Quantum Break im Test – Zeitreisen sind leider kein Erfolgsrezept

01.04.2016 - 09:01 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Quantum BreakMicrosoft
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Quantum Break hegt viele Ambitionen: Die einzigartige Vermischung von Spiel und Serie soll gemeinsam mit der spannenden Zeitreise-Thematik für Spaß sorgen. So wirklich gelingen will das allerdings nur selten.


Zeitreisen sind die Legosteine der Videospiel-Autoren: Dank der Anmerkung “Zeitreise” im Skript können Entwickler ihre Geschichten im Spielverlauf immer wieder auseinanderbauen und neu zusammensetzen – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Day of the Tentacle hat vor über 20 Jahren gezeigt, wie gut dabei Rätsel im Einklang mit Zeitreisen funktionieren können während das jüngst erschienene Life is Strange versuchte, die volle dramatische Spannbreite der Wanderschaft durch Raum und Zeit auszunutzen. Auch Quantum Break, das für Microsoft-Plattformen exklusive Action-Rollenspiel, nutzt das dankbare Thema, um einen Scifi-Thriller mit teils sehr ungewöhnlichen Ideen zu erzählen. Wirklich überspringen wollte der Spannungsfunken allerdings nie so wirklich.

"Mein Name ist Jack Joyce, Sie kennen mich aus anderen Spielen."

Jack Joyce ist der Protagonist der Geschichte, an dessen Seite beziehungsweise hinter dessen breite männliche Alpha-Schultern wir uns einen Großteil der Spielzeit stellen dürfen. Leider ist Joyce in meinen Augen allerdings alles andere als ein charismatischer Charakter, mit dem ich nur ungern mehr Zeit als nur irgendwie nötig verbringen will: Als weißer, drei-Tage-bärtiger, blond-gegelter, manchmal etwas tollpatischer Schießknüppel, der ein schlechtes Verhältnis zu seiner Familie, aber ein leidenschaftlich flirtendes Interesse an seiner späteren weiblichen Mitstreiterin hat, fühlte ich mich an zahllose andere Spielhelden erinnert. Dieser Figurentyp gehört seit Jahrzehnten zum Standardreportoire der Videospielgeschichten und es ist schade, dass ausgerechnet ein Quantum Break, das noch so viele gute, frische Ideen präsentieren wird, mit einem solchen personellen Gähner seine Erzählung beginnt.

Einige der Charaktere sind leider überraschend schwach gezeichnet.

Das Abenteuer, in das uns Quantum Break allmählich einführen will, ist prall gefüllt mit überraschenden Wendungen, Verschwörungen und dystopischen Zukunftsszenarien. Die narrative Grundlage bildet dabei das Experiment von Jacks Bruder, Serene, der versehentlich in einer Zeitmaschine gefangen wird. Nach einem Unfall erhascht er einen unfreiwilligen Blick auf das Ende der Zeit und scheint nicht sonderlich glücklich mit dem zu sein, was er da gesehen hat. Er kehrt wieder an den frühstmöglichen Zeitpunkt in der Vergangenheit zurück, um mit seinem Wissensvorsprung die Menschheit auf die Zeit nach Ende der Zeit vorzubereiten.

Für Jack Joyce sieht das ganze allerdings so aus, als habe sein Bruder ein wenig den Verstand und den Glauben an die Menschheit verloren und nimmt sich vor, Serenes Pläne zu durchkreuzen – und ja, das klingt genauso kompliziert, wie es sich für mich im Spiel selbst auch anfühlte. Immerhin müssen wir nicht manuell durch die Zeit reisen: Quantum Break führt uns stehts an einem unübersehbaren durchgehenden roten Faden, an dem wir uns entlangballern und -hangeln, während die eigentlichen Zeitsprünge in Zwischensequenzen passieren. Nur die Kämpfe, die als einziges Refugium im Spiel uns eine gewisse Handlungsfreiheit gewähren, lassen uns ganz bewusst die Zeit manipulieren — aber dazu komme ich gleich. Zuvor muss ich den Grund für meine ständige Verwirrung ansprechen, die mich seit den ersten Spielminuten nicht mehr losließ.

Der Grund für die zahlreichen Fragezeichen in meinem Kopf ist gleichzeitig der wohl größte Kritikpunkt, den ich Quantum Break vorwerfen muss: die ungeschickte Art und Weise, wie das Spiel seine Geschichte erzählt, vorantreibt und mit Kontext versieht.

Ein kleines Beispiel: Das Spiel beginnt mit der Ankunft von Jack Joyce auf einem Uni-Campus. Wir wollen unseren Bruder Serene besuchen, der seit Wochen fieberhaft hinter den Universitätsmauern an einem Projekt arbeitet.

Viele Wendungen und Überraschungen im Spiel sind verwirrend, wenn wir uns vorher nicht informierten.

Der Weg von unserem Startpunkt bis zum Uni-Gebäude, in dem sich unser Bruder aufhält, ist über und über mit Info-Täfelchen, Sprachnachrichten und Gesprächsfetzen bestückt. Unser erster Impuls in diesen ersten Spielminuten lässt uns neugierig den ersten Flyer aufsammeln: Wir erfahren von einer Demonstration der Studenten, die gegen die Auflösung ihres Instituts protestieren. Wenige Meter weiter lauschen wir der Voice-Mail einer Gruppe Jugendlicher, die die Protest-Party auf dem Campus organisiert haben. Die dritte Infotafel einige Schritte entfernt, die uns in die Geschichte der Universität einführt, überfliegen wir vielleicht noch – den vierten, fünften, sechsten, zwölften Sammelgegenstand, der mehrere hundert Wörter lange Textzeilen ausspuckt, lassen wir schließlich liegen.

Das Problem: Je mehr wir dieser hundertfach herumfliegenden Info-Fetzen ignorieren, desto schwerer wird es uns zunehmend fallen, der Geschichte mitsamt all ihrer Wirrungen und Irrungen zu folgen. Und selbst wenn wir die schier übermenschliche Geduld und Liebe zu Text-Blöcken immer wieder aufbringen wollen, sind anwesende Begleiter in unserer Nähe peinlich genau darauf bedacht, unseren Lesefluss mit eigenen Kommentaren zu unterbrechen. So passierte es mir nicht selten, dass sich eine Sprachnachricht abspielte, während gleichzeitig meine Kampfgefährtin ihre Sicht auf die aktuellen Ereignisse schilderte und dann auch noch die Erzähler-Stimme aus dem Off nostalgisch Kindheitserinnerungen zitierte. Quantum Break mag eine interessante Geschichte vorweisen können, aber der Weg zu den durchaus vorhandenen Spannungsbögen könnte kaum anstrengender sein.

Die Ästhetik des Kampfes

Diesem Makel gegenüber steht ein wunderbar flüssiges, schnelles und forderndes Kampfsystem. Die Entwickler von Quantum Break haben sich nämlich nicht nur darauf beschränkt, Zeitreisen als Unterbau ihrer Story einzusetzen, sondern benutzen sie zugleich auch als Grundlage für unsere Fähigkeiten im Kampf.

Die Kämpfe sind eine der Stärken von Quantum Break.

Jack Joyce katapultiert sich in Sekundenbruchteilen durch die Level, stößt Gegner zu Seite oder pumpt vorübergehend unbewegliche Opfer mit einem Patronenhagel voll. Es spritzt zwar reichlich blut, doch bleiben die Schlachtfelder dennoch auffällig steril und rein. Quantum Break will uns kein eindrindliches, dreckiges Bild von Zukunftsschlachten vorsetzen, sondern zelebriert die Ästhetik des Kampfes. Haben wir einige der grundlegenden Kombinationen und Angriffsmuster gemeistert, so bewegt sich Jack Joyce wie ein Tänzer durch die Gegnerreihen und krönt seine Choreographie regelmäßig mit einem Abschuss in Zeitlupe. In diesen Momenten gibt Quantum Break seinen Anspruch auf, ein düsterer, packender Scifi-Thriller zu sein und lockert seine eigene Geschichte mit den wilden Gefechten auf, die konsequenterweise auch von Jack nicht reflektiert oder kritisch angesprochen werden. Die Kämpfe gleichen Minispielen in einer gigantischen, interaktiven TV-Serie.

Apropos TV-Serie. Ja, da war noch was.

Halb Spiel, halb Serie

Eine besonders spannende Idee zeichnet Quantum Break als interessantes Experiment aus: Nach jedem der fünf Spielabschnitte, die jeweils etwa ein bis zwei Stunden auf die Waage bringen, setzt eine 20-minütige TV-Serie die Geschichte fort. Kurz vor dem Beginn der Episode, schlüpfen wir für wenige Minuten in die Haut des “bösen” Bruders Serene und müssen eine der Situation angepasste Entscheidung treffen. Die unmittelbaren und mittelbaren Konsequenzen werden dann in den nächsten 20 Serienminuten thematisiert und weitergesponnen.

Die Qualität der Serie selbst ist beachtlich, aber nicht herausragend: Namhafte Schauspieler wie Marshall Allman und Lance Reddick leihen nicht nur den wichtigsten Spielcharakteren ihr Gesicht, sondern spielen passenderweise ihre Rolle auch in der Serie auf hohem Niveau weiter. Dennoch lies mich während keiner der vier Episoden das Gefühl los, lediglich einige gut gemachte Youtube-Videos statt einer Netflix-Serie zu sehen. Viel schwerer als diese seltsame Bauchgefühl wiegen allerdings die technischen Probleme dieser Spiel-Serie-Struktur. Selbst mit Highspeed-Internet konnte ich kaum eine Episode sehen, ohne minutenlang nachbuffern zu müssen. Alternativ hätte ich alle Folgen auch herunterladen können – ein Download, der stattliche 75 GB beansprucht hätte. Hier muss die spannende Idee, Serie und Spiel miteinander abzuwechseln, leider harte Treffer der technischen Realität einstecken.

Fazit

Rückblickend hatte ich nicht sonderlich viel Spaß mit Quantum Break. Die Charaktere, allen voran der Protagonist selbst, wirkten blass, langweilig routiniert und altbekannt. Die Geschichte lässt sich zudem nach einer Weile kaum noch verstehen, wenn nicht zumindest jedes zweite Infozettelchen aufgesammelt und gelesen wird. Das Streamen der eigentlich ganz ordentlich produzierten Serie scheitert schließlich an technischen Hürden. Und dennoch: Die rasanten Kämpfe und die teils spektakulär inszenierten Umgebungen und Zeitreise-Entgleisungen, die ganze Level-Areale umkrempelten, haben mir einige fantastische Momente beschert.

Quantum Break wird sich mit etwas Glück seinen verdienten Platz in der Videospielgeschichte als das Werk sichern können, das erstmals Spiel und Serienformat inhaltlich sinnvoll miteinander verwoben hat. Wer dieses Kapitel der Spielkultur miterleben will, sollte Quantum Break sicherlich eine Chance geben. Einer leidenschaftlichen Empfehlung mit erhobenen Mundwinkeln stehen allerdings die zahlreichen Problemchen des Spiels im Weg, die mich bis zum Spielende schließlich häufiger frustrierten, als ich anfangs noch erwartet hatte.

Zur Erstellung des Reviews wurde uns ein Xbox One-Key vom Publisher zur Verfügung gestellt.

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