Oscar-Nominierungen 2017 -  Nicht alles wird gut

24.01.2017 - 18:40 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Oscar 2017DCM, Studiocanal, Tobis, Paramount
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Ein Jahr nach der #OscarsSoWhite-Debatte zeigen sich die Nominierungen für den Oscar 2017 vielfältig und spannend.

Eines blieb auch bei der Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen 2017 gleich: Wann immer die Academy oberflächliche Neuerungen einführt, zeigt sich die Organisation hinter dem wichtigsten Filmpreis der Welt so linkisch wie eine Theatergruppe in der Oberstufe. Beim Oscar 2017 begann die Fremdscham bereits bei den Nominierungen, die, statt live vor der Presse, in einem langen, chaotisch wirkenden Werbeclip veröffentlicht wurden. Der Academy Award als Final Extended Trailer sozusagen. Dafür dürfen sich Moderator Jimmy Kimmel und die versammelte Zuschauerschaft bei den 89. Academy Awards am 26. Februar auf ein vielfältiges Teilnehmerfeld freuen - ungeachtet der nominellen Dominanz des Musicals La La Land mit seinen überwältigenden 14 Nominierungen.

La La Land

Fallen wir gleich mit der Think-Piece-Tür ins Haus: La La Land ist der Film über Filme, über Kreativität, und vor allem eine zwiespältige Liebeserklärung an Los Angeles und sein Träume fabrizierendes und zermalmendes Herz Hollywood. Als Musical mit beträchtlichem Tanzanteil und ohne Franchise-Anbindung erinnert das Primärfarben-Ballett an die guten alten Zeiten der Industrie. Mit diesem Spiegel dürfte sich die Academy wohl eher anfreunden als etwa dem belächelnden Hail, Caesar! von den Coen-Brüdern. Der wagt sich auch tiefer in die Referenzmaterie vor. Mit fünf Nominierungen in den Top-Kategorien Film, Hauptdarsteller, Regie und Drehbuch kann La La Land sogar seinen nächsten Oscar-Verwandten übertrumpfen: den modernen Stummfilm The Artist, der 2012 immerhin sieben Preise gewann. Dass der in seiner Geschichte etwas fadenscheinige La La Land eine Nominierung für das Beste Originaldrehbuch erhalten hat, deutet jedenfalls an, dass sich die Academy-Mitglieder von der Dringlichkeit von Damien Chazelles Musical-Modernisierung bezirzen lassen. Oder sie fühlten bei den versmogten Sonnenuntergängen, vor denen Ryan Gosling und Emma Stone flirten, Heimweh.

14 Nominierungen des Konkurrenten zum Trotz dürfte Moonlight mit seinen 8 Chancen auf den Oscar der bestimmende Kandidat des Tages sein. Barry Jenkins' intimes Drama über die Identitätsfindung eines jungen Schwarzen hatte die Kritikerpreise der Oscar-Saison dominiert. Bis zu einem gewissen Grad war unsicher gewesen, wie sehr die auf Effekthascherei stehende Academy das Drama umarmt. Mit Nominierungen für Regisseur und Drehbuchautor Jenkins, Nebendarsteller Mahershala Ali und Naomie Harris sowie den Hauptpreis steht Moonlight stellvertretend für den Richtungswechsel der diesjährigen Academy Awards. Vergangenes Jahr hatte es kein einziger nicht-weißer Schauspieler unter die 20 Nominierten geschafft, dieses Mal sind es sieben. Die #OscarsSoWhite-Debatte hatte die Veranstalter derart in Bedrängnis gebracht, dass Maßnahmen zur Veränderung der Mitgliederzusammensetzung und Wahlregeln eingeführt wurden. Bis 2020 soll die Zahl der weiblichen und nicht-weißen Mitglieder der überwiegend männlichen und weißen Academy verdoppelt werden . In einem der ersten Schritte wurden in den letzten 12 Monaten 683 neue Mitglieder  eingeladen.

Hidden Figures

Nun darf darüber diskutiert werden, ob die Bemühungen fruchten oder die reichhaltige Auswahl dem Academy-Geschmack entgegenkommt: darunter Moonlight, das NASA-Drama Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen, das Google Earth-(!)Drama Lion und die Theaterverfilmung Fences von Denzel Washington. Doch die Ergebnisse zählen. Zum ersten Mal, hebt der Hollywood Reporter  hervor, wurden drei schwarze Darsteller im selben Jahr in derselben Kategorie nominiert (Nebendarsteller); zum ersten Mal wurde mit Joi McMillon (Moonlight) eine afro-amerikanische Schnittmeisterin mit einer Nominierung geehrt. Die brandaktuelle Verhandlung des afro-amerikanischen Lebens zieht sich von den Spielfilmnominierungen bis in den Dokumentarbereich, wo Der 13., I Am Not Your Negro und O.J.: Made in America auf Preise hoffen. Und endlich wurde der uralte Streit entschieden: Ezra Edelmans siebeneinhalbstündige Doku-Reihe über O.J. Simpson ist ein Film, keine Serie. Zumindest bis zu den Emmys 2017.

Die Bevölkerungsgruppe der rothaarigen Lois Lane-Darstellerinnen mit fünf Oscar-Nominierungen wurde beim Oscar 2017 sträflich vernachlässigt. Trotz acht Nominierungen für den futuristischen Linguistik-Kurs Arrival geht dessen Hauptdarstellerin Amy Adams leer aus, womöglich weil sich die Stimmen auch auf den Thriller Nocturnal Animals verteilten. Isabelle Huppert und Ruth Negga werden es den unentschiedenen Wählern danken. Viel wird darüber geschrieben werden, dass dieses Jahr kein Blockbuster wie Mad Max: Fury Road im Bereich Bester Film nominiert wurde, erst recht falls die Quoten der Verleihung enttäuschen. Doch zweierlei Dinge seien hier anzumerken: Erstens sollten wir den Erfolg der Nominierten nicht kleinreden. Arrival hat weltweit über 163 Millionen Dollar eingespielt; La La Land liegt bei beachtlichen 174 Millionen; Hacksaw Ridge bei 158 Millionen; Hidden Figures könnte allein in den USA die 100 Millionen knacken. Zum Zweiten: Eine Best Picture-Nominierung für Deadpool, einem konventionellen Superheldenfilm im Deckmantel der Selbstreferenzialität, wäre eine Peinlichkeit gewesen. Dann hätte man ja gleich Mel Gibson per Regie-Nominierung für die respektable Hollywood-Elite rehabilitieren können ...

Arrival

Aus der unvermeidlichen deutschen Sicht darf Toni Erdmann verdient für seine Nominierung für den Besten fremdsprachigen Film gefeiert werden. Maren Ades epische Globalisierungsdramödie konnte sich hier im Gegensatz zu den Cannes-Kollegen Die Taschendiebin von Park Chan-wook und Elle von Paul Verhoeven behaupten. Zu letzterem sei einmal der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten paraphrasiert: Traurig! Ähnlich verhält es sich mit dem historischen Glaubensdrama Silence, dem neuen Film von Martin Scorsese, der bei der Academy ebenso wenig Anklang fand wie bei den amerikanischen Zuschauern.

Viel Lob darf die Academy unter Präsidentin Cheryl Boone Isaacs dieses Jahr für die Vielfältigkeit ihrer Nominierten einfahren, wenn auch die Abwesenheit von weiblichen Regisseuren wieder einmal betont werden muss. Wie man nun diese Diversity-Offensive mit den offenen Armen für Mel Gibson arrangiert, der durch antisemitische und frauenfeindliche Äußerungen auffällig geworden war, müssen die 6.687 wahlberechtigten Mitglieder bis zum Einsendeschluss am 21. Februar unter sich ausmachen. Die Academy liebt Comeback-Geschichten als Kampagnen- und Handlungsmotiv. Das gehört zu ihren Markenzeichen und zu ihren Schwächen. La La Land könnte sich jedoch als idealer Oscar-Kandidat herausstellen. Überraschend konsequent weicht der Film über einen Jazzmusiker und eine angehende Schauspielerin dem rosaroten Ende aus und blickt - für ein Musical - einigermaßen realistisch auf die Zwänge des Unterhaltungsgeschäfts. Chazelles Film entlässt einen summend in die Nacht, aber auch nachdenklich. Den puren Eskapismus müssen die (liberalen) Academy-Mitglieder in diesen Zeiten woanders suchen, sicher nicht bei La La Land, Moonlight oder gar Manchester by the Sea. Nicht alles wird gut, das gilt auch für den Oscar.

Was haltet ihr von den Oscar-Nominierungen 2017?

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