Wo sind die Frauen im Genrekino?

07.10.2016 - 09:10 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Nicht das übliche Final Girl ...Rhombus Media
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Zwar können sich ebenso viele Frauen wie Männer für Genrefilme begeistern, vor und hinter der Kamera sind sie aber in der Minderheit. Lest, woran das liegt, und welche großartigen Genrefilme in den letzten Jahren von Frauen geschaffen wurden.

Ich sitze gerade in Sitges. Das ist so ein kleines, semi-verschlafenes Städtchen in der Nähe von Barcelona, in dem einmal im Jahr in Sachen Film die Hölle los ist. Denn hier findet das Festival Internacional de Cinema Fantàstic, Europas größtes und weltweit eines der relevantesten Genrefilmfestivals statt. Ab heute starten hier 174 Langfilme und ein paar Dutzend kurze, die faktisch das gesamte, weltweite Schaffen in Sachen Genrefilme abdecken. (Jenny von moviepilot berichtet übrigens von hier).


Aber Genrekino, so scheint es, ist vor allem Männersache. So zumindest die gängige Meinung, die Frauen zwar Genrebegeisterung zugesteht, dann aber eben für spezifisch "weiblich" konnotierte Genre-Beiträge. Also Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen ja, Train to Busan nein. Romantische Komödie, Melodram, Fantasy geht, Horror, Sci-Fi, Western etc. ist dann schon wieder nicht geeignet. Aber diese eigenartige Kategorisierung hat wenig mit den eigentlichen Vorlieben oder dem tatsächlichen Sehverhalten zu tun. Sie ist eher einem gegenderten Vermarktungsgebaren geschuldet. So wie alle Mädchensachen eben pink sein müssen und die für Jungs blau.

Aber jedes Jahr in Sitges sitzen im Publikum genausoviele begeisterte Frauen wie Männer. Und entgegen mancher klischeehaften Vorstellung krallen sie sich nicht in den Arm ihres Partners und kreischen, wenn das Blut fließt. Im Gegenteil. Es wird geklatscht und mehr gefordert. (An dieser Stelle sollte man auch noch bedenken, dass die spanische Kultur das Dunkle, Gothische seit langer Zeit hoch schätzt und nicht nur als Unterhaltung versteht, sondern als wichtige und legitime künstlerische Ausdrucksform).

So viel zum Publikum. Wo es allerdings massive Mängel gibt, ist auf der Leinwand. Genrefilme sind hier, genau wie die gesamte Filmindustrie, massiv mit Frauen unterbesetzt und zeichnen sich in den meisten Fällen dadurch aus, dass Frauen ausschließlich in den üblichen Rollenbildern vorkommen, die sich zwar von Genre zu Genre ein wenig unterscheiden, letztendlich aber doch recht gleich bleiben. Vom "Action Girl " zum "Final Girl " (es sind immer Girls, nie Frauen), von der "Jungfrau in Nöten " zur "rachsüchtigen Liebhaberin ", es ist fast immer der gleiche Quatsch, der darin endet, dass Frauen entweder gerettet oder bestraft werden müssen, je nach Grad ihrer Selbstständigkeit. Bei mir als großer Genrekino-Liebhaberin löst es inzwischen große Langeweile aus, da man diese Standard-Retorten-Figuren schon nach den ersten zwanzig Minuten meist als solche erkennen kann und an ihnen dann ganz einfach den Rest des filmischen Verlaufes zusammenbaut. Da hilft auch kein geiler Jump-Scare und kein besonders blutiger Kill weiter.

Hinter der Kamera sieht es noch düsterer aus. Nur 10 der 174 Langfilme, die hier starten, sind von Frauen gemacht. Nimmt man die Kurzfilme hinzu, sind es über doppelt so viele. Immerhin eine bessere Quote als beim Fantasy Filmfest, wo nur einer der 32 Langfilme, The Lesson von Ruth Platt, von einer Frau stammte. Und selbst das ist noch besser als die Attitüde des österreichischen /slash Film Festivals:

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Ein Programm durchzugehen und das Verhältnis männlicher vs. weiblicher RegisseurInnen zu zählen, macht keinen Spaß. Ich könnte da gern drauf verzichten, wäre es nicht eine wichtige Variante, das eigentliche Problem kurz und bündig darzustellen. Es geht nicht um Quote, sondern darum, darauf aufmerksam zu machen, was für eine extreme Diskrepanz vorhanden ist. Und auch darauf aufmerksam zu machen, dass die Idee, dass Frauen keine bzw. keine guten Genrefilme machen, vorhanden und falsch ist. Das Problem fängt oft beim Produzieren an und setzt sich bis zu den Filmfestivals als letzter Instanz fort. Und es ist nötig, dass alle Instanzen hier mehr darauf achten und mehr fördern.

Im Genrefilm ist das besonders traurig, denn hier gehören Frauen von Anbeginn der Filmkunst an dazu. Wie zum Beispiel Lois Weber, die mit Suspense einen der ersten Thriller verfilmte (und die Hauptrolle spielte und ganz nebenbei einen der ersten Filme schuf, in dem "parallel editing", also das Erzeugen zweier parallel laufender Zeitebenen durch Schnitte, stattfindet):


Unvergesslich auch Ida Lupino, die Königin des Noir-Filmes, deren Werk The Hitch-Hiker nicht umsonst als einer der besten Noir-Psychothriller des Filmgeschichte gilt. Aber auch im Exploitation-Bereich sind wir vertreten. Wer könnte Doris Wishman unglaublichen A Night to Dismember mit Popsternchen Samantha Fox vergessen? Oder die wunderbaren Filme von Asia Argento, die irgendwo zwischen großer Kunst und Trash oszillieren?

Aber es geht nicht nur darum, daran zu erinnern, dass Frauen wenigstens ab und an repräsentativ waren bzw. sind. Eine ganze Menge Genre-Filme, die jetzt als Kultklassiker gelten, wurden von Frauen geschrieben bzw. inszeniert. Ohne deren Beteiligung gäbe es Christian Bales Paraderolle in American Psycho (Regie: Mary Harron) nicht. Und die Hälfte von uns hätte in ihrer Kindheit keine Angst vor Hasen und Katzen gehabt, weil uns Friedhof der Kuscheltiere von Mary Lambert nicht traumatisiert hätte.

Und sie sind es auch, die neue Impulse und Aspekte in viele Genrearten bringen, die sich nur noch um ihre eigenen, eingefahren Konventionen drehen. Hier ein paar Beispiele phänomenaler Filme der letzten 6 Jahre:

Western

Kelly Reichhardts Western Meek's Cutoff verzichtet nicht nur auf die im Western übliche Exposition, sie befreit auch die weiblichen Figuren aus ihrer völligen Passivität, die sie sonst in diesem Genre, sei es als Ehefrau/Hausfrau oder als Hure, einnehmen. Es ist die Siedlerin Emily (Michelle Williams), die aktiv dem Anführer widerstrebt und somit als einzige Widerworte gibt, als die Gruppe Siedler schon seit Wochen durch die Einöde irrt und kurz vorm Verhungern und Verdursten ist. Und diese Widerworte sind Katalysator für eine weit vielschichtigere und kontroversere Geschichte als in dieser Art Film üblich:

Horror

Jennifer Kents Monster-Horror Der Babadook begeisterte vor zwei Jahren das Publikum weltweit. Regisseur William Friedkin (Der Exorzist) bestätigte ebenfalls, wie grandios gruselig Kents Film ist.

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Was den Babadook so unter die Haut gehen lässt, ist aber nicht das Monster an sich. Es unterscheidet sich wenig von den anderen gruseligen, unbekannten "schwarzen Männern", die im Horrorfilm arme Menschen terrorisieren. Vielmehr sind es die Einfühlsamkeit und die Tiefe, die Kent in die Mutter-Sohn-Beziehung steckt, die diesen Film zum wahren Psychohorror machen. Einerseits ist da der Verlust der Naivität und Geborgenheit des Jungen, andererseits verhandelt Der Babadook auch postnatale Depressionen und die Frage, was mit einer Mutter passiert, die ihr Kind nicht lieben kann. Dabei unterlässt sie aber die üblichen Klischees. Weder ist die Mutter ob ihrer Labilität handlungsunfähig, noch ist sie einfach der Hort allen Übels. Genauso ist das Kind nicht einfach die Ausgeburt aus der Hölle oder der süße arme Sohn. Die Ambivalenzen, die sonst oft durch Horrorkonventionen ausgemerzt werden, bringen hier den Terror so perfekt zur Geltung und lassen diesen sich so tief auf den Zuschauer übertragen.


(Post)-Apokalypse

Patricia Rozemas Into the Forest gibt dem Survival-Film einen ganz neuen Dreh, indem er Männer einfach aus der Geschichte herausnimmt. Zwei Schwestern (Evan Rachel Wood und Ellen Page) versuchen in ihrem Haus im Wald abzuwarten, bis ein weltweiter Stromausfall wieder bereinigt wird. Doch es passiert nicht und die dünne zivilisatorische Schicht der Menschen löst sich schnell ab. Der nackte Überlebenskampf beginnt. Meist geht es in solchen Filmen neben dem eigentlichen Überleben auch um Gruppen und Gruppendynamiken, die oft davon bestimmt werden, dass Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Männern ausgefochten werden müssen. Dazu kommen sexuelle Verbandlungen, die nicht selten in Gewalt enden. All das entfällt hier grundsätzlich. Rozema beobachtet viel lieber die zwei Frauen dabei, wie sie aus ihrer Lage neue Fähigkeiten lernen, alte Bücher zu Rate ziehen und sich erstaunlich gut an ihre Umwelt anpassen können, ohne durch diese zu marodieren oder sie zu dominieren, sondern viel mehr durch eine Art Besinnung auf das Verhältnis von Menschen zu Natur an sich. Das hat man noch nicht gesehen und es ergibt sich hier ein ganz anderer Survival-Film (aus dem man Eines lernen sollte: Kauft euch ein Buch über die örtlichen Pflanzen und Kräuter als apokalyptische Vorbereitung).


Mit A Girl Walks Home Alone At Night, einem Vampir-Noir-Film, hatte Ana Lily Amirpour ihren Durchbruch. Ihr neuer Film The Bad Batch ist stark mit Mad Max: Fury Road verwandt, addiert zum Wüstensurvival aber noch eine Gruppe Kannibalen hinzu, die der Hauptfigur (Suki Waterhouse) erstmal gleich einen Arm und ein Bein amputieren und essen. Doof gelaufen aber nicht das Ende, sondern der Anfang von Amirpours Film, der irgendwo zwischen Absurdem, Kunstfilm, Hipsterismus und Mad Max oszilliert und dabei stets das macht, was man irgendwie nicht erwartet hat. Und, im Gegensatz zum völlig verrückt gewordenen Max, ist die Hauptfigur hier ganz gut bei Sinnen und keineswegs entmenschlicht.


Wer Interesse an weiteren Genrefilmen von Frauen hat, dem empfehle ich Regisseurinnen wir Kathryn Bigelow, Anna Biller, Kei Fujiwara und Karyn Kusama. Habt ihr noch weitere Empfehlungen? Dann her damit in den Kommentaren.

Hier noch die Filme, die in Sitges laufen. Die meisten haben einen Trailer direkt auf den hier verlinkten Seiten:

The Lure  von Agnieszka Smoczynska

The Love Witch von Anna Biller

The Living and the Dead  (Serie) von Alice Troughton

Salvation  von Denise Castro

Psychophonia  von Brianne Davis

Prevenge von Alice Lowe

Me Me Lai Bites Back: Resurrection of the Cannibal Quenn  von Naomi Holwill

La valija de Benavidez  von Laura Casabé

Grave (Raw) von Julia Ducournau (das ist der Film, bei dem diverse Menschen beim Filmfest Toronto in Ohnmacht fielen)

Always Shine  von Sophia Takal

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