The Kindness of Strangers: Bill Nighy strahlt bei Berlinale-Eröffnung wie bei Harry Potter

07.02.2019 - 20:30 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Tahar Rahim und Bill Nighy im Berlinale-Film The Kindness of Strangers
Alamode
Tahar Rahim und Bill Nighy im Berlinale-Film The Kindness of Strangers
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Im Eröffnungsfilm der Berlinale 2019 begibt sich ein Star-Ensemble um Zoe Kazan, Bill Nighy und Andrea "Mandy" Riseborough auf die Jagd nach der Nächstenliebe. Lest hier, was euch in The Kindness of Strangers erwartet.

Die Güte der Fremden wird im Eröffnungsfilm der Berlinale 2019 beschworen. Da entwickelt sich ein russisches Restaurant voller falscher Russen im kalten New York zum Zufluchtsort für verlorene Seelen im Großstadtmoloch. Eine Mutter, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchtet, ein Ex-Häftling und ein junger Mann, der primär dadurch charakterisiert wird, dass er aussieht und sich verhält wie Caleb Landry Jones in seinen Filmen eben aussieht und verhält - ihnen allen wird in The Kindness of Strangers über Umwege eine selbstlose Güte zuteil. Hier eine warme Suppe, dort ein Mantel oder ein Platz zum Schlafen.

Es ist ein Graus. Wäre da nicht Bill Nighy, Filmwanderer zwischen Tatsächlich ... Liebe und Fluch der Karibik, der es sich in diesem Eröffnungsfilm der 69. Internationalen Filmfestspiele von Berlin gemütlich macht, ein Buch liest und ab und zu das Grauen der Dialoge aufhellt mit einem willkommenen Schmunzeln.

Ob in Harry Potter oder Fluch der Karibik: Bill Nighys Gesicht ist unvergesslich

Bill Nighy errang erst spät in seiner Karriere so etwas wie Berühmtheit, namentlich mit seiner Rockerrolle in Tatsächlich ... Liebe. Da hatte der 1949 geborene Brite eine IDGAF-Attitüde perfektioniert, die das perfekte Gegengewicht zu dem romantischen Drama der anderen Episoden bildete. Danach ackerte sich Nighy durch Charakterrollen und einprägsame Kurzauftritte. Als Davy Jones in den Fluch der Karibik-Filmen brannten sich seine Augen durch das CGI-Geschwabbel, das sein Gesicht überdeckte.

Für Fantasyfilme scheint Bill Nighys Gesicht schließlich wie gemacht. Die hagere Statur schüchtert ein, seine eckigen Züge und die stechenden Augen könnten ebenso aus der Illustration eines Kinderbuchs stammen. Lässt man sich den Namen Rufus Scrimgeour über die Zunge rollen (bzw. raspeln), dann hat man die mit einem Lineal gezogenen dünnen Lippen und die pfeilgerade Nase des Bill Nighy quasi schon vor Augen. Das Casting des vorübergehenden Zaubereiministers in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 1 war Formsache.

The Kindness of Strangers

Ebenso einprägsam spielte Bill Nighy in der Underworld-Reihe auf, aber auch in Shaun of the Dead und Hot Fuzz, wo sein strenges Äußeres quasi als Antithese zu Nick Frosts Whatever-Emoticon auf zwei Beinen dient. Das strenge Äußere des Bill Nighy kann täuschen. Manchmal zeugt es von einem übernächtigten Leben. Er sieht in Tatsächlich ... Liebe wie ein Altrocker aus, keine Frage. Manchmal verbirgt sich darunter eine unerwartete Wärme, zu bewundern etwa in G8 auf Wolke Sieben (Was für ein deutscher Titel!), einer romantischen Dramödie des späteren Harry Potter-Hausregisseurs David Yates.

The Kindness of Strangers enttäuscht bei der Berlinale

Im Berlinale-Film The Kindness of Strangers übernimmt Bill Nighy im Prinzip eine ähnliche Rolle wie in Tatsächlich ... Liebe, nur mit Balalaikas statt E-Gitarren. Der von Lone Scherfig (An Education) geschriebene und inszenierte Film führt eine Reihe von Figuren ein, die auf die Güte anderer angewiesen sind - oder in den Mühlen der Großstadt zu verschwinden drohen. Zoe Kazan versucht mit ihren beiden Söhnen ohne Geld in Manhattan über die Runden zu kommen, um der häuslichen Gewalt zu entfliehen. Wie schon im Netflix-Film The Ballad of Buster Scruggs von den Coen-Brüdern gibt sie die Frau in Nöten. Als starker Mann an ihrer Seite entpuppt sich kein Cowboy, sondern ein frisch aus der Haft entlassener Restaurant-Manager (Tahar Rahim aus dem Gefängnisfilm Ein Prophet). Andrea Riseboroughs Krankenschwester opfert sich für die Arbeit und eine Selbsthilfegruppe auf, um der Großstadteinsamkeit zu entkommen.

Andrea Riseborough, die vergangenes Jahr neben Nicolas Cage in Mandy romantische Metal-Träumereien entfachte, gehört zu den fähigeren Darstellern im Ensemble von The Kindness of Strangers. Allerdings heißt ihre Selbsthilfegruppe "Forgiveness" (Vergebung), sodass sich zwischen die tragischen Lebensgeschichten, welche die Figuren unmotiviert über die Tonspur erbrechen, solche Sätze mischen wie: "Ich suche nicht nach 'Vergebung', sondern nach meinen Söhnen." Da fällt es jedes Mal schwer, nicht laut loszulachen. Es ist zwar ein komischer Film, aber diese Stellen werden todernst vorgetragen.

The Kindness of Strangers

Bill Nighy indes hat einige der größeren Lacher des Films auf seiner Seite. Während die anderen Schauspieler auf dem Drehbuchfließband in den Fleischwolf der Vergebung befördert werden, sitzt er am Kamin und gluckst in sich hinein. Er hat weder einen sinnigen Handlungsstrang, noch muss seine Figur das herzerwärmende Leitmotiv des Drehbuchs trällern. Bill Nighy ist einfach nur da und bemüht sich um überhaupt nichts, außer uns Zuschauern hier und da eine trocken in den Raum gestellte Pointe zu schenken. Das tut The Kindness of Strangers enorm gut.

Immerhin geht The Kindness of Strangers nicht vollkommen in der Weichheit dieses Genres auf, in dem eine Gruppe von quasi-bekannten Hollywood-Gesichtern sich über den Weg laufen und Kraft des Drehbuchs ihr Herz öffnen. Lone Scherfig lässt Luft für winzige Unvorhersehbarkeiten. Da folgt auf den brutalen Angriff auf einen Mann ein Schnitt und ein sarkastischer Gag über ein Hobby-Orchester. Glätte wird trotz aller Klischees vermieden. Dass dieses Drehbuch eine unsympathische Figur blutig schlägt, ihr Schicksal zum triumphalen Plot Point für eine Heldin degradiert und besagten blutigen Schädel nie wieder erwähnt, stellt freilich in Frage, wie tief es mit der Güte in diesem Berlinale-Film reicht.

Kurz und knapp:

  • The Kindness of Strangers enttäuscht als Eröffnungsfilm der Berlinale 2019.
  • Das Ensemble müht sich durch eine zwanghaft herzerwärmende Geschichte mit furchtbaren Dialogen.
  • Bill Nighy hat und macht am meisten Spaß in The Kindness of Strangers, weil er sich am wenigsten bemüht.
  • Berlinale: Alle Infos zum Programm, dem Wettbewerb und der Jury

Was haltet ihr von Bill Nighy?

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