Germany's Next Topmodel ist kein Spaß, sondern Psychoterror – und die Umstyling-Folge beweist es

11.03.2022 - 10:50 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Germany's Next TopmodelProSieben
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Das Umstyling ist ein grausames Germany's Next Topmodel-Ritual. Und es verrät alles über ProSiebens manipulative Reality-Show, was ihr wissen müsst.

Diese Woche läuft die Germany's Next Topmodel-Folge, auf die Fans vor jeder Staffel der Show hinfiebern: das Umstyling. Kandidatinnen, die es bis hierhin geschafft haben, kriegen neue Frisuren. Oder im GNTM-Sprech: neue Looks. Natürlich ist das unterhaltsam. Vorher-Nachher-Bilder machen Spaß.

Diese GNTM-Folge ist das bizarrste Event jeder Staffel

Die Umstyling-Folgen sind zudem die emotionalsten und tränenreichsten einer Staffel, weshalb auf den Nachher-Bildern die Augen der Kandidatinnen manchmal etwas geschwollen und blutunterlaufen sind. Trotzdem strahlen die Gesichter darauf immer. Wirklich jedes Mal. Die Tortur, die viele Kandidatinnen vorher durchlaufen haben, scheint wie weggewischt.

Das Umstyling ist ein bizarres Event. Ja, man kann das alles witzig finden. Ich verfolge es aber mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu. Faszination, weil das Wesen von Germany's Next Topmodel hier so bereitwillig nach Außen bricht. Und Abscheu, nun ja, weil dieses Wesen so manipulativ und unterdrückend auf Kandidatinnen und Zuschauer:innen einwirkt.

Was beim Germany's Next Topmodel-Umstyling passiert – laut Heidi Klum

Wenn Heidi Klum über diese Frisuren-Schlacht spricht, klingt das ganz vernünftig. Sie scannt mit ihrem professionellen Model-Blick das "Rohmaterial" und erhält umgehend Eingebungen, welcher Style einer Teilnehmerin das "gewisse Etwas" verleihen könnte, um aus der Masse herauszustechen und "mehr Jobs" zu ergattern. Es sollen "richtige Charakterköpfe entstehen" (Gala ).

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Und es funktioniert: Die ProSieben-Show hat erfolgreiche Präzedenzfälle erschaffen. Das Umstyling von Kim Hnizdo aus Staffel 11 im Jahr 2016 dient als leuchtendes Vorbild. Hnizdo ließ sich unter großem Wiederwillen ihre ca. 60 Zentimeter lange Haarpracht abschneiden. (Das sind fünf Jahre Haarwachstum, hab ich recherchiert.) Und sie gewann die Show am Ende. Die Botschaft für alle nachfolgenden: Seid wie Kim! Es lohnt sich! Auch wenn es wehtut.

Was beim Umstyling von GNTM wirklich passiert

Mag schon sein, dass Heidi Klum und GNTM bei alledem den Vorteil ihrer Kandidatinnen im Sinn haben. Aber warum geschieht diese Transformation dann unter Zwang? Und nicht etwa im Dialog? Immerhin sprechen wir hier von erwachsenen Frauen (seit ein paar Jahren sind alle Teilnehmenden mindestens 18 Jahre alt).

Warum zählt nur das Style-Diktat von Heidi Klum? Eine Wahl haben die Frauen faktisch nicht. Wer sich dem Frisuren-Regiment nicht fügt, fliegt aus der Show. In einem Rückblick auf ihre Umstyle-Erfahrung ("Ich weinte bestimmt 5 Stunden lang") sagte Kim Hnizdo 2019 der Gala :

Ob ich Heidi bei ihrer Auswahl vertraute? Naja, musste ich ja. Mir blieb doch nichts anderes übrig. Hahaha.

Ja, schon funny, wenn blinde Selbstaufgabe der einzige Schlüssel zum Weiterkommen ist. Der Ethos dahinter: Wer es nicht tut, hat es auch nicht verdient. Also Germany's Next Topmodel und überhaupt eine Karriere in der Schönheitsindustrie.

Nicht immer sind die Frisier-Sessions so dramatisch wie bei Kim. Aber so gut wie nie will eine der Kandidatin wirklich umgekrempelt werden. Aber sie lassen es alle trotzdem mit sich geschehen. Mit leeren Blicken und zitternd setzen viele sich auf Frisierstühle, was sich anfühlen muss wie beim Zahnarzt. Das Mantra: Heidi wird schon wissen, was sie tut.

Kandidatin Zoe vor zwei Jahren beim Umstyling

Dann wird gefärbt, was das Zeug hält und links und rechts segeln die erschreckend langen Haarsträhnen auf den Boden. Ein besonderer Thrill, denn in den Spiegel gucken dürfen die Frauen während der Prozedur nicht, was den Kontrollverlust noch unerträglicher macht.

Was das Umstyling über den Kern von Germany's Next Topmodel und die Schönheitsindustrie verrät

Das zitternde Warten auf die Behandlung, zunächst die Weigerung und später die Fügung ins Schicksal, der Schneidevorgang selbst, dem die anderen Kandidatinnen händchenhaltend und mit Angstlust beiwohnen, schließlich die finale Betrachtung des Ergebnisses im Spiegel vor versammeltem Publikum, bei dem alle den neuen Look immer ganz toll finden – dieses Umstyling hat fast schon was Heiliges, etwas Feuerprobenartiges. Ja, etwas Ritualistisches, nach dem die Frauen auf einen größeren Weg geschickt werden.

Das Umstyling markiert stets eine Grenze in der Show. Die softe Schnupperphase ist vorbei. Ab hier kommen härtere Prüfungen und Jobs, Nacktshootings, Höhen-Shootings, Shootings mit Tieren. Ein Schnelldurchlauf, der angeblich die Anforderungen der Schönheitsindustrie abbildet.

In den Stunden des Umstylings werden die Frauen für alles, was kommt, weichgeklopft gestrafft und geschliffen. Es wird ihnen die Bereitschaft eingeimpft, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Egal, wie sehr sich der Verstand dagegen wehrt. Purer Psycho-Terror.

"Der imaginierte Kunde regiert allein in einem Raum, in dem Selbstbestimmung, Schmerzen und Würde wenig relevante Kategorien sind", schrieb Margerete Stokowski  2016 über GNTM. Aber so imaginiert ist "der Kunde" gar nicht. Heidi Klum verkörpert in ihrer ganzen Funktion als GNTM-Betreuerin, Einpeitscherin, Moderatorin und Topmodel-Vorbild eine universelle Version des Schönheits-Markts.

Das Umstyling ist ihre mächtigste Methode, die Kandidatinnen auf genau eine Lektion einzuschwören: Wer sich anpasst und verändert, kommt weit(er). Ob sich die Kandidatin danach im Spiegel wiedererkennt, ob sie mag, was sie dort sieht – das ist egal. Nur dem Markt und Heidi Klum muss es passen.

Wer also wissen will, wie Germany's Next Topmodel funktioniert, der muss nur heute um 20.15 Uhr ProSieben schauen. Oder lieber nicht.

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