Quote durch Tote - Amokläufer beschert Zuschauersegen

12.03.2009 - 15:25 Uhr
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Des einen Leid, des anderen Freud – Der gestrige Amoklauf wird ordentlich ausgeschlachtet

Wir kennen es bereits von vorherigen Attentaten: Passiert mal etwas, so wird es auch ordentlich von den Fernsehsendern ausgeschlachtet. Parallel zur tage-, wenn nicht wochenlangen Monopolisierung der ausgestrahlten Informationen werden dann die ersten Experten in die Talkshows eingeladen, es wird nach Ursachen gefragt und die Meinungen einzelner Parteipolitiker diskutiert. Die Menschen reden von nichts anderem mehr, sie sind geschockt und fragen einander “Hast Du schon gehört..? Wie konnte das nur passieren?”. Scheinheilig wird sich da vor die Glotze gesetzt und den ganzen Abend die Berichterstattung genossen, bei der ebenso geschockt dareinblickenden Fernsehreporter meist die Bürgermeister, Lehrer, Freunde des Attentäters interviewen. “Trauer und Fassungslosigkeit” sind die Schlagworte, unter denen sämtliche Fernsehsender dann ihre News-Sendungen stellen.

Nun ist ein Amoklauf wie der gestrige in Winnenden sicherlich ein trauriger Ereignis, das es als grausame Gesellschaftserscheinung zu ergründen gilt. Dies sei dahingestellt. Die Fernsehsender, vor allem die Newssender Deutschlands, dürften sich allerdings mal wieder die Hände gerieben haben: Wie der Quotenmeter heute berichtet, bescherte der Amoklauf den Sendern n-tv und N24 Traumquoten – auch die anderen Sender profitierten, denn das “Informationsbedürfnis der Bundesrepublik” scheint riesengroß. Nicht nur durch Nachrichtensendungen mit den ewig gleichen Opfer-Interviews und Schreckensbilder wollten sich die Zuschauer “unterhalten” lassen; bereits vormittags wurden Sondersendung aus dem Boden gestampft, die so schaurige Titel trugen wie Amoklauf in Winnenden oder Amokläufer im Visier (wohinter man auch Sat 1 – Filme vermuten könnte). Damit wird, um interessanter und aktueller als die Konkurrenz zu sein, auf mittlerweile tradierte chronologische Phasen der Berichterstattung vorgegriffen, die die Fernsehsender aus ihrer Erfahrung kennen: 1) Information über das Ereignis 2) Darstellung des Leidens der Opfer 3) Interviews mit Experten 4) Konsequenzen für die Politik inklusive Parteienstreit 4) Abschließende Berichterstattung über das Gedenken an den Amoklauf.

Da nun seit Erfurt mittlerweile ein paar Amokläufer ins Fernsehen geraten sind, gewöhnen sich die Zuschauer immer mehr an den Brei, den sie serviert bekommen und verlangen scheinbar insgeheim nach einer vorgreifenden Berichterstattung, die möglichst Phasen 1-3 miteinander kombiniert: Noch während der Amoklauf passiert, schreien FDP-Politik nach dem Verbot für gewaltverherrlichende Computerspiele und die Grünen nach Schulklassen mit maximal 10 Schülern. Dazwischen funkt immer wieder ein “Experte für Amokläufe” (wo kommen eigentlich all diese Experten her?), die mit heuchlerischer Miene die vielschichtigen psychologischen Motive des Minderjährigen darlegen (allesamt bereits von Gus van Sant in Elephant skizziert): böse Computerspiele, böse Mitschüler, Neonazis, streitende Eltern, Drogenkonsum blablabla.

Die gleichgeschaltete Berichterstattung, die sich nach solchen Amokläufen ergibt, scheint dabei dermaßen uninspiriert, dass man das Gefühl erhalten könnte, die Sender produzierten solche Berichterstattungen vor, um sie dann bei Bedarf mit aktuellen Bildern zu garnieren und spätestens 10 Minuten nach dem Amoklauf (noch besser: während des Amoklaufs!) ausstrahlen zu können. Vorlagen hierfür liefert das US-Fernsehen, deren pietätsloser Sensationsgier die deutschen Kabelsender in nichts mehr nachstehen (hier ein sehr realitätsnahes Spoof-Video von Onion-News):

Es ist ein schmaler Grat zwischen Informationsbedürfnis und Sensationslust.

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