Feuchtgebiete oder Was ist ein Skandal?

29.08.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Wie viel Skandal steckt in Feuchtgebiete?
Peter Hartwig / Majestic
Wie viel Skandal steckt in Feuchtgebiete?
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Feuchtgebiete ist ein Skandal. Angeblich. Aber was genau heißt das eigentlich? Und warum zeigen sich alle wegen ein bisschen Sex und Fäkalien so entgeistert?

Wir sollen diesen Film eklig finden. Genauso wie wir das Buch eklig finden sollten, was übrigens einer der Gründe dafür ist, warum es mir nicht gefallen hat. Alles daran schrie nach Skandal. In der ausufernden Promiskuität der Hauptfigur spiegelte sich der Versuch der Autorin, mit allen Mitteln Aufmerksamkeit für ihren Verbaldurchfall zu erregen. So war zumindest mein erster Eindruck. Und jetzt passiert noch einmal genau das Gleiche. “Skandal und Koketterie” titelt die Süddeutsche. RP-Online schreibt “Ein Skandal als Film” und die Morgenpost spricht von der Premiere als “Skandal mit Ansage”, ohne übrigens zu erklären, worin dieser Skandal eigentlich besteht. Charlotte Roche klatscht vermutlich fröhlich in die Hände und ist mit ihrem Werk zufrieden. Aber ist Feuchtgebiete wirklich ein Skandal? Wikipedia sagt, ein Skandal sei ein „unerhörtes“ oder auch „ärgerniserregendes“ Ereignis und ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob das auf diesen Film wirklich zutrifft und wenn ja, warum.

Zwangsvulgarismus oder klare Ansagen?
Es liegt auf der Hand und ich denke darüber müssen wir ausnahmsweise einmal nicht streiten, dass Feuchtgebiete vor allem deshalb so „skandalös“ ist, weil er von einer Frau handelt. Würde hier ein Mann über seine Sexkapaden und Körperhygiene berichten, wäre der Aufschrei nur halb so laut. Es scheint für manche Leute noch immer einem Skandal gleichzukommen, dass Frauen eine eigene Sexualität besitzen und ausleben und sich in ihrem Trieb nur marginal von ihren männlichen Altersgenossen unterscheiden. Die Frage, ob Frauen tatsächlich weniger Lust auf Sex haben, birgt nämlich das Henne-Ei-Problem, also das Problem der Unterscheidbarkeit von Ursache und Wirkung. Was war zuerst da? Die verminderte Lust oder ihre Behauptung? Vielleicht wird Mädchen auch einfach von klein auf eingeredet, dass Sexualität pfui ist und es sich für eine Frau nicht gehört, ihren erotischen Bedürfnissen ohne Gewissensbisse nachzugehen. Helen, so der Name der „skandalösen“ Protagonistin von Feuchtgebiete, schert sich um derartige gesellschaftliche Normen nicht. Wenn sie Sex mit einer Prostitutierten haben will, dann tut sie das und wenn sie Bock auf Oralsex hat, lässt sie sich eben von einem wildfremden Typen die Muschi lecken. Ist das jetzt skandalös oder einfach eine Darstellung, die Frauen ihre lang negierte Sexualität zugesteht?

Und wo wir gerade dabei sind: Muschi ist auch so ein Wort, bei dem alle die Ohren spitzen. Ganz anders verhält es sich mit dem Wort Schwanz. Für Vagina und Penis gilt übrigens das Gleiche. Die Bezeichnungen weiblicher Genitalien kommen uns schwerer über die Lippen. Helen hat damit freilich kein Problem. Deshalb fällt im Film das Wort „Muschi“ vermutlich öfter als in der bisherigen deutschen Mainstream-Filmgeschichte. Aber ist das ein Skandal? Übertrieben vielleicht, aber ärgerlich oder unerhört? Warum sollte es unerhört sein, dass eine junge Frau ebenso wie ein junger Mann mit ihrer Sexualität experimentiert? Wieso ist das Wort Muschi skandalöser als Schwanz, Penis, Pimmel und Konsorten?

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