Kurt Russell im Kannibalen-Western Bone Tomahawk

20.01.2016 - 08:15 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Bone TomahawkConstantin Film
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Mit dem Western Bone Tomahawk erscheint hierzulande einer der besten Filme des Jahres direkt auf DVD und Blu-ray. Unerwartet brutal spielt er die genreübliche Angst vor dem Anderen gegen die Zivilisationslogik seiner Figuren aus.

Zivilisiert, das Wort fällt häufig in Bone Tomahawk. Zu Beginn versichert ein von Genreveteran Sid Haig gespielter Landstreicher seinem Kompagnon, er brauche keine Angst vor der unheimlichen Grabstätte haben, zu der sie sich verirrten – zivilisierten Männern wie ihnen drohe hier keine Gefahr, sagt er. Der Satz ist einigermaßen verräterisch. Kurz zuvor zeigte der Film, wie die beiden Männer für ein wenig Diebesgut rastenden Cowboys im Schlaf die Kehle durchtrennten. Sid Haig erklärte dem darin offenbar noch nicht ganz so erfahrenen David Arquette, dass er tief schneiden müsse, wenn er nicht wolle, dass seine Opfer den Angriff überlebten. Nach diesem offensichtlich nicht ersten Raubzug der also sehr zivilisierten Männer machten sie sich aus dem Staub und sitzen nun auf einer unheimlichen Grabstätte fest. Wer sie dort plötzlich attackiert, bleibt zunächst unklar, aber einer der Männer findet ein unrühmliches Ende. S. Craig Zahler stimmt das Publikum mit dieser bösartigen Exposition sehr angemessen auf sein finsteres Regiedebüt ein.

In den Romanen A Congregation of Jackals und Wraiths of the Broken Land untersuchte der bislang als Autor und Musiker bekannte Zahler eine Art Wendepunkt des nordamerikanischen Gründungsmythos, nämlich die Versuche, ihn durch die Industrialisierung in das 20. Jahrhundert hinüberzuretten. Seine Plots erzählen zeit- und psychohistorisch von Männern aus Siedlungsverhältnissen, die eigentlich überwunden geglaubte Grenzen munter weiterziehen. Eine Besonderheit der Geschichten ist die Vermengung akkurater Beschreibungen der Frontier-Erfahrung mit Horrorversatzstücken, deren archaische Gewalt den Fortschrittsglauben der neuen Welt auf unterschiedlichste Proben stellt. Im Western-Kontext bedeutet das natürlich eine Angst vor dem Anderen und der Schuld seiner brutalen Verdrängung, konkret also: Es bedeutet die immer wieder beschworene Gefahr "barbarischer" Ureinwohner als vermeintlich störende Elemente der Zivilisation.

Unheimliche Grabstätten: Wo das Andere lauert.

Um Indianer aber geht es in Bone Tomahawk dennoch nicht, das stellt zumindest die einzige souverän auftretende indigene Figur des Films klar. Allenfalls alte weiße Wildwestmänner wie Sheriff Hunt (Kurt Russell), sagt sie, würden jene kannibalischen Höhlenmenschen als Ureinwohner identifizieren, die das kleines Städtchen Bright Hope überfallen und zwei dort lebende Bürger entführt haben. Hunt und sein Suchtrupp (darunter Patrick Wilson, Matthew Fox und Richard Jenkins) sollten wissen, mit was sie es aufnehmen, heißt es. Die Szene ist von entscheidender Bedeutung: Sie bemüht sich einerseits, den Film vorab gegen eine genreübliche reaktionäre Lesart zu verteidigen, betreibt aber andererseits eine quasi alternative Form des othering, die das Publikum für kommende Schrecken sensibilisiert. Letzteres übrigens aus gutem Grund, denn Bone Tomahawk macht den Splatterexzessen des übel beleumundeten Kannibalenkinos italienischer Prägung ernstzunehmende Konkurrenz. Er ist kein Film für seichte Gemüter.

Die Städtchenbewohner unversehrt zurückzuholen, ist der mit Kurt Russell großartig besetzten Sheriff-Figur eine Herzensangelegenheit. Schließlich geht es ihr nicht allein darum, zwei auch funktional kaum entbehrliche Gemeindemitglieder zu retten, sondern Bright Hope weiterhin als einen Ort strahlender Hoffnung verwalten zu können. In "dieser zivilisierten Stadt", ermahnt Hunt den von der eingangs beschriebenen Grabstätte Zuflucht suchenden Raubmörder David Arquette, schaue man sich "bei Gesprächen in die Augen". Der Hinweis wirkt wie eine Selbsterinnerung: Für Hunt gilt es die Art Zivilisation zu bewahren, in der etwa ein Sheriff die örtliche Ärztin (Lili Simmons) zur Genesung des Inhaftierten aufs Revier bestellt, damit dieser sich vor seiner öffentlichen Hinrichtung durch Hängen auch noch ordnungsgemäß erholen kann. Was auch immer Hunt und Gefolgschaft also im "Tal der hungernden Menschen" erwarten wird – sein bis zum gemeinsamen Aufbruch ausreichend kommunizierter Wertekanon dürfte kaum Gefahr laufen, von Kannibalen grundlegend durcheinandergebracht zu werden.

Hüter der Zivilisation: Richard Jenkins und Kurt Russell.

Die quälende Reise ist dann auch der eigentliche Höhepunkt des Films. Zwar loben viele Besprechungen zu Bone Tomahawk das kammerspielartige existenzialistische Schlussdrittel, in dem aufrechte townspeople ganz plötzlich die Zivilisationsleiter herunterpurzeln (was in der Tat beeindruckend, weil auf selten brutale Art urtümlich inszeniert ist). Doch liegen die besonderen Stärken der eigenwillig rhythmisierten Geschichte gerade im Nichtvorankommen ihrer Figuren. Grundlos schießen sie auf mexikanische Banditen und verlieren ihre Pferde, dem schwer verletzten Patrick Wilson droht während des dadurch zu Fuß bestrittenen tagelangen Marsches sogar eine Beinamputation. Eindrucksvoll übersetzt S. Craig Zahler seine literarische Detailversessenheit in einen Willen zur filmischen Ausgestaltung. Die Kamera klebt an schweißdurchtränkten Hemden und klaffenden Wunden, als wolle sie den Zuschauer zu müffelnden Komplizen machen. Wenige Filme ahmten das (Über-)Lebensgefühl des Wilden Westens bislang so unangenehm trostlos nach.

Bone Tomahawk ist ab dem 21. Januar 2016 auf DVD und Blu-ray erhältlich.

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