Oscar 2017 - Die peinlichste & beste Verleihung der letzten Jahre

27.02.2017 - 10:45 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Oscar 2017: Manchester by the Sea, Moonlight, La La Land
A.M.P.A.S./Universal/DCM/Studiocanal
Oscar 2017: Manchester by the Sea, Moonlight, La La Land
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Mit einem sensationell peinlichen Fauxpas beim Besten Film geht der Oscar 2017 in die Geschichte ein. Moonlight gewinnt statt La La Land und die Verleihung ist perfekt.

Die Stadt der Sterne bricht reihenweise Herzen. Das mussten Mia und Sebastian in La La Land lernen und nun auch ihr Schöpfer Damien Chazelle. Eben noch nahm er als jüngster Regisseur überhaupt den Oscar entgegen und sah seine Hauptdarstellerin Emma Stone siegen, da winkt die Krönung einer Karriere mit 32 Jahren: der Oscar für den Besten Film. Den Lippen der Hollywood-Legende Faye Dunaway entfahren die eben nicht schicksalhaften Silben: La La Land. Eine gelungene Verleihung scheint sich dem Ende zuzuneigen, das ambitionierte Team wechselt sich freudestrahlend in den Dankesreden ab. Doch es rumort. Weitere Briefumschläge tauchen auf der Bühne auf, die in den kommenden Stunden per Screenshot durchanalysiert werden. Ein Mann bringt Ordnung ins Chaos auf der Bühne. Jordan Horowitz, soeben fälschlich ausgezeichneter La La Land-Produzent, verkündet den Sieg von Moonlight. Ein geschockter Chazelle verschwindet im Hintergrund, als Horowitz den korrekten Umschlag in die Kamera hält: Best Picture - Moonlight. Zum 89. Mal wurden die Academy Awards verliehen und noch nie ist es passiert, dass beim Besten Film der falsche Gewinner herausposaunt wurde. Es ist ein historischer Fehler, der der diesjährigen Oscar-Verleihung zu Perfektion verhilft.

Es war eine sehr gute Oscar-Verleihung bis etwa 06:05 Uhr deutscher Zeit. Moderator Jimmy Kimmel hatte zum Auftakt Justin Timberlake als Animateur im Dolby Theatre den Vortritt gelassen. Der oscarnominierte Song Can't Stop the Feeling brachte die geladenen Gäste im Mindesten zum schüchternen Wippen und erzeugte ein Party-Gefühl, das sich bei der "größten Party des Jahres", den Golden Globes, nicht einstellen wollte. Jimmy Kimmel kennt seine Stärken nämlich, singen gehört nicht dazu, Monologe, lässiger Small Talk und Improvisation schon. Wie weltfremd und -flüchtend dürfen die Oscars in einem Jahr sein, in dem der neue Präsident der Vereinigten Staaten autokratische Ideale anhimmelt und die Presse als Feind des Staates deklariert? Diese Frage schwebte über dem bärtigen Kopf des Erstlings-Hosts und womöglich war ein unpolitischer Moderator genau die richtige Wahl für diese Verleihung in einem Klima der Unsicherheit und Angst. Kimmel dämpfte zunächst die unermesslichen Erwartungen. Weder er noch "der einzige Braveheart im Saal" könnten das gespaltene Land einen. Ein Ereignis wie die Oscar-Verleihung gehört in Zeiten asynchron konsumierbarer Medien zu den wenigen nationalen Seh-Ereignissen in den USA, zu den Super-Bowls und Grammys. Umso aufgeladener erscheint jede Geste, jeder Satz und jedes Fragezeichen. Sollten die Oscars sich dezidiert gegen Trump wenden, wäre ein Teil - der zu erreichende Teil im Grunde - der Zuschauerschaft verloren gewesen. Hätten sie die rosarote Filmwelt gefeiert, der sich selbst La La Land nicht ergeben mag, wäre der Oscar 2017 schlicht irrelevant gewesen. Es lag an Kimmel, seinen Autoren, Produzenten und Gästen, den Grat zu finden und die Wanderung darauf zu meistern. Es gelang, selbst wenn sich nach dem La La Land-Fauxpas erstmal kaum jemand daran erinnern wird.

Ich möchte Präsident Trump danken. Erinnert ihr euch an letztes Jahr, als die Oscars rassistisch zu sein schienen? Das ist jetzt vorbei, dank ihm. - Jimmy Kimmel

Millionen von Zuschauern sähen dieser Verleihung zu, meinte Jimmy Kimmel in einer ernsten Note zu Beginn. Wenn jeder für eine Minute mit einem Vertreter des gegnerischen Lagers als Amerikaner reden, nicht als Demokrat oder Republikaner streiten würde, dann könne sich die Situation bessern. Seine Trump-Spitzen verteilte er wohlweislich über die gesamte Laufzeit, doch war Kimmels Moderation immer dann am besten, wenn Trump quasi zum Außenseiter verdammt wurde. Bei den von Kimmel eingeforderten Ovationen für Meryl Streep zum Beispiel musste der Name des Präsidenten gar nicht erst fallen. Die Selbstparodie des Tweeters in Chief sprach für sich und wurde ins Positive gewendet. Das hat wenig mit treffsicherer politischer Kritik gemein. Die Autoren waren allerdings gut beraten, dem spannendsten Aspekt der Oscars die Oberhand zu überlassen: den spontanen Eruptionen auf der Bühne.

Die Reden gaben sich dem folgend selten aggressiv, dafür selbstbewusst. Präsentatoren und Gewinner outeten sich als Immigranten oder sprachen sich gegen Mauern zwischen Ländern und in Köpfen aus. Ezra Edelman, dessen O.J.: Made in America als Beste Dokumentation auszeichnet wurde, widmete den Preis den Opfern der Polizeigewalt in den USA. Das von Weltraumtouristin Anousheh Ansari vorgelesene Statement des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi (The Salesman - Forushande) rief zur Empathie auf, die jetzt mehr gebraucht werde denn je. Donald Trump oder seine Wählerschaft wurden seltener direkt angegriffen, vielfach überwog der moralische Appell, das Lob auf Vielfalt und Wahrheit. Die "politischen Oscars" zeugten dieses Jahr weniger vom Sticheln nach oben, wo viel ankommt und wenig durchdringt. Es überwog ein Gefühl der Solidarität über Berufs- und Ländergrenzen hinweg. Das ist nicht das Hollywood, das einen Michael Moore während der Gala ausbuht. Das ist wohl auch nicht das Hollywood, das sich eindeutig zu positionieren weiß im Trump-Zeitalter. Für eine sich selbst zelebrierende Traumfabrik sickerte erfreulich viel Realität in einer Verleihung durch, in der es Süßigkeiten von der Decke regnete. Womit ich nicht das liebenswerte, etwas zu lang geratene Segment mit den Touristen meine, die in der ersten Reihe den Stars die Hand schütteln durften. Oder nicht nur.

Dieser [Preis] ist für alle schwarzen und braunen Jungs und Mädchen und nicht-genderkonformen da draußen, die sich selbst nicht sehen. Wir versuchen, euch und uns zu zeigen. Also danke, danke, das ist für euch! - Tarell Alvin McCraney (Moonlight)

Jimmy Kimmel empfiehlt sich jedenfalls für weitere Verleihungen, sollte er sich dem Bester Film-Trauma noch einmal stellen wollen. Im Gegensatz zu seinem Quoten-Konkurrenten Jimmy Fallon will Kimmel es nicht allen um jeden Preis recht machen. Von der Abscheu nährt er sich trotzdem nicht in den narzisstischen Ausmaßen eines Ricky Gervais. Kimmel zu Hilfe kam eine gut organisierte Verleihung mit schlauer Dramaturgie, in der die Stimmung nie langfristig in eine Richtung kippte. Da folgt auf das In Memoriam-Segment eben die Erinnerung an Wir kaufen einen Zoo. Bis kurz vor Schluss lief das alles rund und ergreifend. Wurden die Namen korrekt ausgesprochen, ein paar feine Meme-Gesichter produziert, durfte Denzel Washington eine Ehe schließen und Miles Teller den wahrsten Mean Tweet aller Mean Tweets vorlesen. Dann hielt Jordan Horowitz das Kärtchen mit dem wahren Sieger in Händen. Dass Barry Jenkins und seine Kollegen um ihren echten Oscar-Moment gebracht wurden, ihr Film im Schatten eines organisatorischen Verwechslungsdramas steht, bleibt bedauernswert. Dafür war die Überraschung des Abends perfekt, die La La Land-Illusion einmal gelebt und geplatzt, ganz wie im Kino. Das ist Hollywood, das ist peinlich und nach 89 Jahren undenkbar, aber nun Realität, zum Glück.

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