Good Time - Robert Pattinson rettet den Wettbewerb von Cannes

25.05.2017 - 20:30 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Robert Pattinson in Good Time
Ascot Elite
Robert Pattinson in Good Time
6
18
In Sachen Energielevel fegt Good Time den Wettbewerb von Cannes 2017 aus dem Kino. Robert Pattinson trägt den unerbittlichen Thriller und kann sich Hoffnungen auf den Preis als Bester Darsteller machen.

Einen Artikel über einen Robert Pattinson-Film im Jahr 2017 mit Twilight unter den ersten 50 Wörtern zu beginnen, kann nur als einfallslos bezeichnet werden. Verzeiht mir also die Einfallslosigkeit, wenn ich schreibe, dass ich der Reihe mittlerweile jeden einzelnen der 1.363.537.109 weltweit eingespielten Dollar gönne. Es war ein Jahre andauernder, kräftezehrender Kampf, aber Good Time hat mich heute morgen schließlich überzeugt. 2012 lief der letzte der qualitativ leider rasant absteigenden Twilight-Filme im Kino und in den vergangenen fünf Jahren haben die Namen Kristen Stewart und Robert Pattinson Finanziers davon überzeugt, Geld in Cosmopolis, Die Wolken von Sils Maria, Maps to the Stars, Certain Women, Die versunkene Stadt Z und Personal Shopper zu stecken. Robert Downey Jr., um mal zum stets angebrachten Marvel-Diss auszuholen, hat seit Iron Man seine kreativen Muskeln in Der Richter: Recht oder Ehre spielen lassen. Nun rettet Robert Pattinson als Bankräuber in Good Time auch noch den unterdurchschnittlichen Wettbewerb des diesjährigen Festivals in Cannes, der bislang viel Gesellschaftskritik und wenige artistische Höhenflüge zu bieten hat. In Good Time treffen sich Hundstage, Heat und eine gehörige Portion Unfähigkeit zu einer unnachgiebigen Jagd durch Queens.

Wobei Unfähigkeit Connie Nikas' (Robert Pattinson) sonderbares Talent fürs Versagen auf ganzer Linie kaum gerecht wird. In gewisser Weise ist Connie zu fähig. In jeder, wirklich jeder riskanten Situation improvisiert er einen Ausweg und stößt ihn diese Improvisation in die nächste Gefahr (und das tut sie, so das Naturgesetz in Good Time), dann improvisiert er eben noch einmal und noch einmal. Jede Entscheidung, die er in den rund 24 Stunden dieses Films trifft, verschlimmert seine Lage. Wenn eine Figur beim diesjährigen Festival in Cannes zu viel handelt, dann der Kleinganove aus Queens und Robert Pattinson spielt seine Getriebenheit so ungekünstelt wie nur selten in seiner Karriere. Die wurde bisher eher von einem stilisierten Spiel dominiert. Bei Pattinson schwingt oft eine Selbstreflexion mit, ein Wissen um den Schauspieler am Werk. Das äußert sich in seiner bisweilen linkischen Mimik, hängt aber auch mit seiner glitzernden Berühmtheit zusammen. Deswegen ist sein Auftritt als "Robert Pattinson als T.E. Lawrence" in Königin der Wüste so verdammt lustig, und sein doppeltes Casting als Limousinenbewohner in den Cronenberg-Filmen genial. Ben und Joshua Safdie jedoch arbeiten in ihren Filmen oft mit Laiendarstellern zusammen. Ihre Vorliebe für einen dokumentarischen Naturalismus führte zum Casting von echten Junkies im Liebesdrama Heaven Knows What. Good Time entfernt sich nun weit von den Mumblecore-Wurzeln der Safdie-Brüder. Ihrem Star verlangen sie trotzdem ein anderes Schauspielregister ab und Pattinson ist dem gewachsen.

Good Time

Good Time ist eine schlaflose Nacht in Neon, nicht das glatte, saubere Neon aus Drive oder anderen 80er Jahre-Hommagen, sondern die Spiegelung von leuchtenden Pawn-Shop-Schildern in Pfützen voller durchgeweichter Zigarettenstummel. Entsprechend zermartert der elektronische Score von Daniel Lopatin eher, als das er zum funktionalen Drive durch die Großstadt taugt. Connie lebt in dieser Welt. Wie genau sie und seine Vergangenheit aussehen, wissen wir nicht, als er seinen anscheinend geistig behinderten Bruder Nick (Ben Safdie) aus einer Sitzung mit einem Psychologen holt. Connie will ein Ding drehen und sowieso gehört sein Bruder zu ihm und nicht irgendeinem Seelenklempner. Die beiden haben nur einander und das ist ein gewaltiges Problem. Ihr Bankraub geht schief, Nick rennt auf der Flucht seinem Bruder hinterher und geradewegs durch eine Glaswand. Er wird geschnappt. Nun setzt Connie alles daran, ihn aus dem Knast zu holen. Erst per Kaution - das geht schief, natürlich - dann durch die Flucht aus dem Krankenhaus, was... ihr könnt es euch denken. Connie jedenfalls hört kaum noch auf zu rennen in Good Time. Vom Krankenhaus in eine fremde Wohnung, einen Vergnügungspark und weiter.

Der familiäre Zusammenhalt ist wohl der einzige Schurke in diesem Film. Das hat er mit Go Get Some Rosemary gemein, in dem die Safdie-Brüder autobiografisch von einem Vater erzählen, der zwei Wochen auf seine Kinder aufpasst. Dabei schwankt er zwischen Fürsorge und einer erschreckenden erzieherischen Inkompetenz. Er wird zur Gefahr für die Kinder. Connie und Nick gehören zusammen. Das treibt Connie in seiner improvisierten Jagd durch Queens an. Es bringt ihn dazu, wildfremde Leute für seine Zwecke auszunutzen oder spontane Acid-Deals abzuziehen. Ob Connie und Nick jedoch zusammen sein sollten, ist eine ganz andere Frage. Sie wird im Film kaum direkt angesprochen und ist doch allgegenwärtig. Genau wie Verweise auf die polizeiliche Diskriminierung von Afroamerikanern, von der Gauner Connie bewusst und unbewusst profitiert.

Womöglich liegt diese Rolle Robert Pattinson so nahtlos an, weil Connie selbst ein wendiger Schauspieler ist, der sich in Sekundenschnelle auf neue Umstände einstellt, einen Plan schmiedet, eine Rolle einstudiert und seine Umgebung so lange belabert, bis diese sich ergibt. Vor ein paar Jahrzehnten wäre John Cazale die Idealbesetzung für Connie gewesen. Die Safdies jedenfalls sind dem Mumblecore entwachsen. Ihre Bezüge auf das Hollywood-Kino der 70er Jahre (verstärkt durch den 35mm-Einsatz) rücken Good Time in die Nähe von Filmemachern wie Alex Ross Perry und James Gray. Im Zeitalter der (digitalen) Monokultur in Hollywood schließen sie an eine andere Ära an, erkennen sie als Impuls zur Weiterentwicklung, nicht Nostalgie. Robert Pattinson wiederum ist längst angekommen, in Cannes sowieso und dem künstlerischen Leben nach Twilight auch. Unter seinen kommenden Filmen: Eine Science-Fiction-Geschichte von Claire Denis!

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News