-Office-Performances für Netflix erstmal zweitrangig sein. Angesichts der Summen, die das Unternehmen für Selbstbespaßungen von Adam Sandler (mit dem es einen Deal über vier Filme abschloss), besseren Privatveranstaltungen (A Very Murray Christmas) oder einem avantgardistischen Sci-Fi-Format wie Sense8 (inszeniert von den nunmehr als Kassengift geltenden Wachowski-Geschwistern) ausgibt, scheint es Netflix offenbar eher um ein Alternativprogramm zum Kino- und Serien-Mainstream zu gehen. Die Eigenproduktionen des Streaming-Dienstes wirken wie eine Spielwiese, auf der resterampenartige Nostalgie (Fuller House, Pee-wee's Big Holiday) ganz selbstverständlich neben ambitionierten award contenders (oscarnominierte Dokumentarfilme wie What Happened, Miss Simone? und Winter on Fire) Platz findet. Mit der Herausbildung eines eigenen unberechenbaren Profils übt Netflix dabei vor allem Druck aus – auf seine direkte VOD-Konkurrenz (vornehmlich die Amazon Studios), TV-Anstalten und eben Hollywood-Majors.

Ob und in welchem Umfang manche dieser sonderbaren Eigenproduktionen überhaupt gesehen werden, ist vielleicht ebenfalls zweitrangig (und wird von Netflix ohnehin verschwiegen ), so lange einerseits die Abonnentenzahlen steigen und das Unternehmen andererseits an Reputation gewinnt. Tatsächlich operiert Netflix mit Blick auf kommende Filme in einem Modus, den sich das Kino gar nicht mehr leisten kann bzw. leisten möchte: Starbesetzte Prestigeprojekte wie Okja, War Machine oder First They Killed My Father stabilisieren ein sonst auf differenzierte Zielgruppen und eigenwillige Sparten zugeschnittenes Programm (Girlfriend's Day, Death Note, Special Correspondents, Jadotville, A Futile and Stupid Gesture), das an eine Zeit erinnert, in der große Studios neben Four-Quadrant-Movies auch noch gewöhnliche Mid-Budget-Filme produzierten. Augenscheinliches Ziel ist es, die Kundschaft nicht mit gefälligen Produktionen zu locken, sondern Massenkompatibilität durch Vielfalt herzustellen.

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Jenseits kommerzieller Zwänge, die Einspielergebnisse und Zuschauerzahlen vorgeben, erobert sich Netflix dadurch einen weggebrochenen, zumindest aber dramatisch unterpräsentierten Markt zurück. Netflix-Filme müssen nicht an Kinokassen performen und Netflix-Serien keine an Einschaltquoten bemessenen Werbeverträge aushandeln. Abhängig ist der Streaming-Dienst nur von Abonnenten, für die er eine Bandbreite an eigenen Inhalten zum festen Monatspreis produzieren möchte. Diese Seifenblase, sofern man sie als solche bezeichnen möchte, kann entweder platzen oder eine Richtung vorgeben, zu der sich die Film- und Fernsehbranche sowie als unverrückbar geltende Produktionszweige irgendwie verhalten müssen. Mich würde es nicht wundern, wenn der Solitär Netflix schon bald ein eigenes Studiogelände eröffnet, um Produktion und Vertrieb seiner Programme auf ähnliche Weise zu verwalten, wie es Hollywood vor Zusammenbruch des klassischen Studiosystems tat. Alter Größenwahn zu neuen Bedingungen – langweilig dürfte es mit Netflix wohl erst einmal nicht werden.

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