Puppentheater in Film und Fernsehen - Bühne frei für hölzerne Darsteller

23.07.2016 - 09:30 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Jim Knopf/Thunderbolt FantasyHessischer Rundfunk/Crunchyroll
5
4
Eine kurze Geschichte des filmischen Puppentheaters und der rote Faden, der sich dadurch zieht.

Mit Thunderbolt Fantasy hat Gen Urobuchi eine meiner größten Serien-Überraschungen der letzten Zeit gedreht. Für die Show hat er sich von seinem vertrauten Gefilde der Animation (Madoka Magica, Aldnoah.Zero) abgewandt und eine ganze Serie mit Puppen entwickelt. Die etwas versteifte, teilweise amateurhaft wirkende und doch aufwändige und detailverliebte Ästhetik ist eine, die ich schon seit dem Rauf- und Runterspielen von Augsburger Puppenkise-Kassetten vor etlichen Jahren sehr schätze, aber Thunderbolt Fantasy hat mir eine Gelegenheit gegeben, mich etwas mehr mit der Thematik auseinandersetzen.

Das Prinzip, Puppen in Filmen einzusetzen, ist nicht viel jünger als das Medium selbst. Als Filme von ihrer Machart her noch sehr nah dran am Theater lagen, wurden schon große Gestelle und aufwendige Apparaturen für die Figuren verwendet, für die ein Kostüm oder ein Anzug nicht gereicht hätte. Aber darum soll es in erster Linie nicht gehen. Stattdessen habe ich mich auf menschliche Puppen beschränkt, die noch per Hand bedient werden müssen und weniger per Mechanik. Zudem konzentriere ich mich auf Beispiele, bei denen die hölzernen Darsteller einen Großteil der Charaktere ausmachen. Für Tiere und andere Kreaturen wurden Stop-Motion-Figuren oder mechanische Figuren schon Jahrzehnte verwendet, für ihre zweibeinigen Kollegen würde der Mainstream-Appeal noch eine Weile auf sich warten lassen. Zwischendurch gab es Kurzfilme wie Dimples and Tears, eine Vaudeville-Nummer mit Marionetten, die damals auch bei Kritikern Anklang  fand, mittlerweile aber anscheinend verloren gegangen ist. Viel lässt sich jedenfalls nicht dazu finden. Der Durchbruch folgte während der 50er und 60er Jahre in zwei Hauptschauplätzen: Deutschland und Großbritannien mit respektive der Augsburger Puppenkiste und Anderson Provis Films.

Eine Insel mit zwei Bergen und mit Folie geschmückt

Die Hochzeiten der beiden Studios haben sich immer abgewechselt, etwas Vorsprung hat die Bühne aus Augsburg aber schon. 1953, ein paar Jahre nach ihrer Eröffnung, lief schon ihre erste Fernsehproduktion basierend auf Peter und der Wolf, ab Ende des Jahrzehnts folgten regelmäßige Mehrteiler, die im Hessischen Rundfunk liefen. Besonders Urmel aus dem Eis und die beiden Jim Knopf-Mehrteiler gehören zu ihren wichtigsten und erfolgreichsten Produktionen.

Währenddessen machte das Studio AP Films von Gerry Anderson und Arthur Provis seine eigene, unabhängige Entwicklung durch. Statt der Miniserien der Augsburger Puppenkiste wurden hier über mehrere Jahre Serien mit Dutzenden Episoden gedreht. Kaum eine davon hat es nach Westdeutschland geschafft, aber der Riesenerfolg von Thunderbirds brachte seine Flieger in die ganze Welt, daher genießt die Serie immer noch einen gewissen Kultstatus bei Nostalgikern. Auch wenn neue Iterationen der Marke mit einer Realverfilmung und einer computeranimierten Serie das Hauptmerkmal der Serie hinter sich gelassen haben. Im selben Jahr wie die stark gefloppte Realfilm-Variante gab es dafür mit Team America von den South Park-Schöpfern Trey Parker und Matt Stone eine liebevolle Hommage, die den charmant-trashigen Look voll für sich beanspruchte.

Team America, Fuck Yeah

Bei einem direkten Vergleich der Studios über die Jahre fällt direkt eine sehr unterschiedliche Entwicklung auf. APF war immer darauf bedacht, seine Technik weiterzuentwickeln. Daraus entstand der Prozess der Supermarionation, bei der die Fäden kaum noch erkennbar waren und viele Bewegungen mechanisch gesteuert wurden, besonders die Mundbewegungen, die eine einfachere Synchronisation ermöglichten. Diese Vorgehensweise hat sich auch direkt auf das Design ihrer Puppen ausgewirkt: Um die Technik unterzukriegen, mussten die Köpfe größer werden. Mit der weiteren Entwicklung wurden die Designs weniger überzogen und hatten zum Beispiel in Joe 90 mehr Ähnlichkeit mit Action-Figuren. Gleichzeitig entstand dadurch auch ein gewisser Uncanny Valley-Effekt, und die Figuren wurden trotz einer größeren Flexibilität statischer, da die immer noch sehr überzogenen Gehbewegungen im Kontrast zum neuen Design gestanden hätten. In Augsburg wurde dagegen das traditionelle Design beibehalten, die Marionetten haben ihr Aussehen über die Jahre kaum geändert und um die Fäden wurde sich auch nicht geschert. Trotzdem hat die Augsburger Puppenkiste sich bis heute gehalten und führt immer noch Stücke auf, wenn auch schon eine Weile nicht mehr im Fernsehen.

The most sensational, inspirational, celebrational, muppetational

Der ganz große Boom folgte schon kurz nach APFs letzter Puppen-Serie, als Jim Henson und seine Muppets von Amerika aus die Welt eroberten. Die Muppet Show und ihr kindgerechterer Vorgänger Sesamstraße traten ein Phänomen los, mit prominenten Gästen in einer Variety-Show, zahlreichen Filmen, Serien und massenweise Merchandise. Henson und sein Team steckten eine unglaubliche Arbeit und Liebe zum Detail in die Muppets und begeisterten regelmäßig mit technisch ausgefeilten Sets und Figuren. Das Team aus Kermit dem Frosch und Co. wurde nicht mehr als Charaktere gehandelt, sondern als Darsteller.

Ich finde Shows wie diese faszinierend, da die Arbeit, die in Figuren, Sets oder Dreh steckt, in jedem Frame spürbar ist. Hier ist selbst für wenige Minuten eine aufwendige Koordination notwendig. Gleichzeitig sind die "Schauspieler" durch ihre Limitierungen auf eine andere Art der Darstellung angewiesen. Komplizierte Mimiken fallen weg, stattdessen wird Körpersprache eingesetzt. Oft können nicht mal Münder bewegt werden, dafür wird mit den Händen geredet. Oder du hast es mit Muppets zu tun, die so gestaltet sind, dass sie nur mit der richtigen Handbewegung ihres Spielers ihre Gemütszustände ausdrücken können. Es ist eine bewusste Abwendung vom Realismus und benutzt den etwas trashigen Look auch gerne für komödiantische Zwecke.

Bei diesen Einschränkungen wirken Genres wie Action oder Martial Arts nicht unbedingt wie passende Kandidaten, aber genau das macht Taiwan schon seit den 80er Jahren. Die Show Pili benutzt traditionelle, asiatische Handpuppen für spektakuläre Action-Szenen, die sie mittlerweile mit Computer-Effekten verstärken. Gen Urobuchi war bei seinem Urlaub in Taiwan so von dem Handwerk begeistert, dass er sich mit dem taiwanischen Studio zusammentat und Thunderbolt Fantasy nach dem gleichen Prinzip drehte. Die Aufmachung ist klassischen Martial Arts-Filmen nachempfunden und die Gestik eignet sich perfekt für das genretypische Overacting. Eines der Dinge, auf die ich mich derzeit am meisten freue, ist ein eventuelles Making Of der Serie.

Puppen und Marionetten sind ein vielseitiges filmisches Mittel, das sehr stark von der Region geprägt ist, in der es angewandt wird. Die Macher müssen sich an erhebliche Einschränkungen anpassen, verfügen dafür aber über ein starkes Alleinstellungsmerkmal. Dass die Figuren manchmal etwas gewöhnungsbedürftig aussehen, kann schon mal passieren.

"NONE OF YOU ARE SAFE"


Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News