Das Fantasy Filmfest 2025 zeigt den neuen Film des französischen Ausnahme-Regisseurs Quentin Dupieux. Nach telepathisch veranlagten Autoreifen in Rubber und mörderischen Hirschleder-Jacken in Monsieur Killerstyle wird in The Piano Accident ein fallendes Klavier zum Dreh- und Angelpunkt seines überspitzten Gesellschaftskommentars.
Internet-Star trifft Erpresserin: Als ein Klavier vom Himmel fiel
Ein Klavier baumelt in großer Höhe vom blauen Himmel. Eine verstimmte Klaviersaite hämmert auf der immer selben Taste einen beunruhigenden Soundtrack ins Ohr. Eine junge Frau mit Halskrause und eingegipstem Arm starrt zornig in die Landschaft. Quentin Dupieux streut die Anzeichen einer Katastrophe schon früh. Doch bis der titelgebende Klavierunfall aus The Piano Accident wirklich eintritt, lässt er das Publikum genüsslich in der Suppe der eigenen Vorahnungen zappeln.
Schaut hier den Trailer zu The Piano Accident
So lernen wir zunächst Magalie Moreau (Adèle Exarchopoulos) kennen, die unter dem Synonym Magaloche Berühmtheit erlangt hat. Worin dieser Ruhm besteht, der ihr viel Geld, mehrere Häuser und eine Privatinsel einbrachte, gilt es erst später zu entdecken. Sicher ist zunächst nur: Magalie flüchtet sich mit ihrem Assistenten Patrick (Jérôme Commandeur) in ein Chalet in den Bergen, weil etwas Furchtbares hinter ihr liegt. Dort wird sie von der Journalistin Simone (Sandrine Kiberlain) kontaktiert. Simone will Magalie erpressen. Allerdings nicht um Geld, sondern um das allererste Interview mit dem sonst so öffentlichkeitsscheuen Internet-Star.
Das fallende Klavier ist im Kino der Inbegriff eines absurden Unfalls. Insofern schwebt das Unheil die ganze Zeit über der Handlung und rahmt die aberwitzigen Situationen, in die der Film seine Figuren manövriert. Durch die Art und Weise, wie The Piano Accident die Puzzlestücke seiner Erzählung aufdeckt, lässt die Satire niemals Langeweile aufkommen. Selbst ein Interview, in dem sich die Parteien einander nur gegenübersitzen, mutiert so zum verbalen Duell, in dem jede neue Information wie eine Kugel ihr Ziel findet.
Duell der Unsympathen: The Piano Accident buhlt um eure Abneigung
Wenn die verwöhnte Magalie einen angefahrenen Vogel im Schnee verscharrt, Mitgefühl für ihre Mitmenschen nicht einmal vorspielen will und ihren überarbeiteten Assistenten mit nichtigen Tätigkeiten von seiner Familie fernhält, schmilzt jegliche Sympathie für die Hauptfigur schnell dahin. Ihre Kontrahentin Simone erscheint als das komplette Gegenteil auf der Bildfläche: freundlich, höflich und zugänglich ... nur eben als Erpresserin. Diese paradoxe Gegenüberstellung spielt mit dem Wohlwollen, das wir in der realen Welt allzu schnell einem angehimmelten Star schenken.
Sobald Magalie Rechtschreibung, Sprache und Aussehen ihrer Peinigerin herablassend anprangert, verwischt die Grenze von Täter und Opfer. Quentin Dupieux versteht es in The Piano Accident, die richtigen Tasten zu drücken, um auf der Klaviatur unserer Abneigung zu spielen. Zugleich drängt uns sein Film aber auch in die Position, seine Charaktere über die Satire hinaus als imperfekte Menschen zu begreifen. Denn jede aufgedeckte Facette dreht den Spieß dieses bitterbösen Spießrutenlaufs aufs Neue um.
Wenn wir schließlich erfahren, dass Magalie an völliger Schmerzunempfindlichkeit leidet, mag das ein gefundenes Futter für ihre Videos sein, bei denen sie Autobatterien, Monstertrucks und Nähmaschinen am eigenen Körper "testet". Hinter verrückten Experimenten schlummert aber immer auch die Frage nach dem Warum. Warum sie mit den Selbstverletzungen nicht aufhört, obwohl sie längst reich ist, will auch ihre Interviewerin wissen und sticht damit in ein psychologisches Wespennest der Neuzeit.
The Piano Accident hält der Gesellschaft einen dreckigen Spiegel vor
Wenn Quentin Dupieux seine Hauptfigur zur Jackass-Nachfolgerin mit Millionen von Followern stilisiert, liefert er ungeschönt einen Kommentar auf die Influencer und Content-Konsum in der Gegenwart ab: Sind die Stars von heute nur noch an sich selbst interessiert? Wer muss noch Steven Spielberg kennen, wenn die eigenen Fans einem auf der Straße hinterherlaufen?
Bekanntheit um jeden Preis heißt das Ziel. Auf dem Gipfel angekommen, bleibt die Freude allerdings aus. Doch die Unterhaltungsmaschinerie muss weiterlaufen. Zwischen Sponsoren und Selbstbewerbung wird der eigentliche Inhalt zur Nebensache. Selbst eingefleischte Fans sind nur an einem Foto mit ihrem Star interessiert, um ein Kuchenstück vom Ruhm zu kosten. Wenn alle mit Tunnelblick durchs Leben gehen, können Notlagen schnell als weitere Inszenierung missverstanden werden.
Auch wenn Magalie ihre Schmerzfreiheit zur Einnahmequelle macht, ist The Piano Accident umgekehrt nicht schmerzfrei lustig. Das Lachen bleibt einem vor allem gegen Ende immer häufiger im Hals stecken, wenn Dupieux seine Schwarze Komödie bis zum Äußersten treibt. Jeder, der ein Urteil fällt, fällt es dann auch über sich selbst. Humor schneidet als Klinge in zwei Richtungen. Wer in diesem kurzlebigen Geschäft nicht weiter auftrumpfen kann, verdammt sich selbst.
Wo im Auf und Ab verkaufter menschlicher Emotionen die Moral überhaupt noch Platz hat, bleibt offen. Während das Klavier über unseren Köpfen im Wind schwankt, würde man dem berühmten französischen Filmemacher zu gern selbst die Frage nach dem persönlichen "Warum" seines Werks stellen ... Würde er seine eigene innere Dunkelheit unter dem Deckmantel der Unterhaltung dann verleugnen oder zelebrieren?
Wir haben The Piano Accident zum Fantasy Filmfest 2025 gesehen. Dort läuft der Film am 6. September in Berlin und Hamburg, am 13. September in München, Nürnberg und Stuttgart sowie am 20. September in Frankfurt und Köln. Einen deutschen Start darüber hinaus hat der Film aktuell noch nicht.