Die politischen Hintergründe des Monster Girl-Genres

07.08.2017 - 09:15 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Die Monster Mädchen
Studio Lerche
Die Monster Mädchen
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Monster Girl-Serien präsentieren sich meist als seichter Slice of Life, hinter ihrer Fassade finden sich jedoch Andeutungen komplexer bürokratischer Systeme, die zur Bewältigung der Existenz völlig neuer Menschenrassen nötig sind.

Es gibt auf dieser Welt nichts, das sich nicht in die Form eines niedlichen Anime-Mädchens anthropomorphisieren ließe. Schiffe , Konsolen , historische Persönlichkeiten , die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Sonst abgenutzten Archetypen kann damit eine Daseinsberechtigung verliehen werden, die durch leicht verständliche visuelle Signale direkt vermittelt wird. Nicht umsonst verlassen sich viele Serien beim Werben um Zuschauer in erster Linie auf ihre Charaktere, und bei der Masse an Konkurrenz muss ein möglicher zukünftiger Fan in kurzer Zeit eine Figur einschätzen können, beim ersten Eindruck Sympathie entwickeln. Die Assoziationen mit weniger menschlichen Vorlagen verraten direkt einige Charakterzüge: Zentauren haben Charakterstärke, Cat Girls sind verspielt, Spinnen sadistisch, Vampire verführen und auch Succubi haben einen starken Sexualtrieb (wenig überraschend soll der Zuschauer oft gerade auf dieser Ebene angesprochen werden). In ihren Serien korrespondieren Charakter und Verhalten mit ihren mythischen Vorbildern für ein kollektives "Ja, das ergibt Sinn" oder widersprechen einander zum Zwecke der Komik.

Der Folklore-Harem
Auch vor Kreaturen aus Folklore und Volkssagen wird dabei nicht halt gemacht, und so entstand schließlich das Monster Girl. In Form einzelner Charaktere gibt es dieses schon seit Jahrzehnten, ihr eigenes Genre, zumindest im Hinblick auf für Jugendliche zugängliche Produktionen, ist aber noch sehr jung und erfuhr dank des Mangas und Animes Die Monster Mädchen einen Aufschwung an Popularität. Die Geschichte folgt dem Standard-Harem-Schema, in dem eine Gruppe Mädchen unterschiedlicher Charakter- und Körpertypen ein unwillentlich wirkendes nasses Hemd ohne nennenswerte Persönlichkeit umschwärmen.

Dieser Mann hat keinen Namen und mir kann niemand das Gegenteil beweisen

Von der Präsenzlosigkeit seines Hauptcharakters abgesehen bietet der Anime einen sehr charmanten und vielseitigen Cast. Natürlich ist der Fan-Service ständig präsent und übertrieben, aber dies ist von vornherein klar, der Humor profitiert davon und immerhin werden die biologischen Gegebenheiten sinnvoll verbaut. Ich respektiere den Anstand einer Serie, sich zu ihrem Zweck zu bekennen statt etwas anderes vorzuspielen. Dennoch wurde erstaunlich viel Arbeit in die Welt dahinter gesteckt, ein ungewohnter Aufwand für eine vermeintlich oberflächliche Sex-Komödie, der der Welt und ihren Charaktere aber eine willkommene Tiefe verleiht.

Die Geschichte im Vordergrund, eine wachsende Wohngemeinschaft mit regelmäßigen "sexy Späßen", entfaltet sich im Kontext eines groß angelegten Regierungsprogramms, bei dem unterschiedliche Kulturen während ihres ersten Aufeinandertreffens aneinander gewöhnt werden sollen. In einer Art Konfrontationstherapie soll schlimmeren diplomatischen Spannungen aus dem Weg gegangen werden, die durch in Isolation entstehende und dort aufgehende Fremdenfeindlichkeit verstärkt würden. Auf lange Sicht vielleicht die bessere Herangehensweise, sehen sich die Mädchen doch oft einer unfreundlichen Umwelt gegenüber, die ihnen aus Angst oder schlechten Erfahrungen mit Individuen aus ihren eigenen Reihen mit Irritation und Feindseligkeit begegnet.

Interview mit einer Vampirin
Allein dieses Jahr gab es zwei Serien, die thematisch in eine sehr ähnliche Kerbe schlugen, wenn auch weniger verrucht und mit einer anderen Dynamik. Interviews with Monster Girls folgt drei Schulmädchen (und einer Lehrerin), die zu einer sehr kleinen Gruppe von Menschen mit distinkten Merkmalen gehören. Manche dieser Merkmale haben ihr Äquivalent in uns bekannten Leiden wie übermäßiger Sonnen- oder Wärmeempfindlichkeit. Wegen anderer übernatürlicher Attribute mit Ähnlichkeit zu mythologischen Figuren werden sie nach diesen Vorbildern benannt. Die Regierung leistet dabei je nach Status finanzielle Unterstützung oder Überwachung, wird eine von ihnen ausgehende Gefahr vermutet. Es lassen sich leicht Parallelen zu Schülerinnen mit körperlichen Behinderungen ziehen: Die Mädchen sind bei alltäglichen Aktivitäten oft im Nachteil und müssen sich auf ihre Weise auf eine Umgebung anpassen, die von allein nicht für sie bereit ist. Slice of Life kann sehr öde und belanglos sein, doch die für die meisten Zuschauer neue Perspektive bringt frischen Wind in das Genre.

Interviews with Monster Girls

Es entstehen Bündnisse unter Leidensgenossinnen, die Situationen der anderen besser verstehen als jeder Außenstehende. In einer der besten Szenen versucht eins der Mädchen sich zu öffnen, reißt Witze über einen Umstand, der ihr seit Jahren Schwierigkeiten gemacht hat. Ihre Mitschülerinnen sind irritiert, nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus gut gemeinter Rücksicht und Unsicherheit in einer ungewohnten Situation. Erst als eine der anderen dazustößt, die sich besser in die Situation hineinversetzen kann, entlädt sich die Spannung.

Gleichheit um jeden Preis
Die derzeit laufende Serie A Centaur's Life behandelt dagegen nicht nur Einzelfälle, sondern gleich eine ganze Welt, deren Bewohner die Merkmale von Tieren und Kreaturen tragen, und sich so in verschiedene Gruppen aufteilen. Es handelt es sich weniger um eine fundamental unterschiedliche Alternativwelt (eine beiläufige Bemerkung platziert sogar Nazis in ihrer Geschichte) sondern um unseren heutigen Stand, nur dass vergangene Differenzen zwischen Kulturen und Hautfarben durch das Annehmen der falschen "Fursona"  ersetzt wurden. Centaur's Life ist in dieser Hinsicht nicht im Geringsten subtil und lässt schon in der ersten Folge einen Charakter über eine alternative Zeitlinie phantasieren, in der durchgehende Harmonie herrscht, da unterschiedliche Hauttöne nicht genug Anlass für groß angelegte Konflikte liefern würden.

Die Details im Umgang (Hörner!) machen diese Szene zum wichtigsten Moment der Anime-Saison

Die Einbeziehung aller Gruppen ungeachtet ihrer Menge an Gliedmaßen, Flügeln oder Hörner ist fester Teil des Gesetzes, Alltagsgegenstände werden in allen Variationen hergestellt, Gebäude müssen für alle zugänglich sein. Sonst harmlose Gesten stehen wegen ihres Bezugs zu vergangenen Verbrechen unter Strafe. In Anwesenheit schwarz gekleideter Männer wird verkündet, Gleichheit kommt vor Menschenrechten, statt Teil dieser zu sein. Feinsinn war wie gesagt nie die starke Seite der Serie.

Anime tendiert dazu, sensible Themen eher über Substitutionen statt direkt anzusprechen, wodurch sie dafür in sonst unbeschwerteren Serien behandelt werden können. Monster Girl-Serien sind ein gutes Beispiel dafür: Sie behandeln das Dasein als Außenseiter auf einer persönlichen Ebene ebenso wie die Spannung zwischen Menschen- (oder menschenähnlichen) Gruppen in der Gesamtsituation, verkleidet in großäugigen Schulmädchen mit ungewöhnlichen, aber nie entstellenden Merkmalen.

Was haltet ihr vom Monster Girl-Genre?

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