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Zwischen Zynismus und Hoffnung: das Leben leben mit Hank Moody

01.11.2015 - 10:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
„'Cause they said it changes when the sun goes down“ (Arctic Monkeys)
Showtime, bearbeitet von Grimalkin
„'Cause they said it changes when the sun goes down“ (Arctic Monkeys)
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Neuer Monat, neues Thema. Der spielerisch-freche Titel unseres Blogprojekts fordert gerade dazu auf, neugierig zu sein und auch selbst mitzuwirken! Dieses Mal geht es um Kultfigur Hank Moody, seine Idee von einer Lebensweise, eine Verteidigung von ehrlichem Zynismus und weshalb wir uns immer mehr in den falschen Abgründen verlieren...

You can't always get what you want
But if you try sometimes well you just might find
You get what you need


You can't always get what you want “ – The Rolling Stones

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„I dig your writing, Moody“ ist einer der Sätze, die Hank sehr gerne hört. Er ist ein charismatischer, zynischer Frauenheld und Schriftsteller aus Berufung. In Akten der Selbstzerstörung begeht er sein Leben, stets ein Drahtseilakt aus der Sehnsucht nach dem Happy Ending mit seiner großen Liebe Karen, seinem Verlangen nach Alkohol, Drogen, Musik und schönen Frauen, der komplizierten Beziehung zu seiner Tochter und seinem Talent: dem Schreiben. Hank Moody wird in Californication als jemand eingeführt, mit dem jeder Mann auf den ersten Blick tauschen möchte. Doch unter der Oberfläche brodelt sein Konflikt mit den Menschen, der Welt und vor allem: sich selbst. Wie vermutlich jeder gute (oder sehr gute) Schriftsteller liegen bei Hank Genie und Wahnsinn nicht allzu weit auseinander. Meistens hat er gar keine Entschuldigung für die neuste Eskapade aufzuweisen. Er denkt oft nicht erst nach, sondern handelt nach Gefühlen und Trieben; ein Umstand, welcher ihn immer in Situationen außerhalb des kontrollierten Bereiches befördert. Und trotzdem ist es gerade das, was die Figur für den Zuschauer so unglaublich sympathisch macht: vor allem für diejenigen, die selbst gelegentlich was auf’s Papier bringen, sich dazu veranlasst sehen, ihre Meinung in die Welt hinaus zu tragen, weil gerade heute kaum noch jemand wirklich zuhört. Vielleicht fühlt man sich auch selbst ein wenig berufen, weil man glaubt, man habe in diesem Bereich sein Talent und seine Fähigkeiten liegen. Ob man je in dem bestätigt wird, steht in den Sternen. Doch hat Hank Moody mich auch gerade eines gelehrt: man kann trotz tiefsitzendem Zynismus noch die Welt lächelnd umarmen, verträumt in Melancholie versinken, ohne in Depressionen zu verfallen und außerdem irgendwie immer den Wert des Lebens an sich erkennen. Eine unfassbar wichtige Eigenschaft, so leben wir doch in einem der privilegiertesten Teile der Welt und sollten viel öfter viel dankbarer dafür sein, welch‘ ein Leben wir doch führen können.

Für mich sind Schriftsteller in Filmen oder Serien auch dann immer die Menschen, mit denen ich mich am ehesten identifizieren kann. Sie sind womöglich manchmal extrovertiert und manchmal introvertiert – aber immer spüre ich bei ihnen, wie auch hier bei Hank Moody, diese Seele, das Herz, was irgendwo in diesem Menschen steckt und nicht aufhört zu schlagen. Passionierte Autoren sind auch immer ein klein wenig Rebellen, Revoluzzer, die sich auflehnen gegen die Gesellschaft, ihr den Spiegel vorhalten und vielleicht hämisch darüber lachen. Gerade in einer Zeit, in der Ironie zum guten Ton zu gehören scheint, aber nur wenige die richtige Art und Weise, damit umzugehen, verstehen (furchtbar nervig), sind diese wahren Zyniker kostbar wie nie. Denn gerade wenn sie ihr Leben, ihren Blick auf die Welt, auf solche Weise ausleben, dann muss der Zynismus kein Stolperstein sein, zu welchem er oft degradiert wird. Natürlich verstrickt sich Hank Moody in seinen Fehlern und Eskapaden und ist meilenweit entfernt davon, ein Leben zu führen, welches als Vorbild dienen kann oder vielleicht sollte – aber es ist die Ehrlichkeit, die Wahrheit, die mit ihm kommt und so sympathisch erscheint. Denn diese Echtheit und Authentizität ist so rar gesät heutzutage, dass wir alle im Strom der Mainstream-Ironie versinken, uns unsere wahren Gefühle nicht mehr eingestehen wollen und lieber lachen und später, in der Einsamkeit, über den missratenen Lebensweg klagen. Doch Hank Moody behält den Glauben an das Gute, an die Liebe, an das Leben – solange bis nichts mehr davon übrig bleibt. Da schreibt er ein von Zynismus triefendes Werk namens „God hates us all“ und es wird zu einer RomCom umfunktioniert – quasi ein Abziehbild einer oberflächlichen, immer mehr stereotypisierteren Welt. Da war sein Roman ein echtes Stück Liebe, geschrieben vom Leben, und wird in das falsch gesetzte Klischee einer Hollywood-Romanze gezwängt, ohne den Stil und Ton überhaupt erst zu verstehen, ohne sich damit überhaupt auseinander zu setzen.

Jemand wie Hank Moody erinnert mit seiner rohen, selbstzerstörerischen, zynischen, aber letztlich eben hoffnungslos-romantischen und idealistischen (!) Art daran, wie der Puls des Lebens zu schlagen weiß, wenn man nur nicht immer sich selbst und alle anderen belügt, in dem man nicht eingesteht, was man fühlt. Alles ist so darauf ausgerichtet, auf eine Art „cool“ oder „hip“ zu sein, immer den Trends zu folgen; sich selber darzustellen (jeder wird mit den Social Media-Netzwerken zu einem kleinen Narzissten); dabei bleibt vielleicht die Menschlichkeit auf der Strecke.


* * *

Zum Schluss füge ich noch einen Text von Hank Moody aus der allerletzten Episode (7x12) von Californication mit dem Titel „Grace“ ein – weil sie wunderbar skizziert, weshalb ich zumindest der Idee von einer Art, das Leben zu sehen und in Angriff zu nehmen, so viel abgewinnen kann. Hier gilt natürlich die Spoilerwarnung:

I've been thinking about Us, the story of us. How the fuck do I sum it up? Has it been perfect? Hardly. Any story with me at the center of it will never be anything less than a big smiling mess. But here's what I know for sure—our time in the sun has been a thing of absolute fucking beauty. The nightmares, the hangovers, the fucking and the punching. The gorgeous shimmering insanity of the city of ours. Where for years I woke up, fucked up, said I was sorry, passed out and did it all over again. As a writer, I'm a sucker for happy endings. The guy gets the girl, she saves him from himself, fade to fucking black. As a guy who loves a girl, I realize there's no such thing. There's no sunset. There's just now, and there's just the two of us, which can be scary fucking ugly sometimes. But if you close your eyes and listen for the whisper of your heart—if you simply keep trying and never ever give up, no matter how many times you get it wrong, until the beginning and the end blur into something called until we meet again -- and that's it. I didn't know how to finish it, because it's not over. It'll never be over, as longs as there's you, and there's me, and there's hope, and grace.


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Stefan Ishii: Die Unverfilmbarkeit der schlafenden Schönen

Absurda.: Film ist ein visuelles Medium

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Das Thema für den 1. Dezember
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Schnee, Eis und Kälte! Der Dezember ist der Monat für Weihnachtsfilme, aber nicht nur, sondern auch für alles andere mit winterlichem Setting, bei dem es einen beim Anschauen bereits fröstelt. Für den Jahresabschluss von "blog me if you can" bitte warm anziehen!


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