Newtopia: Wie sich Scripted Reality selbst demontiert

18.04.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Newtopia kämpft mit miesen Einschaltquoten und einem Skandal
Sat.1
Newtopia kämpft mit miesen Einschaltquoten und einem Skandal
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"Das größte TV-Experiment aller Zeiten" Newtopia hat sich als Fake herausgestellt. Es bleibt die Frage, was erstaunlicher ist: Dass jemand daran gezweifelt hat, oder dass Sat.1 und John de Mol weiterhin behaupten, die Scripted Reality-Show sei "real".

Newtopia sollte "Das größte TV-Experiment aller Zeiten" werden. Wohlgemerkt: Ein Experiment, das genau so bereits in den USA durchgeführt wurde - und sehr schnell wieder abgesetzt wurde. Ein Experiment, dass auch in den Niederlanden durchgeführt wurde und dort immer noch im Fernsehen zu begutachten ist. Ein Experiment, bei dem es zwar eine Versuchsanordnung, aber keine richtige Fragestellung gibt - und keinen Erkenntnisgewinn. Letzteres scheint sich allerdings gerade zu ändern. Eine Mitarbeiterin der Produktionsfirma Talpa Germany hat nämlich vor laufender Kamera versucht, auf die "Pioniere" genannten Teilnehmenden einzuwirken. Also doch alles Fake, was für eine Überraschung! Oder war das etwa auch nur Scripted Reality?

Das Experiment

Angelehnt an das 1516 von Sir Thomas More geschriebene Buch Utopia sollen 15 sogenannte Pioniere aus allen Schichten der Gesellschaft eine ebensolche von Grund auf neu aufbauen. Dazu werden sie in ein abgesperrtes Gebiet bei Königs Wusterhausen gepfercht und mehr oder weniger sich selbst überlassen. Ergebnisoffen, versteht sich - niemand weiß, was dort passiert und wie die Teilnehmer sich verhalten werden. Was werden sie essen, wo schlafen? Das klingt theoretisch sehr spannend, verkommt aber gerade zu einer schlimmen Mischung aus Dschungelcamp und Big Brother. Schließlich stammt das Konzept aus der Feder John de Mols. Selbstverständlich kann das Geschehen rund um die Uhr per Livestream im Internet  verfolgt werden. Sat.1 wirbt damit, dass alles echt und nichts vorherbestimmt sei. Soweit die Theorie.

Was ist passiert?

In der Nacht von Sonntag auf Montag ist auf dem Newtopia-Gelände eine Mitarbeiterin der Produktionsfirma aufgetaucht. Sie hatte neben einer Kiste Bier und der Aufhebung des Rauchverbots auch viele Sorgen im Gepäck. Denn Newtopia kämpft mit schlechten Einschaltquoten und gähnender Langeweile: In Newtopia geht nichts. Das bringt die (Ex-) Executive Producerin in Schwierigkeiten, die sie kurzerhand im Alkohol zu ertränken versucht hat. Zumindest behauptete sie, betrunken zu sein und eigentlich gar nicht dort sein zu dürfen. Soweit, so sympathisch. Ihr Anliegen: Die Pioniere sollen etwas Schwung in den lahmen Laden bringen und für Action sorgen. Man könne doch ein Restaurant eröffnen, oder ein Tattoo-Studio, aber auf jeden Fall braucht die Sendung ein großes Projekt.

Während des Gesprächs haben die diversen "Live"-Streams im Internet nur den Kuhstall gezeigt. Bis auf eine: die sogenannte 360°-Kamera. Diese Kamera eröffnet uns ganz neue Blickwinkel und eine ungeahnte Perspektive. Denn anscheinend bemerkt niemand, was diese Talpa Germany-Mitarbeiterin dort gerade tut. Der Stream sendet circa 50 Minuten lang das Krisengespräch, dann ist plötzlich der Ton weg. In dem Gespräch geht es unter anderem darum, dass bereits zuvor einige Pioniere Regie-Anweisungen oder Anregungen von den Machern der Sendung erhalten haben sollen. Weil nicht alle Teilnehmer des "Experiments" mit einbezogen wurden, fühlen sich die außen vor Gelassenen verunsichert. Ihr Vertrauen ist erschüttert. Man wisse dann schließlich gar nicht mehr, ob die Ideen von den Pionieren selbst kommen oder nicht.

Bereits im Vorfeld dieses nächtlichen Vorfalls wurde die Thematik unter den Pionieren offensichtlich lebhaft diskutiert, was der Grund dafür sein dürfte, dass mehrmals der "Live"-Stream im Internet ausgefallen war . Mehrere Kandidaten sind zuvor gemeinsam mit Menschen der Produktionsfirma im Technikraum verschwunden. Dort sollen sie gebrieft worden sein, am nächsten Morgen einige bestimmte Vorschläge für Großprojekte zu machen, diese als ihre eigenen Ideen auszugeben und dafür zu sorgen, dass die Vorschläge angenommen werden. Während dieser Regie-Anweisungen hat ein Teil der ausgeschlossenen Pioniere an der Tür gelauscht. Wir können also festhalten: Auch "das größte TV-Experiment aller Zeiten" funktioniert genau so wie jedes andere Reality-TV-Format.

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