Tribes of Europa leidet an der chronischen Netflix-Krankheit - genau wie The Witcher

06.03.2021 - 10:00 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Tribes of Europa hat viel mit The Witcher gemeinsamNetflix
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Netflix' Sci-Fi-Serie Tribes of Europa ist ein Binge-Spaß, der so viel mehr sein könnte. Die Serie krankt an ähnlichen Problemen wie The Witcher und andere Fantasy-Epen des Streaming-Dienstes.

Tribes of Europa ist ein aufwendiges Science-Fiction-Spektakel, das überraschend süchtig macht. Die deutsche Großproduktion über ein postapokalyptisches Europa im Jahr 2074 krankt aber auch an Problemen, die mittlerweile typisch für Serien-Epen aus dem Hause Netflix sind, allen voran die Henry Cavill-Serie The Witcher.

Die Sci-Fi-Serie Tribes of Europa hat den Anspruch ganz großer Fantasy-Epen

Der Anspruch von Tribes of Europa ist immens und lobenswert für eine deutsche Genre-Produktion. Die düstere Zukunftsvision entwirft immerhin ein alternatives Europa, das von Stämmen, nicht Ländern beherrscht wird.

Im Podcast zu Tribes of Europa bei Netflix diskutieren wir über genau dieses Thema:

Mit den Crows, der Crimson Republic, den Femen und Origines erschufen Serien-Creator Philip Koch und sein Team eine neue Welt, die auf den Ruinen der alten baut.

Die Fachbegriffe in der 1. Staffel (Wolk, Boj, Bozie usw.) erinnern an den Wortschatz der großen Fantasy-Epen, allen voran J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe, aber auch J.K. Rowlings Harry Potter-Reihe oder Ursula K. LeGuins Erdsee-Zyklus.

Das Worldbuilding hinkt dem großen Ambitionen der Netflix-Serie hinterher

Trotzdem bleibt die eigentliche Welt von Tribes of Europa wenig mehr als eine Skizze. Das sehen wir natürlich erst, wenn wir die erschlagende Masse an Namen und Fachbegriffen beiseite schieben.

Tribes of Europa

Es gibt den Blick frei auf Orte die zumeist so wirken, als wären sie nur dann belebt, wenn gerade Hauptfiguren herein stolpern. Statt glaubhafter gelebter Räume bieten uns die sechs Folgen der 1. Staffel eine Aneinanderreihung beeindruckender Kulissen, deren Bewohner erstarren, sobald die Kamera weg schwenkt.

Die Welt von Tribes ist groß wie Game of Thrones, aber gleichzeitig winzig

Diese Probleme im Worldbuilding lassen sich auf ganz praktischer Ebene beschreiben. Sie beginnen bei den schwer nachvollziehbaren Entfernungen. Die Kilometer-Angaben deuten einen vergleichsweise kleinen Handlungsraum von Kiano (Emilio Sakraya), Liv (Henriette Confurius) und Elja (David Ali Rashed) an.

Ausgehend von Design, Inszenierung und Landschaften allerdings findet Tribes of Europa auf drei verschiedenen Kontinenten statt. Die Welt der Serie ist gleichzeitig so groß wie Westeros und so klein wie die des Berliner Tatorts.

Die Probleme führen aber auch zu ganz basalen Ungereimtheiten im Alltag, darunter Essen und Trinken, gängige Zahlungsmittel, Religionen und ähnliche Aspekte. Deren Darstellung scheint in Tribes of Europa den Bedingungen bestimmter Szenen zu folgen, nicht der inneren Logik einer Welt oder eines Stammes. Sofern sich überhaupt dafür interessiert wird.

Tribes of Europa - S01 Trailer (Deutsch) HD
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Anspruch und Umsetzung halten sich in der deutschen Science-Fiction-Serie nicht die Waage und das Problem teilt sie mit anderen Netflix-Epen, allen voran The Witcher.

Tribes of Europa leidet an klassischen Netflix-Problemen - genau wie The Witcher

Die Fantasy-Serie nach den Romanen von Andrzej Sapkowski besitzt in der 1. Staffel die Aura eines Schnellschusses. Als wären die Macher*innen geradewegs vom Pitch mit Marke (The Witcher!) und Hauptdarsteller Henry Cavill (Superman!) zum Dreh geschlittert, sieht The Witcher manchmal aus wie eine Blockbuster-Serie und manchmal wie ein Überrest aus der Ramsch-DVD-Kiste.

The Witcher krankt trotz seines Unterhaltungspotenzials am bizarren Umgang mit den verschiedenen Zeitebenen, den problematischen Effekten, billig aussehenden Rüstungen und einer mangelnden Übersicht der Welt.

Die chronische Netflix-Krankheit der Serien-Epen

Die Fantasy-Serie mit Henry Cavill und Tribes of Europa, aber auch Fate: The Winx Saga, Cursed oder Barbaren haben dieselbe chronische Netflix-Krankheit. Den epischen Konzepten, Vorlagen oder Genres steht eine zum Teil fadenscheinige Umsetzung gegenüber.

Die Fließbandproduktion von Netflix verhindert mittlerweile das nächste Stranger Things oder Dark. Serien also, die sich die Zeit nehmen, ihre Welt und Atmosphäre derart zu verdichten, das den Zuschauenden kein Weg mehr nach draußen bleibt.

Tribes of Europa lässt sich, obwohl der Serie eine beeindruckende Vision zugrunde liegt, am besten mit den Worten von Bilbo Beutlin beschreiben: "Ich komme mir ganz dünn vor, wie Butter auf zu viel Brot verstrichen."

Was haltet ihr von Tribes of Europa?

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