Kommen Filme bald schneller ins Heimkino?

24.07.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Symbolbild: Das VeröffentlichungsfensterParamount
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Wie lange dauert es, bis ein Kinofilm legal online verfügbar ist? Ein möglicherweise wegweisendes Abkommen könnte diesen Zeitraum verringern.

Am 8. Juli 2015 wurde Filmgeschichte geschrieben. Vielleicht. Im Trubel des einen Tag später startenden Nerd-Faschings in San Diego ging der historische Deal unter, aber seine Tragweite könnte Branchen-Analysten noch ein paar Jahre vom Nähen ihres My Little Pony-Deadpool-Crossover-Kostüms abhalten. Beim Wall Street Journal  war an diesem Tag von einem möglicherweise wegweisenden Handel zu lesen. Paramount, neben Warner, Fox, Universal, Sony und Disney eines der großen Studios in Hollywood, hatte sich mit zwei Kinoketten auf eine Verkleinerung des Veröffentlichungsfensters zwischen Kinostart und Heimvideo-Auswertung geeinigt. Normalerweise liegen in den USA mindestens 90 Tage zwischen der ersten Mitternachtspreview und der Eroberung von iTunes-Listen und Blu-ray-Regalen. Nun soll die Veröffentlichung als Video on Demand bereits zwei Wochen, nachdem der Film aus der Mehrheit der Kinosäle verschwunden ist, beginnen. Seit Jahren wehren sich die Kinobetreiber dagegen, ihr zeitliches Auswertungsmonopol zu verkürzen, während so mancher Studio-Verantwortlicher in der Verkleinerung des Veröffentlichungsfensters ein Wundermittel gegen Filmpiraterie beschwört. Paramount prescht als erstes Studio voran.

Kinofilme bequem daheim sehen
Zwei Filme dienen als Versuchsobjekte dieses Experiments: Im Oktober erhalten Paranormal Activity 5: Ghost Dimension und Scouts vs. Zombies - Handbuch zur Zombie-Apokalypse landesweite Kinostarts. Sobald die Kopien in weniger als 300 Kinos der beiden Ketten AMC Theatres (USA) und Cineplex (Kanada) gezeigt werden, setzt der Countdown ein. 17 Tage später beginnt die Video on Demand-Auswertung, unabhängig davon, ob die Zombies noch durch Lichtspielhäuser geistern. Für Paramount und mögliche Nachahmer bringt das eine Reihe von Vorteilen mit sich. In Zeiten, in denen mit Werbebudgets mehrere Kinofilme gedreht werden könnten, spart das Studio beim zweiten Reklame-Schub, der Zuschauer normalerweise drei Monate nach Kinostart daran erinnern soll, dass die Vorstadthäuser eines Geisterjägereinsatzes bedürfen. Kino- und Heimvideovermarktung gehen nahtlos ineinander über. Es ist zudem kein Geheimnis, dass die Absatzzahlen von DVDs und Blu-rays besagten Aufwand von Jahr zu Jahr weniger widerspiegeln. Insofern kann der Paramount-Deal auch als Vertrauensbeweis für das Potenzial des Online-Marktes gelesen werden. Die Blu-ray darf sich derweil an ihren historischen Status als kurzlebiges Übergangsmedium gewöhnen. [1]

"Unsere Erwartung lautet: Die Gesamteinnahmen werden steigen und die Kino-Einnahmen bleiben davon relativ unbeeinflusst." - Rob Moore, Vize-Vorsitzender von Paramount Pictures [WSJ ]

Paranormal Activity: Die Gezeichneten aus dem Jahr 2014 bildet die Blaupause für einen Genrefilm, der "front-loaded" in den Kinos startet. Das Gros seines Einspielergebnisses erzielte er in den USA am ersten Wochenende, im Anschluss büßte er von Sonntag zu Sonntag zwischen 60 und 70 Prozent ein und in der fünften Woche lief der Film nur noch in 150 Kinos. Dem neuen Deal folgend wäre der Horror-Spin-off Anfang Januar gestartet und bereits Ende Februar daheim legal abrufbar gewesen, nicht erst Ende März. Die zügige Bereitstellung als Video on Demand soll veränderten Nutzungsgewohnheiten zugute kommen und zumindest einem Teil der illegalen Streamings einen Riegel vorschieben. Wer keine Anfahrts-, Park- oder Babysitting-Kosten auf sich nehmen will, von denen er selbst einen Found Footage-Film drehen könnte, wird durch das zeitnahe Video on Demand-Angebot angesprochen. Und wenn die noch immer dominante Zielgruppe der Studios - junge Männer zwischen 14 und 24 - sich seltener ins Kino bemüht, muss der Film eben zu ihnen, ihren Konsolen und Tablets kommen. Was wiederum erklärt, dass Paramount für sein Pilotprojekt ein Franchise ausgewählt hat, dessen letzter Eintrag am Startwochenende zu 68 Prozent  von Unter-25-Jährigen gesehen wurde. Ein Franchise mit stetig rückläufigen Einnahmen außerdem, die das finanzielle Risiko in Grenzen halten.

Kinos verdienen online mit
Dass sich viele Kinobetreiber trotz der seit Jahren bekannten Konkurrenz durch Torrents und Streams gegen eine Verkleinerung des Veröffentlichungsfensters stemmen, ist indes nachvollziehbar. Sie sehen ihre Existenz als gefährdet an. Warum ins Kino gehen, wenn der Film in ein paar Wochen bequem daheim genossen werden kann? Bis vor Kurzem war es deswegen nur auf Independent-Ebene zu Übereinkünften zwischen kleineren Kinoketten und Verleihen gekommen, die eine begrenzte Veröffentlichung in Ballungsgebieten (limited release) mit einem zeitnahen Video on Demand-Angebot ermöglichten. Große Ketten wie Regal, Cinemark oder eben AMC zeigen in der Regel keine Filme mit einem GooglePlay- oder iTunes-Start unterhalb der 90-Tage-Frist. Als Paramount und MGM die VoD-Veröffentlichung des Flops Hot Tub Time Machine 2 nur 46 Tage nach dem Startwochenende ansetzten, ohne die Kinobetreiber zu konsultieren, sorgte das bei diesen laut Variety  für Empörung. Nun holt Paramount AMC und Cineplex mit einem verlockenden Angebot ins Boot. Anstatt auf die verminderten Einspielergebnisse und verkauften Fressalien eines Genrefilms ohne Stehvermögen zu beharren, werden die beiden Ketten prozentual an den Video on Demand-Einkünften von Paranormal Activity 5 und Scouts vs. Zombies beteiligt. Dieser Anteil soll laut eines Analysten ungefähr so hoch sein wie die Kosten für die Homevideo-Werbekampagne gewesen wären. Damit profitieren die beiden Ketten von einem Geschäft, mit dem sie im Grunde gar nichts zu tun haben.

"Die Leute sagen, kürzere Veröffentlichungsfenster werden kommen, aber ich sehe da kein wirtschaftliches Kalkül." - Gerry Lopez, AMC Entertainment CEO, im Februar [Variety ]

Der im Winter so zitierwürdige Gerry Lopez ist am vergangenen Dienstag als CEO von AMC überraschend zurückgetreten, was die Spekulationen über den umstrittenen Deal weiter anheizte (Forbes ). Für Paramount selbst kann das Experiment als Flucht nach vorn gelesen werden, weniger von außen erzwungen als eine andere bahnbrechende Entscheidung in der Studio-Geschichte , aber mit dem Vermögen das Geschäft langfristig ähnlich grundlegend zu verändern. Seitdem die Filme des Marvel Cinematic Universe von Disney verliehen werden, sinkt Paramounts Box Office-Stern. Wer sich wundert, warum derzeit ein ganzer Writers Room an Transformers-Sequels, -Prequels und -Spin-offs tüftelt, sollte den Marktanteil des Studios in den USA unter die Lupe nehmen. 2011 erreichte Paramount laut TheNumbers  noch 19,25 Prozent, in den Folgejahren bewegte sich der Marktanteil zwischen 8 und 9 Prozent. Der heimische Misserfolg Terminator 5: Genisys schürt wenig Hoffnung auf Besserung. Womöglich hat es in den Jahren der konsequenzlosen Diskussion über die Verkleinerung des Veröffentlichungsfensters nur ein gebeuteltes Studio gebraucht, um den ersten Schritt zu tun.

Experiment mit Vorbildcharakter
Was nicht bedeutet, dass wir in naher Zukunft die zeitgleiche Veröffentlichung von Blockbustern im Kino und online erwarten sollten. Bei Erfolg - und sofern andere große Kinoketten sich anschließen - will Paramount die Praxis jedenfalls für alle seine Filme anwenden. Das fällt bei Großproduktionen weniger ins Gewicht als bei Low Budget-Horror aus dem Hause Blumhouse. Die Paramount-Filme Teenage Mutant Ninja Turtles und Transformers 4: Ära des Untergangs liefen jeweils 12 Wochen lang in mehr als 300 Kinos, so dass der Abstand zwischen Kino- und VoD-Start weniger dramatisch verkürzt würde.

Gleichzeitig hängt dem Schritt eine gewisse Zwangsläufigkeit an. Seit zwei Jahrzehnten setzen die Studios auf ein Geschäftsmodell, das dem Startwochenende ihrer finanziellen Zeltstangen eine ungeheure Bedeutung zukommen lässt. Lächerlich hohe Summen fließen in die Werbung, um zwischen Donnerstag- und Sonntagnacht lächerlich hohe Summen einzuspielen, bevor der nächste Blockbuster startet und alles murmeltierartig von vorne losgeht. Das 90-Tage-Fenster wirkt vor dem Hintergrund dieser durch die Filmpiraterie geförderten Fixierung wie ein Relikt aus anderen Zeiten. Dank einer Horde Geister, Zombies und Pfadfinder könnte es bald fallen. Die deutschen Zuschauer würden davon sicher auch profitieren: der wahnsinnigen Dynamik der hiesigen Medienbranche zufolge bestimmt schon in zwanzig Jahren.

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[1] Trinkspieltipp mit Alkoholvergiftungsgarantie: Beim Gang durch die Metro-Tochter eures Vertrauens kippt ihr jedes Mal einen Kurzen, wenn eine Blu-ray weniger kostet als ihr DVD-Äquivalent.

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