Was tun wir mit Filmen, wenn die Regisseure Dreck am Stecken haben?

20.09.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Nate Parker in The Birth of a Nation
20th Century Fox
Nate Parker in The Birth of a Nation
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Was machen wir eigentlich mit Filmen wie Nate Parkers The Birth of a Nation, wenn dessen Macher ordentlich Dreck am Stecken haben? Sollten wir die Polanskis und Gibsons dieser Filmwelt boykottieren oder sollten wir den Künstler von seiner Kunst getrennt betrachten? Und wenn ja, geht das überhaupt?

Im Januar 2016 gab es beim Sundance Filmfestival eine Sensation. Ein Film, mit dem keiner gerechnet hatte von einem Filmemacher, den bis dato keiner kannte, ließ das Publikum explodieren vor Freude. Es gab stehende Ovationen, FilmkritikerInnen überschlugen sich mit Lob und Fox Searchlight kaufte die Rechte an diesem kleinen Indie-Film für unfassbare 17,5 Millionen Dollar. Die Rede ist von Nate Parkers Epos The Birth of a Nation - Aufstand zur Freiheit, der in Deutschland am 19.01.2017 in die Kinos kommt. Der Film erzählt die Geschichte von Nat Turner, einem afroamerikanischen Sklaven in den 1830er Jahren, der einen Sklaven-Aufstand anzettelt.

The Birth of a Nation - Trailer (Deutsch) HD
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Dieser Film hätte eigentlich zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Hollywood sucht nach Diversität (#OscarsSoWhite), die Black Lives Matter-Bewegung nach Resonanz in den Medien. Und noch ganz nebenbei hat Parker hier eine adäquate Antwort auf D.W. Griffiths unfassbar rassistischen Geburt einer Nation geschaffen:


Zusätzlich ist The Birth of a Nation nicht nur aus bildpolitischen Gründen bahnbrechend. Er ist schlicht gut gemacht und stimmungsvoll erzählt.

Der Haken an der Sache

Vor ein paar Wochen, kurz bevor der Film in den USA in die Kinos kommen sollte, zusammen mit einer exzessiven College-Tour, auf der Parker über den Film sprechen sollte, ließ der Regisseur verlauten, dass es da etwas in seiner Vergangenheit gäbe. Es würde eh bald herausgekramt werden. Vor siebzehn Jahren, Parker war zu der Zeit College-Student und Sportler, wurden er und sein Freund Jean McGianni Celestin, der Co-Drehbuchautor des Filmes, beschuldigt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Die Frau war bewusstlos, weil alkoholisiert und Parker und Celestin hatten, trotz keinerlei Einwilligung von ihr, Sex mit ihr. Parker lud sogar einen weiteren Freund ein, mitzumachen, der sich aber weigerte und später auch gegen ihn aussagte. Die Frau zeigte die beiden danach an. Parker wurde freigelassen, da er am Abend davor einvernehmlichen Sex mit der Frau hatte, Celestin wurde verurteilt. Seine Verurteilung wurde aber später aufgrund eines Verfahrensfehlers zurückgenommen. Parker behauptet bis heute weiter, dass es keine Vergewaltigung war. Aus den Akten und Zeugenaussagen (alle online einsehbar) ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Die involvierte Frau nahm sich 2012 das Leben. Parker erfuhr dies erst durch die Presse. Ihre Autopsie nennt als Ursache dafür eine depressive Störung und posttraumatisches Stresssyndrom als Resultat eines sexuellen Übergriffes und Drogenmissbrauch.

Schöpfer und Werk

Viele hatten sich sehr auf diesen Film gefreut. Ich inklusive. Und Parkers Vergangenheit bringt erneut eine sehr wichtige Frage auf:

Was tut man mit Filmen von Filmemachern, die entweder mit hoher Wahrscheinlichkeit oder definitiv strafrechtlich verfolgungswürdige Dinge getan haben? Die Frage betrifft nicht nur Parker. Dies ist eine Frage, die man sich immer wieder stellen muss. Was ist mit Leni Riefenstahl, die mit ihren Olympia-Filmen eine Ästhetik für Sport geschaffen hat, die noch heute das Non plus ultra ist, sie aber gleichsam - ob jetzt aus Opportunismus oder Überzeugung - einem mörderischen Regime zur Verfügung gestellt hat und dessen Ideologien in ihren Bildern mitgetragen hat? Was ist mit Roman Polanskis Werken, nachdem er seit 1977 auf der Flucht ist, um seine Strafe für die Vergewaltigung eines damals 13-jährigen Mädchens  nicht absitzen zu müssen? Was ist mit Bill Cosbys Fernsehauftritten, nachdem ihn Dutzende Frauen beschuldigt haben , sie mit Drogen ohnmächtig gemacht und vergewaltigt zu haben. Oder Mel Gibsons Filmen, nachdem er nicht nur Frauen beschimpft  und der häuslichen Gewalt beschuldigt wurde, sondern auch schon mehrmals öffentlich rassistische und antisemitische  Äußerungen tätigte?

Die meisten antworten auf die Frage von Kunst und Künstler damit, dass man die Künstler von ihre Kunst trennen muss. Ich glaube nicht, dass das geht, ohne sich selbst zu belügen und ich denke, man sollte es schlicht nicht tun. Dass beispielsweise Xavier Dolan homosexuell ist, hat eineindeutigen Einfluss auf seine Filme. Dass Beyoncé Afroamerikanerin ist, hat eineindeutigen Einfluss auf ihr neues Album Lemonade. Wenn die Intertextualitäten zwischen Künstler und Kunstwerk positiv oder neutral sind, ruft keiner nach Trennung. Dies geschieht nur, wenn es Kontroversen gibt.

Wenn ich weiß, was der Künstler oder die Künstlerin getan hat und dies nicht mit meiner Vorstellung von ethischem Verhalten übereinstimmt (an dieser Stelle würde ich mich eher gern auf Gesetze beziehen, aber die Durchsetzung derselbigen ist oft so fehlerhaft und lasch, dass das leider nicht greift), habe ich für mich die Verantwortung, zu reagieren. Ich kann und will nicht einfach ignorieren, was Parker und andere Künstler und Künstlerinnen getan haben. Es gehört zu seinem Werk dazu und für mich ist kein Film wichtiger als die Menschen, die damit in Verbindung stehen. Und Filme stehen für mich ebenfalls in einer Verbindung zum Künstler. Ja, sie sprechen auch für sich allein aber eben nicht nur.

Sehr offensichtlich ist diese von mir angesprochene Intertextualität, wenn wir uns Die Bill Cosby Show mit dem neuen Wissen um Bill Cosby anschauen, und Eine himmlische Familie mit Stephen Collins, der hier elf Jahre lang den liebevollen Pastor und Familienvater spielt, jedoch wegen sexueller Belästigung von Kindern überführt wurde. Hier hat die Realität dieser zwei Männer ihre Rollen als liebevolle Väter und damit auch die gesamte Familienkonstellation, die ja stets auf starken moralischen Ideen verankert ist, dermaßen überschrieben, dass wir uns diese Serien nicht mehr anschauen können, ohne deren Inhalte nicht zwangsweise völlig neu zu interpretieren.


Was tun wir also mit Nate Parkers The Birth of a Nation - Aufstand zur Freiheit? Den Film boykottieren, um so Solidarität mit Vergewaltigungsopfern zu zeigen und Parker Geld und Aufmerksamkeit möglichst nicht zukommen zu lassen? Das ist eine Option. Gabrielle Union, die in Parkers Film seine Ehefrau spielt, die von weißen Plantagenbesitzern vergewaltigt wird, wählt einen anderen Weg. In einem Essay  berichtet sie darüber, dass auch sie vor 20 Jahren Opfer einer Vergewaltigung wurde und genau deshalb die Rolle angenommen hatte. Die Vorwürfe gegen ihren Regisseur und Co-Schauspieler nimmt sie sehr ernst, sieht aber den Film und die Kontroverse darum als eine sehr gute Möglichkeit, über Sexualität und Einstimmung zu reden. Dass sexuelle Gewalt sich im Film in ihrer Figur widerspiegelt, während der Regisseur selbst der Vergewaltigung beschuldigt wurde, ist in der Tat ein geradezu plakativer Moment, der sich hervorragend eignet, um über das Thema "Gewalt gegen Frauen" zu reden.

Doch nicht alle Filme und ihre Filmemacher und Filmemacherinnen haben eine solche Doppeldeutigkeit und sind damit geeignet, ein Licht auf diese Themen zu werfen. Was macht man mit den anderen? Polanski boykottieren? Gibsons neuen Jesus-im-zweiten-Weltkrieg-Film Hacksaw Ridge nicht schauen? Es bleibt letztendlich eine persönliche und ethische Frage (und die Frage, ob einen diese Themen überhaupt interessieren). Aber jeder sollte sich diese Frage einmal stellen.

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