Wir schauen Fargo - 2. Staffel, 6. Folge

19.11.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fargo
FX
Fargo
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Auch in der 6. Folge der starken 2. Staffel steigert sich Fargo, was wir drei Belagerungen und mehreren Monstern verdanken.

Bei aller Liebe zu Nick Offerman war ich mir nach seinem Auftritt in der ersten Folge noch unsicher, ob sein palavernder Verschwörungstheoretiker Karl Weathers zu mehr taugt, als amüsanten The Big Lebowski-Referenzen. Insofern versteckte sich in der zweiten Hälfte der Fargo-Episode Rhinoceros (S02E06) eine ungemein positive Überraschung. Zwischen Schießereien, unfreiwilligen Elektroschocktherapien, nächtlichen Waldwanderungen und brüderlichen Züchtigungen personifizierte Offermans Karl die große Stärke von Fargo und besonders der 2. Staffel von Noah Hawleys Serie: Eine dicke Lasur popkultureller und historischer Meta-Referenzen schützt eine teils rohe Menschlichkeit. Wäre es nach sechs Episoden nicht gleichermaßen redundant wie verfrüht, würde ich Rhinoceros als bisher beste Folge der 2. Staffel bezeichnen.

Vergangene Woche besuchte mit Ronald Reagan ein filmischer Westernheld Minnesota, sozusagen der Godot, auf den im schwarz-weißen Schlachtfeld-Prolog der Staffel gewartet wurde. Da ist es nur logisch, dass sich Fargo in Rhinoceros in Rio Bravo verwandelt. Gangster belagern eine Polizeistation und ein aufrechter Gesetzeshüter appelliert an einen stadtbekannten Säufer, um sich ihnen entgegen zu stellen. John Wayne und Dean Martin werden in Fargo durch Patrick Wilson und Nick Offerman ersetzt, doch wie Lou einmal anmerkt: "This kind of thing didn't work in Westerns and it's not gonna work tonight." Wenn Lewis Carroll im Unsinnsgedicht Jabberwocky die Hymnen heroischer Ritter parodiert, dann setzt Fargo dem eine Western- und Gangsterfilm-Version entgegen. In der absurden Welt Noah Hawleys müssen sich die Genreversatzstücke zwangsweise zu unvorhergesehenen Szenarios zusammensetzen.

Tatsächlich sehen wir in der 6. Episode gleich drei Versionen des Western-Motivs und zumindest bei zweien scheint Lou Recht zu behalten. Denn wie Mike Milligans (Bokeem Woodbine) Angriff auf den Kopf seines persönlichen Jabberwocks ausgehen wird, erfahren wir wohl erst in der nächsten Folge Did You Do This? No, You Did It!. Für Dodd (Jeffrey Donovan) gerät die Attacke auf das Haus des "Fleischers von Luverne" unversehens zur verhängnisvollen Konfrontation mit einem Monster der etwas anderen Art.

Wieder einmal beweisen die Blomquists ihren unverhofften Überlebensinstinkt. Diesmal ist Peggy (Kirsten Dunst) dran. Ihr "Museum der Vergangenheit" beherbergt schließlich eine surreale Höhle voller verstaubter Träume, ein Labyrinth, dessen Wände aus Reise- und Beauty-Magazinen besteht. Viel zu spät merkt der Gerhardt-Sohn, dass er zu weit in die Mausefalle vorgedrungen ist. Eine Grill-Session später und das Blomquist-Heim hat sich quasi in Caerbannog  verwandelt. Peggy hat vielleicht keine Ahnung, was genau eine Frau - was sie - abgesehen von einer Gattin und Mutter alles sein kann. Die Vorstellung, es könnte sich da mehr Potenzial verstecken, härtet ihren Selbsterhaltungstrieb wie Stahl. Dodd, Frauenfeind vom Dienst, und (Western-)Klischee übersteigerter Maskulinität auf zwei Beinen, zerschellt ausgerechnet am Willen einer Frau. Wenn also Betsy (Cristin Milioti) meint, der Vietnamkrieg wäre viel schneller vorbei gewesen, wenn Mütter und Frauen ihre Männer an den Ohren aus dem Mekong-Delta gezogen hätten, dann lässt Episoden-Autor Noah Hawley Scherzen Taten folgen. Was wiederum die Erwartungen an das Duell Mike Milligan versus Floyd Gerhardt (Jean Smart) ins unermesslich Blutige treibt.

Klischee und (Serien-)Realität kollidieren schließlich auf meisterhafte Weise in der Polizeistation von Luverne. Zunächst wirkt Bears (Angus Sampson) Belagerung wie eine Dopplung von Dodds. Wieder versucht ein Vermittler zu beruhigen, wieder schleicht Hanzee (Zahn McClarnon) ums Haus, wieder erwartet ein Blomquist im Inneren sein Schicksal. Nur haben wir es diesmal mit dem einzigen anderen Gerhardt außer Floyd zu tun, der das "Familie" im Familiengeschäft zu bewahren gedenkt. Dodd unterscheidet sich im Umgang mit seinen Verwandten schließlich kaum von den Geschäftsgangstern aus Kansas City. Dass nun ausgerechnet Bear dem Anwalt Karl Weathers gegenübersteht, erweist sich als glückliche Fügung des Drehbuchschicksals. Nach den Zwölf Uhr mittags-Referenzen in vergangenen Folgen, spiegelt Fargo das Motiv des Einzelnen, der im Angesicht einer Übermacht in seiner Menschlichkeit über sich hinaus wächst, mit Hawks-Anleihen auf engstem Raum. Meisterhaft schwingt sich Hawleys Buch in Sekundenschnelle von amüsanten popkulturellen Verweisen (Karl verbarrikadiert die Türen natürlich von der falschen Seite) sowie dem urkomischen Wechsel pathetischer Reden und Hallöchens ("Hey, Denise. For the rights of free men!") zur zermürbenden Spannung auf. Und Karl, in Bart und Monolog eigentlich die Karikatur des Kleinstadt-Anwalts und Präsidenten, entdeckt seinen inneren Abraham Lincoln.

Vielleicht verkörpert keine Szene die Fargo-Version des Capra'schen Ideals des kleinen Mannes, der für ur-amerikanische Werte eintritt, so gut, wie der in Mark und Bein zitternde - wankende, aber nicht einknickende - Karl Weathers im Angesicht eines Gewehrlaufes. "Sure know a lot of words, Karl", meint Zuschauer Sonny im Abspann ein wenig belustigt. Während anderswo Kugeln und Elektroschocks durch die Luft blitzen, brechen eben jene Worte vor der Polizeistation von Luverne mit den Western-Klischees. Selbst der aufrechte Säufer Dude griff mit seinem Sheriff-Kumpel Chance in Rio Bravo auf Fäuste, Kugeln und Dynamitstangen zurück, um die Banditen zu besiegen. Während sich also Eugène Ionesco  gemäß die ganze Welt in Monster verwandelt, liegt es beim abwegigsten Helden der Geschichte, dem stadtbekannten Trinker, der in jeder Tat eine Verschwörung entdeckt, für die Menschlichkeit einzutreten. Nick Offerman, der in der Vergangenheit Gefahr lief, auf sein übersteigert maskulinen Shtick aus Parks and Recreation reduziert zu werden, stellt sich als emmywürdige Idealbesetzung für diesen etwas anderen Dude heraus.

Zitat der Folge: "Out of my way, tool of the state!"

Anmerkungen am Rande:

  • Jeffrey Donovans "Shit", nachdem er seinen eigenen Helfer erschossen hat, gehört zum Witzigsten, was die Serie bisher hervorgebracht hat.
  • "Excuse the obvious death penalty snafu."
  • "It's possible I soiled myself."
  • "You're a little touched, aren't you?"
  • "The jackboots are upon us."
  • Kickstarter für eine Hörbuchversion von Fargo, die von Bokeem Woodbine eingesprochen wird.


Alle Recaps zur 2. Staffel von Fargo:

Fargo Recap - Waiting for Dutch (S02E01)
Fargo Recap - Before The Law (S02E02)
Fargo Recap - The Myth of Sisyphus (S02E03)
Fargo Recap - Fear and Trembling (S02E04)
Fargo Recap - The Gift of the Magi (S02E05)


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