Babylon Berlin: Ein berauschendes Finale - trotz Tiefpunkt der Serie

08.11.2018 - 22:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Babylon BerlinX Filme/Degeto/Sky/Beta Film
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Babylon Berlin gipfelt in einem explosiven Finale mit einigen Figurentoden, doch am meisten beeindruckt, wie die Serie die Vorfreude auf die 3. Staffel anstachelt.

Als ich das Finale von Babylon Berlin vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe, hat es mir nicht gefallen. Oder anders ausgedrückt: Schon zwei Minuten nach Abspann bestand das Finale in meinem Kopf nur noch aus zwei ziemlich furchtbaren Szenen. Zum einen die plötzlich wiederbelebte Charlotte, zum anderen die große Konfrontation auf dem fahrenden Zug. Monatelang bissen sich die beiden Szenen von Babylon Berlin zwischen meinen Synapsen fest. Nun, nach einer erneuten Sichtung kann ich proklamieren: Das Finale von Babylon Berlin ist viel besser, als ich dachte. Es wartet mit einigen der einprägsameren Bilder der Serie auf, bietet mindestens zwei Momente, in denen es die Zuschauernerven wie Drahtseile spannt, und legt die Weichen für eine 3. Staffel, die gar nicht schnell genug kommen kann. Das alles ändert nichts daran, dass die letzten zwei Folgen den Tiefpunkt der bisherigen Serie enthalten.

Drei wichtige Fragen nach Folge 15 und 16 von Babylon Berlin

  • Ist Dr. Schmidt Gereons Bruder Anno? Schauspieler Jens Harzer spielt sie beide: Den hypnotisierenden Dr. Schmidt und Gereons verschollenen Bruder Anno. Das ist das wichtigste Indiz. Demnach wäre Anno im Krieg schwer verwundet worden und hätte sich in Berlin eine neue Identität aufgebaut. Als Bruder hält er eine schützende Hand über Gereon. Eine verlockende Spur in die 3. Staffel legen die Autoren damit. Aber: Gereon steht unter Drogen und wurde hypnotisiert. Wir sollten seinen Augen nicht trauen. Schmidt und der Armenier könnten ihn mit der Anno-Erinnerung manipulieren, damit sie eine Marionette in der Polizei haben.
  • Wer steckt hinter der Ermordung von Benda? Durch eine Bombe wird der jüdische Regierungsrat Benda mit seiner Tochter ermordet. Hausmädchen Greta hatte sie aus Rache am Mord ihres angeblich kommunistischen Geliebten Fritz platziert. Der taucht jedoch quicklebendig am Bahnhof auf und das in einer SA-Uniform. Stecken die Nazis hinter dem Anschlag? Fakt ist, dass Greta hinters Licht geführt wurde. Der Anschlag wird in der Presse den Kommunisten in die Schuhe geschoben. Das kommt zwei Fraktionen entgegen: den Nazis, die bisher in der Serie kaum auffällig waren; und den Kräften der Schwarzen Reichswehr, die einen der ihren auf dem Posten des Regierungsrats haben, nämlich Oberst Wendt. Denkbar: Die Nazis haben die Angelegenheit geplant und Wendt und Co. sind die lachenden Dritten.
Babylon Berlin
  • Wie war das jetzt mit dem Gold in Babylon Berlin? Hä? Das Gold ist falsch und war doch vor aller Augen. Das ist die Überraschung im Finale von Babylon Berlin Staffel 2. Das Gold der ermordeten russischen Adelsfamilie Sorokin wurde nicht in Kisten transportiert. Die Barren bestehen nur aus angemalter Kohle. Stattdessen besteht der Gaskessel des Waggons selbst aus Gold. Außerdem, so die These Gereons, ist die blonde Sängerin Sweta keineswegs die Erbin der Sorokins, sondern die Tochter des Chauffeurs, der die Familie an die Bolschewiken verraten hat. Lösung des Rätsels ist ein Gemälde, das praktischerweise die Familiengeschichte erzählt. Hier adaptiert Babylon Berlin das berühmte Ende von Die üblichen Verdächtigen. Verwirrung aber bleibt. Fährt der Zug nun nach Paris (wie es am Waggon steht) oder zurück in die Sowjetunion (was die geplante Route war)?

Der Tiefpunkt von Babylon Berlin

Ach, Charlotte. Womöglich leide ich dank 10 Jahren Marvel Cinematic Universe an einer Allergie gegen Fake-Tode, doch einmal ganz nüchtern begründet: Innerhalb einer Folge würden Beinahe-Tod und Wiederbelebung von Charlotte am See weit weniger negativ auffallen. Stattdessen haben wir einen Cliffhanger zwischen zwei Folgen, der nicht einmal ein Cliffhanger ist. Das verbindende Bild ist nicht die leblose Charlotte und die Frage, ob sie stirbt, sondern der schreiende Gereon und die Gewissheit, dass sie tot ist. Der Verlust ist angerichtet. Abspann. Entsprechend schwerfällig muss die letzte Folge gegenlenken. Fake-Tode wie dieser färben auf folgende Todesszenen einer Serie negativ ab. Mit diesem Tiefpunkt der Serie haben sich die Autoren keinen Gefallen getan. Immerhin beschwichtigen uns die Macher mit dem fabelhaft unheimlichen Moment, in dem die Soldaten am Zug erschossen werden und die Gangstergestalten im Gras erscheinen wie Trenchcoat-Geister.

Babylon Berlin

Das CGI-Hintergrund-Duell auf dem Zug wirkt auch in der zweiten Sichtung seltsam überhöht, eine epische Konfrontation für zwei Figuren (und Schauspieler), die im Psychospiel auf engstem Raum mehr leisten könnten. Obschon Phosgen nicht brennbar ist (wieder was gelernt), erhält Bruno Wolter (Peter Kurth) einen amüsanten Abgang. Zuletzt sahen wir ihn so oft verschwörerisch rauchen, nun bekommt er die Rechnung. Kurth wird nichtsdestotrotz schwer zu ersetzen sein in Babylon Berlin.

In Folge 15 und 16 beweist sich Babylon Berlin einmal mehr als Hochspannungsfabrik mit Charakter(en). Greta starrt zunächst übers Frühstück hinweg in die Kamera und erhält weder von uns noch von Charlotte Rat. Mit einer Hitchcock'schen Bombe unter dem Tisch zögern die Autoren danach die Katastrophe quälend lang hinaus, nur um im schlimmstmöglichen Moment am Schubfach zu ziehen. Gretas Starren werden wir später bei Bruno wiedersehen, der sich am See sitzend eine Kippe anzündet. In Babylon Berlin schwelt eine zutiefst verunsichernde Sehnsucht nach Gewalt und Zerstörung unter den Augenlidern vieler unterschiedlicher Figuren. Ein Polizist, der seinen Kollegen ungerührt beim Ertrinken zuschaut, wäre da und ein Hausmädchen, das ihr neues Heim in die Luft jagt.

Babylon Berlin bereitet gekonnt die 3. Staffel vor

Die Autoren sind sparsam mit ihnen umgegangen. Als wir die Hakenkreuz-Armbinden in Babylon Berlin sehen, hat es etwas von einem dunklen Erwachen. Das Symbol bricht regelrecht in die Serie ein, die in einer Phase der Weimarer Republik spielt, in der die Nazis nicht so präsent waren, wie wir es heute vielleicht erwarten. Sie wurden bereits erwähnt, aber blieben im Plot um sowjetische Mordkommandos, rechte Putschversuche, linke Revolutionäre und, äh, Pornos, wenig mehr als eine Fußnote. Nun sieht Greta ihren totgeglaubten Fritz am Bahnhof. Als stünde ein anderer Mensch vor ihr. Was die düsteren Vorahnungen für die 3. Staffel von Babylon Berlin noch einmal bestärkt. Die Schwarze Reichswehr sägt an den Grundfesten der Republik, aber da lauert eine andere, perfidere Gefahr, um auf den Trümmern zu thronen.

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Entscheidend hierfür könnte innerhalb der Serie die Figur des Oberst Wendt (Benno Führmann) sein. Wendt sahen wir zum ersten Mal als Jäger unter den Monarchisten. Nun, da der größte Feind der Schwarzen Reichswehr in der Serie ermordet wurde, nimmt ein Verschwörer dessen Platz ein. Wendt blickt verächtlich auf das Porträt von Nobelpreisträger Gustav Stresemann. Der würde noch im Oktober 1929 an den Folgen eines Schlaganfalls sterben, zwei Wochen vor dem Schwarzen Freitag der Weltwirtschaftskrise, welche die Weimarer Republik weiter destabilisieren sollte. Er wolle das Büro seines Vorgängers erstmal desinfizieren, meint Wendt zudem, was seinen Antisemitismus unterstreicht und gleichzeitig Nazi-Jargon bedient. Wendts reales Vorbild könnte Rudolf Diels sein, dessen Biografie vom preußischen Regierungsrat und Chef der politischen Polizei nahtlos in die Führungstrukturen der Nazis verlief.

Das Finale setzt Gereon einen neuen Chef vor die Nase, der seinen polizeilichen Instinkten zuwider läuft. Die Bredouille ist angerichtet. So lügt Gereon auch vor Gericht über den Ablauf des Blutmais. Allein auf weiter Flur, was Unterstützung und Beweise angeht, wäre Gereons Alternative die Flucht aus Berlin oder dem Polizeidienst. Er bleibt. Aber Berlin, das verheißungsvolle Babylon, das in der 1. Staffel im Tanz beschwört und ihm in der 2. Staffel ein neues Leben versprach, hat einen Schritt in eine neue, dunkle Ära getan.

Anmerkung am Rande:

  • Benda erzählt in Folge 15 vom Sklarek-Skandal, ein leicht zu übersehender Seitenplot in Babylon Berlin. Erinnert ihr euch an Charlotte, die einer Kollegin mit den unsauberen Rechnungen hilft? Das sind die gefälschten Rechnungen der Gebrüder Sklarek, deren Betrug sich auf 10 Millionen Mark belief. Ein Nebenplot, der in der Realität Einfluss auf die verhärteten Fronten der Parteien hatte. Jedes Mosaiksteinchen zählt.

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