Too Old To Die Young: So eine Serie ist bei Netflix undenkbar

18.05.2019 - 17:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
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In Cannes feierte Nicolas Winding Refns Amazon-Serie Too Old To Die Young Premiere, die zeigt, wie viel im Streaming-Bereich machbar ist - wenn nicht Netflix draufsteht.

Drive als Serie. So ähnlich lässt sich Too Old To Die Young beschreiben. Die neue Amazon-Serie von Neon-Jünger Nicolas Winding Refn entführt in die Nacht von Los Angeles, wo wortkarge Kerle Vergewaltiger und Mörder jagen.

Zwei Folgen wurden bei den Filmfestpielen von Cannes gezeigt. Die Serie bietet, was Fans des Neon Demon-Regisseurs erwarten: Eine Inszenierung zwischen Stilwille und Selbstverliebtheit, plötzliche Gewaltausbrüche, Szenarios der Erniedrigung und einen gemächlichen Umgang mit der Zeit.

Bei aller Vorhersehbarkeit in Refns Werken seit Drive, erweist sich Too Old To Die Young trotzdem als frische Brise im Streaming-Geschäft. So eine Serie hätte es bei Amazons Konkurrenz Netflix viel schwerer. Wenn sie denn überhaupt entstehen könnte.

Hätte Too Old To Die Young bei Netflix eine Chance?

In der 5. Folge von Too Old To Die Young laufen zwei Figuren durch eine dieser Westernlandschaften, die so unwirtlich aussehen, dass man sich wundert, warum die europäischen Siedler nicht schnurstracks umgekehrt sind.

Sie laufen vom rechten Bildrand eines beeindruckenden Panoramas nach links, winzig klein selbst auf einer Kinoleinwand. Wir folgen dieser Bewegung, ein Schnitt tritt nicht dazwischen. Wir werden allein gelassen mit langsamen Bildern, die uns nichts "erzählen", außer: Hier laufen zwei, sie haben ein Ziel. Achja, und die Sonne scheint. Alles andere bleibt unserem Interpretationswillen überlassen.

Too Old To Die Young

Das ist noch eine der aktiveren Szenen in den beiden Too Old To Die Young-Folgen. Nicolas Winding Refn zählt zwar nicht zum Slow Cinema. Er walzt die Szenen jedoch so lange aus, bis sie inhaltlich hauchdünn erscheinen. Er nimmt sich zusammen mit Ko-Schöpfer Ed Brubaker alle Zeit der Welt, obwohl das Seriengeschäft traditionell gebietet, diese "sinnvoll" zu füllen. Das trifft auch auf die meisten Netflix-Original-Serien zu.

Drei Dinge, die ihr über Amazons Too Old To Die Young wissen müsst:

  • Staffel 1 von Too Old To Die Young - North of Hollywood West of Hell besteht aus 10 Folgen. In Cannes wurden Folge 4 und 5 gezeigt, die zusammen 138 Minuten lang sind.
  • Nicolas Winding Refn führt bei allen Folgen Regie.
  • Wenn ihr glaubt, Ryan Gosling war in Only God Forgives ausdruckslos, dann wird euch Miles Teller eines besseren belehren.

Netflix-Produktionen mögen träge wie die Marvel-Serien oder knallig wie Black Mirror erzählt werden, unter ihrer Oberfläche brodelt jedoch die Angst vor der Absprungrate, welche auch Network-Serien antreibt.

Ein Roma in Serie hat Netflix noch nicht produziert und der Vorrang der Bingebarkeit und stimmiger Content-Umgebungen könnte dies auf Dauer verhindern. Amazons Seriengeschäft funktioniert dagegen noch nicht "rund" genug, um die Einheitlichkeit von Netflix zu gewährleisten.

Too Old To Die Young

Bei dem Versandriesen wird ein Kessel Buntes aufgekocht, gerne mit großen Namen wie Woody Allen oder eben Nicolas Winding Refn. Da kann eine Serie wie The Marvelous Mrs. Maisel neben Too Old To Die Young im Slider erscheinen. Noch.

In Too Old To Die Young trifft Amazons Bosch auf NWRs Drive

Wenn Too Old To Die Young sich mit einer Amazon-Serie vergleichen lässt, dann wohl Bosch. Selbst wenn man kein Interesse am Plot des viel zu selten gelobten Krimis mit Titus Welliver aufbringt, bezirzt die Serie mit ihren Tauchfahrten in die architektonische Nacht von Los Angeles.

Das teilt sie mit Refns Serie, in der die Lichter von L.A. aussehen wie das aufkratzende bunte Blinken eines Spielautomaten.

Miles Teller ist in Too Old To Die Young ebenfalls ein nachtaktiver Cop, allerdings einer, dem das Dasein als Gesetzeshüter nicht mehr reicht. In Folge 4 wurde er von John Hawkes Ex-FBI-Agenten bereits in die Selbstjustiz eingeführt.

Cops, die ihre Kinder missbrauchen, werden von den beiden Racheengeln auf einsamen Parkplätzen nach Sonnenuntergang erschossen. Als Tellers wortkarger Kriegsveteran von einem Porno-Ring erfährt, der echte Vergewaltigungen filmt, macht er sich auf nach Albuquerque, ins dunkle Land von Breaking Bad.

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Too Old To Die Young wirkt im Prinzip wie die Hard-Boiled-Version von Lynne Ramsays ziemlich hart gekochtem A Beautiful Day. Statt des traumatisierten Joaquin Phoenix streifen Hawkes und Teller durch den vergifteten männlichen Bauch Amerikas. Angetrieben werden die beiden von apokalyptischen Radio-Predigten über den Untergang der Gesellschaft.

Die sparsamen Dialoge und prophetischen Monologe dürfte die Serie auch Ko-Autor Ed Brubaker verdanken, der Refns ästhetischen Nachtwanderungen entgegenkommt. Die Verbrecher-"Typen" werden klar skizziert, ähnlich wie schon in Drive.

Nur fehlt Ryan Goslings weiches Gesicht oder die süßliche Hoffnungsgeschichte mit Carey Mulligan, jedenfalls in den beiden gezeigten Folgen.

Bei Ryan Goslings stoischen Darbietungen in Drive und Only God Forgives stand immer die Frage im Raum, ob überhaupt etwas hinter seinen ausdruckslosen Augen vor sich geht. Ein Blick hinter Tellers Augen würde wenig mehr zeigen, als wir sowieso sehen: Schüsse, Stiche, gerammte Autos und Hinrichtungen. Neben Miles Teller wirkt Ryan Gosling wie Nic Cage.

Too Old To Die Young

Tellers schmale Züge passen ins Noir-Genre. In den 50ern hätte er den brutalen Handlanger eines Bosses gespielt. Für Too Old To Die Young wird er nun zum mörderischen Genre-Mannequin, das Nicolas Winding Refn in wunderschönen Bildern maskuliner Übersteigerung platziert.

Too Old To Die Young - auch eine Reaktion auf Trumps Wahl

Wie so oft bei Nicolas Winding Refn triumphieren die stilistischen Ideen über alles andere, was im Falle seiner Serie zu einem erfrischenden Effekt führt, der seinen Filmen schon lange fehlt.

Refn selbst bezeichnete Too Old To Die Young  als Reaktion auf die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Bisweilen bäumt sich die Serie deswegen zur Satire auf, etwa wenn Tellers Kollegen im Sheriff’s Office zur morgendlichen Motivation Arme recken und "Fascism" rufen wie andere "U.S.A. U.S.A." beim Football-Spiel.

Subtilität war noch nie Refns Sache und die Dualität von destruktiven Männern und unschuldigen Opfern, die er hier sehr bewusst durchspielt, wirkt schon nach Sekunden ideenlos.

Letztlich dient seine Darstellung der Männer, die Frauen und Homosexuelle erniedrigen, dazu, diese Erniedrigung en detail zu fantasieren, sie als schmalen Thrill zu gestalten.

Da zeigt sich der dänische Regisseur von seiner langweiligsten Seite in einer ansonsten sehenswerten Serie, die Abwechslung vom Netflix-Einheitsbrei bietet. Aber irgendwas muss ja passieren, auch in einer Serie von Nicolas Winding Refn.

Freut ihr euch auf Too Old to Die Young von Nicolas Winding Refn?

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