Warum es momentan so viele Vergewaltigungen in Filmen & Serien gibt

19.12.2016 - 12:05 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Jessica Jones
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Vergewaltigungsszenen in Filmen und Serien sind so en vogue wie noch nie. Das hat einerseits mit den Industriestrukturen zu tun, andererseits damit, dass es einfach ein hervorragend einfacher Drehbuch-Trick für mehr Drama ist. Also alles nur Exploitation? Oder gibt es auch gute Gründe und gute Arten, Vergewaltigungen darzustellen?

Als ich letzte Woche über Maria Schneider und Der letzte Tango in Paris schrieb (hier nachzulesen), fiel mir ein weiteres Thema in die Hände: Vergewaltigungen in Filmen und Serien. Denn diese werden in den letzten Jahren immer mehr und immer grafischer eingesetzt - ein Trend, der nicht nur einigen Journalisten, sondern auch Industrie-Insidern inzwischen aufgefallen ist.

Jeremy Slater, Produzent (derzeit von The Exorcist,) beschrieb dem Branchenblatt Variety , dass er es inzwischen zu seiner Regel gemacht habe, Spec Scripts (unaufgefordert eingereichte Drehbücher), die Vergewaltigungsszenen enthalten, die keinerlei narrativen Wert haben, sondern nur dazu dienen, zu schocken, sofort wegzuschmeißen. Seiner Einschätzung nach sind das 30 bis 40 von 200 Skripten (und das sind nur die, die er sofort wegschmeißt). Slater sagte dazu in Variety:

Sie [narrativ unmotivierte Vergewaltigungsszenen] sind eine Plage in der Industrie geworden.

Achtung, Spoiler für Game of Thrones: Vergewaltigungen sind ein dankbares Instrument für Drehbuchautoren. Meist dienen sie als motivierendes Element zur Entwicklung einer männlichen Figur. Ein Beispiel? Wie wäre es mit Sansas (Sophie Turner) Vergewaltigung in Game of Thrones, eine Szene, in der dieser Figur horrendes Leid angetan wird. Aber es geht dabei gar nicht um diese Frau, geschweige denn um die Auswirkungen auf sie. Vielmehr konzentriert sich die Erzählung (und die Kamera) auf den beistehenden Theon/Reek (Alfie Allen), der gezwungen wird, zuzuschauen. Kurze Zeit später sehen wir, dass diese "Motivation" Früchte trägt und Theon/Reek sich erstmals gegen seinen Herren auflehnt. Spoiler Ende.

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Für weibliche Charaktere dient sexuelle Gewalt und Vergewaltigung (auch in der Kindheit) als "hervorragender" erzählerischer Shortcut für eine schlimme Backstory und natürlich Drama. Da spart man sich das anstrengende psychologische Ausarbeiten der Figur. Jeder weiß, dass Vergewaltigung irgendwie schlimm ist, damit muss man dann auch gar nicht viel erklären, die Frau ist B-Ware, sprich psychisch, physisch beschädigt und ist so, wie sie ist, weil: Vergewaltigung.

Daraus entstehen oft weibliche Charaktere, die verrückt sind oder eiskalt und gefühllos. Eine der absurdesten Charaktere dieser Art ist Gretchen (Jodi Lyn O'Keefe) aus Prison Break, die einmal eine andere Frau foltert und ihr dabei von ihrer Vergewaltigung in Gefangenschaft berichtet, um ihr "glaubhaft" zu vermitteln, dass sie lieber kooperieren sollte.

Ab und an nimmt dieser Stereotyp auch die Wendung an, dass erst die Vergewaltigung der Frau eine Art Ermächtigungsgeschichte zuteil werden lässt, so wie Beatrix Kiddo (Uma Thurman) in Kill Bill: Volume 1 wahrlich und metaphorisch zum Leben erwacht und dann zur Kriegerin und Rächerin mutiert.


Meine erste "Ermächtigungsvergewaltigung" sah ich, als ich zehn Jahre alt war, in Red Sonja. Ich werde sie nie vergessen, wie nonchalant sie eingestreut wurde und wie schnell es dann weiterging.

Außerdem ist nicht zu vergessen, dass eine Kombination aus Sex und Gewalt zu den beliebtesten gehört. Hier wird quasi alles geboten, was die Schaulust antriggert. Ein weiterer Grund, wieso Vergewaltigungen so en vogue sind, ist der amerikanische Markt an sich. Immer mehr Serien werden von Anbietern produziert, die durch Streaming und andere Plattformen das Broadcasting-System und seine Restriktionen in Sachen Sex und Gewalt umgehen können. Da der Druck groß ist und die Konkurrenz stetig drängt, muss man irgendwie punkten. Wer Publikum will, muss also was bieten, und so wird sexuelle Gewalt zu einem Verkaufsargument und damit eben auch zu einem klassischen Mittel der Exploitation.

Das heißt allerdings nicht, dass Vergewaltigung immer nur dafür benutzt wird. Es heißt auch nicht, dass man diese am besten gar nicht zeigen sollte. Das wäre absurd und würde einen Teil der Realität ausschließen, der eben besprochen werden muss: Jede dritte Frau  hat in ihrem Leben physische und/oder sexuelle Gewalt durch einen Beziehungspartner oder sexuelle Gewalt durch einen Nicht-Partner erfahren. Und nicht zu vergessen, es gibt natürlich ebenso Männer, die Opfer sexueller Gewalt werden. Hier möchte ich dringend auf den sehr klugen Die Hände meiner Mutter von Florian Eichinger verweisen, der jetzt gerade im Kino läuft.

Die Hände meiner Mutter - Trailer (Deutsch) HD
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Der Film scheut nicht vor der Darstellung der sexuellen Gewalt zurück. Im Gegenteil, zwei Mal zeigt er ganz deutlich, was passiert ist. Allerdings tut er dies wohlüberlegt und lässt die Rolle des Kindes von dem Schauspieler spielen, der den Erwachsenen mimt. Das mag am Anfang verstörend wirken, ist aber eine durchaus kluge und empathische Strategie. Selbst mit einem erwachsenen Mann sind die Szenen hochgradig verstörend. Doch die Wahl des Erwachsenen zeigt auch ganz einfach, ohne je große Worte darüber zu verlieren, wie nah das missbrauchte Kind dem erwachsenen Mann hier noch ist, der gerade erst anfängt, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. Dabei schafft der Film einen fast unmöglichen Spagat: Er zeigt konkret, was passiert, ohne dabei jemals zu Exploitation oder Betroffenheitskino zu werden.

Die grundsätzliche Frage ist also nicht, ob man Vergewaltigungen im Drehbuch einbaut und verfilmt, sondern wie. Genau an dieser Stelle haben sich schon viele Dinge getan. Einer der ersten Filme, der Vergewaltigung aus Sicht der Frau zeigt und sich mit ihren Belangen auseinandersetzt sowie, und das macht ihn so schwer zu sehen, die Vergewaltigung an sich nicht beschönigt und bereinigt, sondern sie als den Horror zeigt, der er ist, ist Angeklagt. Danach setzt sich der Film mit Jodie Foster in der Hauptrolle (sie gewann dafür einen Oscar) mit den persönlichen, gesellschaftlichen und strafrechtlichen Konsequenzen auseinander.


Dieser Film setzte quasi einen Präzedenzfall, der vor allem im TV in letzter Zeit immer wieder aufgenommen und erweitert wird. Denn die Folgen solcher Gewalt gehören ebenfalls zum Thema, auch wenn sie oft abgetan oder ignoriert werden.

Es gibt einige Beispiele für relevante Vergewaltigungsszenen, die mehr als nur der Schaulust oder einer einfachen Charakterisierung dienen, sondern sich mit dem Thema dezidiert auseinandersetzen. Von psychischen Folgen, Bewältigungsmechanismen, Reaktionen von außen wie Victim Blaming oder auch der Verzweiflung Angehöriger und deren Hilflosigkeit gibt es viele Ebenen, die inzwischen besprochen werden.

Vor allem in Serien wird dieses Thema zunehmend komplexer und vorsichtiger behandelt. Hervorragende Beispiele finden sich z. B. in Mad Men, Scandal, Grey's Anatomy - Die jungen Ärzte, One Mississippi, Queen Sugar, American Crime und Orange Is the New Black wieder. Paradebeispiel ist für mich auf jeden Fall die 1. Staffel von Marvel's Jessica Jones, die en detail die psychologische Auseinandersetzung mit den Folgen von sexualisierter Gewalt erörtert, welche stets aus der Sicht der Hauptfigur gezeigt werden. Noch dazu bekommt Jessica Jones (Krysten Ritter) eine durchaus komplexe und vielschichtige Persönlichkeit, die zwar eindeutig von ihren Erfahrungen gekennzeichnet ist, diese aber nicht zum Non plus ultra ihres Charakters stilisiert. Noch dazu ist die gesamte 1. Staffel eine der komplexesten und besten Erörterungen über Consent, also das Konzept bedingungsloser Einwilligung, das für viele immer noch an vielen Stellen nicht klar ist.

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Wenn ihr in Not seid, die Hotline des Weißen Rings ist: 01803 - 34 34 34. Für Männer, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind, gibt es einen eigenen Verein, der euch weiterhilft. Für Frauen ebenfalls.

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