Tschiller: Off Duty – Der Tatort muss sich ziemlich blöd vorkommen

30.01.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Für Nick Tschiller gehts ins Kino und nach Istanbul.Warner Bros./ NDR
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Live-Vorführungen des sonntäglichen Tatort füllen Kinosäle. Und dafür muss nicht einmal Nick Tschiller off Duty über die Leinwand springen. Dem Tatort sind sonderbare Dinge widerfahren in den letzten Jahren. Über Til Schweiger, Tukur, Twitter und großartige TV-Experimente.

Sonntagabend 20:10 Uhr. Auf der mittelgroßen Leinwand in Kino 1 laufen keine Trailer, stattdessen die letzte Tagesschau-MAZ mit einer gutgelaunten Berichterstattung vom Handball-Erfolg der deutschen Nationalmannschaft. Danach bricht das berühmte Tatort-Thema herrlich angestaubt über den Kinosaal herein. Im Foyer hängen derweil schon die Plakate zu Tschiller: Off Duty. Noch während des Vorspanns kredenzen Kellner den Gästen neben mir Weißwein. Da auch weiterhin Großgruppen in den Saal tröpfeln, stört sich niemand groß daran. Um 20:20 ist der Saal proppenvoll, denn der Eintritt kostet nichts, die Vorführung dem Kino selbst auch wenig. Aber der Wein, der kostet, und hier liegt auch der geschäftstüchtige Hund begraben.

Der Tatort als Live-Event

Tatort, was ist denn bloß mit dir geschehen? Der Kapitalismus vereinnahmt alles, heißt es. Das gleiche sagt man, habe ich gehört, in der Filmkunst auch über Til Schweiger. Dabei ist das kein Schweiger-Tatort, der letzten Sonntag in einem Luxuskino lief, und schon gar nicht dessen teilweise gebührenfinanzierter  Kino-Ableger Off Duty. Im Gegenteil, einer der biederen Vertreter des aktuellen Tatort-Kanons war an der Reihe: Der Saarbrücker Tatort mit Devid Striesow. Im vergangenen Herbst hatte das hiesige Luxuskino beschlossen, jeden Sonntag live, als Event, den wöchentlichen Tatort zu zeigen. Ich finde das bizarr. Zieht sich doch der ruheliebende Kinogänger mittlerweile immer öfter in sein mit Dolby Surround und Drölfzig-Zoll Flachbildschirm ausgestattetes Wohnzimmer zurück, wo er von Popcorn- und Menschenlärm unbehelligt bleibt. Neben dem üblichen Popcorngeraschel brandet beim Live-Tatort im Kino so ab Minute 40 erregtes Falllösgemurmel auf, was Popcornwispern übrigens nicht unähnlich klingt und auch deshalb vernehmbar ist, weil der Tatort Totenstille heißt und im Gehörlosen-Milieu spielt, weshalb viele Dialoge in Gebärdensprache geführt werden.

Die Live-Vorführung nutzten Kino-Besucher zum Auskatern, wie mir die Clique eine Reihe weiter vorn auf höfliche Nachfrage hin verriet. Auskatern? Ach so, die lässige, den wochenendlichen Hedonismus kokett aufs Korn nehmende Antwort des zum buchstäblichen erbrechen feiernden Großstädters. Ich grinse breit, als wüsste ich genau, was er meint. Aber überhaupt, Tatort im Kino. Das fühlt sich doch schon vom Gedanken her falsch an, ist der Tatort doch ein Stück flauschiger, unverrückbarer, deutscher Gemütlichkeitskultur – Monopoly spielt man schließlich auch nicht im Park. Sonntags. Tagesschau. Tatort. Schlafen. Vielleicht noch Anne Will vorher.

Aber dem Tatort sind eben sonderbare Dinge widerfahren in den letzten Jahren. Er muss sich mittlerweile ziemlich blöd vorkommen. Til Schweiger dreht mit Tschiller: Off Duty unter dem Branding ein handfestes Actionflick, einen Kinofilm mit allem Schnick und Schnack, Action, Explosionen und Exotik – kurz, mit allem, was ein normaler Heimat-Tatort nicht hat. Dort fressen die Kommissare eben Currywurst , wie es jener Schweiger kürzlich so bildhaft in seine marode PC-Tastatur tippte. Sich, Nick Tschiller und Chris Alvart sowieso findet er hingegen ziemlich gut . Total verrückt: In eine der Vorgänger-Episoden lud er den Konsens-Star Helene Fischer ein, der selbst (oder gerade) bei Fußballern Anklang findet .

Der Tatort als Twitter-Magnet

Im Schwarzwald wird demnächst auch Harald Schmidt ein mittelhohes Polizeirevier-Tier spielen. Das wird dann ein Fest für die blasierte Twitter-Meute, die Woche für Woche den Tatort auf stets vorhandene Schlechtigkeit prüft und mit hintersinnigen Kommentaren seziert, selber aber auch nichts besseres zu tun hat als genau das, was von meiner Seite her auch echt okay ist. Denn was da innerhalb einer Minute an Pointen rausgehauen wird, ist aller Ehren wert. Deshalb machen sich selbst große Online-Medien auch gar nicht mehr die Mühe, Tatort-Kritiken zu verfassen, stattdessen halt sogenannte Twittriks . Sonntagabends entsteht da aber tatsächlich ein fühlbares, obschon ironisch unterwandertes Zusammensein der deutschen Internetjugend vor den erzählerisch und filmsprachlich meist rückständigen TV-Krimis. Ein hübsches Viralitätsnest hat sich um den Tatort geflochten, dem ist der Tatort kaum noch Film, mehr gesellschaftliches Event und auffüllbares Gefäß für Spott und Kommentare wie die Randy-Lorde  aus South Park.

Die deutschen Schauspiel-Stars, die dem Tatort mehr und mehr in deutsche Großstädte oder Provinzen folgen, stört das natürlich weniger. Im Fernsehen die gutbezahlte, viel gesehene Kommissaren-Rolle, im Kino der tiefgründige Arthouse-Film, den kaum 50.000 Menschen sehen. Manchmal gibt es sogar richtig gutes Kino beim Tatort. Im Schmerz geboren war vielleicht das Beste, was das deutsche Genre-Kino in den letzten fünf Jahren zustande gebracht hat. Was die deutsche Serie nicht schafft, das klappt zumindest im kleinen Rahmen im Tatort und bei Fernsehfilmen im allgemeinen: anspruchsvolles, kreatives, experimentelles Fernsehen, das den Zuschauer fordert und vielleicht auch überfordert , wie der letzte Tukur-Tatort zeigte, der unverständliche Kritik einstecken musste.

Die (gekippte) Terroristen-Illusion

Bei den groben Schweiger-Tatorten sticht immer noch der rotzige-charmante Fahri Yardim heraus - für mich der Chris Pratt des deutschsprachigen Film-Raums. Neben Tschiller-Sidekick Yalcin Gümer hatte der Tatort: Fegefeuer noch eine weitere gute Idee, die aber der Terroristen-Sensibilität Ende November geopfert wurde. Ursprünglich habe der Tatort: Fegefeuer direkt, ohne Schnitt und Vorspann, an die Tagesschau anschließen sollen. Die Zuschauer sollten den Eindruck gewinnen, Terroristen würden tatsächlich während der laufenden Sendung das Studio stürmen. Weil das für die nach Paris noch vom internationalen Terrorismus gebeutelten Zuschauer jedoch zu stressig gewesen wäre, moderierte die echte Tagesschau Jan Hofer, im Film aber stand Judith Rakers am Pult, und dahin war die Illusion . Jedoch wurde hier immerhin mal was probiert. Soll der Tatort doch zum Schweiger-Trampelpfad und zur Spielwiese für Filmemacher und Gesellschaft werden. Es gibt wahrlich Schlimmeres.

Schaut ihr den Tatort überhaupt noch? Und wenn ja, wie und wo?

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