The Wall bei RTL – Die nervigste Spielshow aller Zeiten

08.07.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
The Wall und Moderator Frank Buschmann
RTL / Stefan Gregorowius
The Wall und Moderator Frank Buschmann
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Über 3 Millionen Euro können Kandidaten bei The Wall gewinnen. Die neue Spielshow des Senders RTL ist hysterisch und nervtötend, vor allem aber wirkt sie bis ins Detail gestellt. Samstagabendunterhaltung war nie schlimmer.

Dirk und Buschi liegen sich in den Armen. Der eine ist kurz davor, Hunderttausende Euro zu gewinnen, der andere moderiert und fiebert mit. Es wird gekreischt, gesprungen und getanzt. Sich fest aneinander gedrückt, weil die Spannung kaum auszuhalten ist. "Was macht ihr mit uns hier?", fragt Buschi, der eigentlich Frank Buschmann heißt. Er sei "fix und foxy", schon ganz "bekloppt, ehrlich". Alle roten Bälle, die sehr brenzligen nämlich, landen beim Kandidaten Dirk in Spalten, auf denen geringe Geldwerte gedruckt sind. Für ihn heißt das mehr Gewinn, für Buschi mehr Beklopptsein. Und The Wall die "amerikanischste Spielshow im Fernsehen" (Vulture ), feiert eine TV-Premiere, die nicht spektakulärer hätte enden können. Mit dem Primetime-Format möchte sich RTL spielmauergroß gegen das Sommerloch abschirmen und Samstagabendunterhaltung wieder als schweißtreibende Selbstoptimierung von Ulla Kock am Brinks Gnaden begreifen. Geld plus Gefühl gleich geil. Zum Quotentagessieger in der werberelevanten Zielgruppe hat es beim Auftakt vergangenen Samstag gereicht.

Imposante zwölf Meter hoch ist die Wand, an der Bälle herunterkullern und auf Beträgen zwischen einem und 250.000 Euro liegen bleiben. Insgesamt winken sogar über drei Millionen Euro, sehr theoretisch jedenfalls. The Wall startete in den USA vor einem halben Jahr erfolgreich auf NBC, verkauft wurde das Format bereits nach Spanien, Italien und Frankreich (wo alle europäischen Ableger, inklusive der deutschen Variante, im selben Studio gedreht werden). Die titelgebende Mischung aus Stecktafel und Pachinko mit auffälliger Ähnlichkeit  zu einem ebenfalls von RTL adaptierten TV-Klassiker will dabei nicht nur Hingucker, sondern Glück oder Unglück bringendes Monstrum sein – Frank Buschmann nennt sie "Miststück", "Teufel" und "Biest". Zwar haben Kandidaten nahezu keinen Einfluss auf den Ballverlauf, die Wand aber bespielen sie dennoch energisch. Sie hampeln herum und feuern das Geschehen an, rufen "rechts, rechts, rechts" und "komm, komm, komm". Das Publikum macht dazu "ahhh" und "ohhh", je nachdem, wo die Bälle eben zufällig hinpurzeln. Es ist wirklich nicht zu ertragen.

Sommerloch-Schutzwall: Die 12 Meter hohe Wand von RTL

Wirklich etwas ausrichten können Showteilnehmer von The Wall nur durch die Beantwortung mittelschwerer Multiple-Choice-Fragen und eine selbstgewählte Platzierung des Balls (welcher gleichwohl von jeder Position in die gänzlich andere Richtung springen kann und genau das auch tut). Jeweils zwei Kandidaten stellen sich in der Sendung einer Aufgabe, die somit weitgehend von Geschicklichkeit und Wissen, den eigentlichen Grundpfeilern jeder Spielshow, befreit ist. Stattdessen geht es um höhere Gewalt und persönliches Vertrauen: Kandidat 1 ringt an der Wand mit Bällen, Kandidat 2 beantwortet im Isolationsraum Quizfragen – und am Ende muss dieser sich für eine niedrige Garantie- oder sehr wahrscheinlich hohe Risikosumme entscheiden, ohne zu wissen, ob seine Antworten richtig waren und welche Geldbeträge der Teampartner vor der Wand erspielt hat. Dieser Teil des Formats wiederum könnte interessant sein, sofern tatsächlich jemand den anfänglich verdienten Betrag und nicht die spekulative Endsumme wählt. Macht jedoch kaum einer. Warum auch.

The Wall lässt besondere Taktiken oder eigenwillige Spielansätze nicht zu, die Show müssen deshalb große Gefühle lenken. Ihre von RTL instruierten Teilnehmer halten ergreifend auswendig gelernte Reden und treten Familiengeschichten breit (das erste Kandidatenpaar erzählt von Flüchtlingshilfe, das zweite sammelt gern Müll auf). Sie ziehen Entscheidungen absurd in die Länge und nutzen ihre sinnfrei gewonnene Zeit sogar für spontane Heiratsanträge auf der Bühne! Das klingt vielleicht beinahe reizvoll doof, wird von Frank Buschmanns debiler Emphase aber konsequent zunichte genervt. Aus rätselhaften Gründen versetzt sich die Moderation des bisherigen Sportkommentators ständig selbst in Jubelstimmung. Er hebt die ansteckende Genialität des Formats hervor ("diese Wand ist der absolute Knaller, sie weckt Emotionen ohne Ende") und übernimmt gewissermaßen auch schon dessen Rezeption (“das ist die mit Abstand bekloppteste Sendung im deutschen Fernsehen“ – was definitiv stimmt, nur nicht auf eine irgendwie affirmative Weise).

Sympathische Natürlichkeit: Buschi und seine Traumkandidaten

Über Frank Buschmann lässt sich vor allem sagen, dass er nicht Daniel Hartwich und somit für RTL wahrscheinlich unverzichtbar ist. Als grundlos aufgekratzter Zeremonienmeister, der bereits hinter gewöhnlichen Publikumsklatschern beispiellose Begeisterung vermutet ("Gemach, gemach, hier eskaliert schon alles!"), muss oder möchte er Action in eine Show bringen, deren Konzept sich dafür gerade nicht anbietet: The Wall verzichtet auf sportliche Herausforderungen oder anderweitige körperliche Einsätze der Kandidaten, es gibt keine Set-Umbauten oder Außendrehs – noch nicht mal ein simples Spielpult. Dieser eigentlich angenehme Minimalismus ist für die Produzenten offenbar kaum auszuhalten. Weshalb ihre schon vor Monaten vollständig aufgezeichnete und merklich geschnittene Show selbst jeden harmlos kullernden Ball wie einen Donnerschlag in Szene setzt. Wenn sich Dynamik nicht anders erreichen lässt, müssen Moderator und Teilnehmer eben ausdauernd krakeelen, zappeln oder in Tränen ausbrechen.

Es braucht kein Aluhut-Gen, um diesen Zirkus verdächtig zu finden. The Wall, das haben aufmerksame Zuschauer  beobachtet, rekrutierte zur Show-Premiere nicht nur formaterprobte, sondern in der fernsehgerechten Vermittlung überschäumender Emotionen auch sehr kompetente Kandidaten. Dirk und Magnus, das für Höhepunkte der ersten Ausgabe verantwortliche Vater-Sohn-Gespann, sorgte mit Dialogen wie "mein Junge, ich gehe hier durchs Fegefeuer für dich und möchte dir Energie senden" für ungläubiges Staunen vor dem TV-Gerät: Kein Satz ging ihnen über die Lippen, der sich nicht zur passend gemachten Privatanekdote oder einem Gefühlshaushalte anschaulich erklärenden Sinnbild verdichten ließ. Als beide Kandidaten schließlich in einer finalen Wendung mit über 700.000 Euro aus der Sendung spazieren durften, nachdem sie zunächst viele simple Fragen falsch beantworteten, ging die Spannungsdramaturgie perfekt auf. "Gescripted? Wie soll das gehen?", wehrte sich Frank Buschmann auf Facebook . Man möchte einwenden: augenscheinlich gar nicht so leicht.

The Wall läuft samstags um 20:15 Uhr bei RTL.

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